Chile fördert und unterstützt internationale Startups

Mehr Zukunft als Vergangenheit

06.03.2015
Von   
Dirk Stähler befasst sich seit vielen Jahren mit der innovativen Gestaltung von Organisationen, Prozessen und IT-Systemen.

Wo sich Start-Up Chile verbessern muss

Nach dem Ende von sechs Monaten Förderung erhielten nur rund 15 Prozent der Gründer eine Anschlussfinanzierung über private Investoren. "Selbst zu einem unbedeutenden Startup Tag kommen in London 200 Inverstoren. Hier in Chile sind es bei den Demo-Days vielleicht fünf. Man kann sagen es ist ein Teufelskreis: wenn keine Gründer vorhanden sind, kommen keine Investoren - sind keine Investoren da, kommen keine Gründer. Start-Up Chile hat das Problem aber erkannt und versucht mit dem Nachfolgeprogramm Scale gegenzusteuern", erläutert Gulin die Bemühungen Schwierigkeiten in der Anschlussfinanzierung zu beheben.

Pavetti hat eine andere Bewertung der Zahlen. "15 Prozent sind eine Menge. Wir sprechen über die Finanzierung von ein oder zwei Personen, die mit einer Idee in ein fremdes Land kommen um ein Unternehmen zu gründen. Wenn davon 15 Prozent nach sechs Monaten eine Anschlussfinanzierung erhalten sind das sehr gute Ergebnisse. Die Startup Szene in Chile sieht heute ganz anders aus als zum Beginn des Programms im Jahr 2010. Damals haben sich fast keine Chilenen beworben. Heute kommen rund 30 Prozent der Bewerber aus Chile. Man erkennt, dass das Programm einen Einfluss auf die Bereitschaft zur Gründung von Unternehmen hat. Und die Teilnehmer sind nicht nur im Programm weil sie aus Chile kommen. Viele von denen haben tolle Ideen. Man muss es auf lange Sicht betrachten. Chile hat heute eine deutlich interessantere Gründerszene als Argentinien, obwohl dort viel mehr Entwickler ausbildet werden. Wenn man bedenkt, wo die chilenische Startup Szene vor fünf Jahren stand und wo heute, dann ist Start-Up Chile der Motor hinter dem Ganzen".

Aber der Erfolg erzeugt auch organisatorische Probleme. Mit jeder Generation des Programms kommen 100 neue Gründer nach Santiago. Die Verantwortlichen haben wenig Zeit sich um jeden einzelnen zu kümmern. Aber Gründer wären keine guten Gründer, wenn sie dieser Tatsache nicht auch etwas Positives abgewinnen. "Zum Glück sind in jeder Runde 99 andere Startups mit ähnlichen Problemen wie du und die kann man fragen. Das ist auch was einen Gründer ausmacht. Schließlich sind wir Unternehmer und warten nicht bis jemand anderes unser Problem löst. Vielleicht ist es also gar nicht negativ zu betrachten, wenn wir nicht permanent betreut werden", erläutert Pavetti seine Perspektive.

Eine Herausforderung sehen die Gründer in der chilenischen Verwaltung. Besonders deutlich wird das bei dem Bezug von Hardware. Wer nur Software entwickelt bemerkt es kaum. Wer Hardware nach Chile importiert steht vor bürokratischen Hindernissen. Beispielsweise versendet Amazon keine Elektronik nach Chile. Die Beschaffung erfordert kreatives Geschick. Oft helfen Freunde im Ausland Ware einzukaufen und nach Chile weiterzuleiten. Immer sind hohe Importzölle zu zahlen, manchmal über dem Wert der eingeführten Produkte. Ein Problem, das die bereitgestellten 40.000 Dollar schneller schmelzen lässt als erwartet.
Georgiou beschreibt die Strategie von pycno um Kosten niedrig zu halten: "Hardware Startups sollten sich auf ein paar Probleme einstellen. Wir versuchen soviel wie möglich vor Ort zu beschaffen. Zum Beispiel haben wir angefangen die Gehäuse unserer Prototypen direkt in Chile im 3D-Druck herzustellen. Natürlich geht das nicht mit allen Teilen". Sein Partner Gulin ergänzt: "Deshalb sollte sich jeder gut überlegen, ob die 40.000 Dollar die lokalen Herausforderungen aufwiegen. Wenn nicht, dann bleibt man besser in seinem Heimatland".
Alec Dickinson, Gründer von AmberAds ergänzt: "Jeder der nach Chile kommt muss wissen, dass das Programm nicht alle Probleme für dich löst. Du musst selber etwas beitragen".

Was Deutschland von Start-Up Chile lernen kann

Internationale Gründer sind sehr mobil. Für die Mehrzahl der befragten Teilnehmer waren die finanziellen Rahmenbedingungen von Start-Up Chile der Grund nach Chile zu kommen. Wer darüber hinaus Erfahrungen in Ländern mit weniger gut funktionierenden staatlichen Strukturen gesammelt hat, nennt als zweiten Grund die stabile politische und ökonomische Situation. Pavetti beschreibt deutlich warum er in Chile ist: "Politisch korrekt ausgedrückt ist es heute ein sehr weiter Weg von Argentinien nach Chile. Wir haben mit unseren Ideen in Argentinien begonnen und fast alle unsere Kunden sind dort. Leider ist es aktuell sehr kompliziert aus Argentinien heraus international zu arbeiten. Es bestehen viele Probleme in den Bereichen Steuern und Finanzen. Die Bedingungen in Chile sind einfach viel besser".

Es wird deutlich, dass internationale Gründer in erster Linie an guten Rahmenbedingungen interessiert sind. Wenn diese stimmen, würden sie auch nach Deutschland kommen. Sie sind aber auch bereit etwas für ihre Gastländer zu leisten, wie das gesellschaftliche Engagement der Teilnehmer in Chile zeigt. Entscheidend ist die richtige Ausgestaltung der Programme.

Auch im risikoscheuen Deutschland sind mehr Gründer eine Zielsetzung. Wir sind bei der Umsetzung dieses Ziels aber noch nicht erfolgreich genug. Gründer aus anderen Ländern könnten auch für Deutschland viel mehr leisten als "nur" Unternehmen aufzubauen. Sie können aktiv als Mentoren an Schulen tätig werden, mittelständischen Unternehmen ohne große Forschungsabteilung bei der Digitalisierung ihres Geschäftes helfen und ganz allgemein ein Verständnis für andere Kulturen und einen weltoffenen Blick fördern. Der finanzielle Aufwand ist, wie das Beispiel Chile zeigt, durchaus überschaubar.

Die in Start-Up Chile investierten Summen sind im Verhältnis zum gesellschaftlichen Beitrag der Gründer gering. Es ist nicht preiswert, kann sich volkswirtschaftlich aber lohnen. Warum gibt es in Deutschland kein vergleichbares Programm in dem internationale Gründer bei der digitalen Entwicklung des Lands mithelfen?

Das Fazit der Gründer

Gulin antwortet auf die Frage was ihm Start-Up Chile gebracht hat zunächst scherzhaft. "Ich wäre nicht so braun geworden", um dann direkt den wohl besten Grund nachzulegen. "Wenn es Start-Up Chile nicht gegeben hätte, wären wir vermutlich immer noch in unseren alten Jobs in London und würden darüber nachdenken wie wir unsere Idee finanzieren". Wenn das kein Argument ist. (bw)