In Teil eins meiner Reihe über künstliche Intelligenz (KI) ging es darum, was KI ist und was nicht. In diesem Teil werfen wir einen Blick auf den Status quo dieser Entwicklung.
Lesetipp: So lernt künstliche Intelligenz - Macht KI die Finanzbranche ingelligenter?
Alljährlich leisten die Bürger der Europäischen Union 122 Milliarden digitale Zahlungen unter Verwendung von Karten, Banküberweisungen, E-Wallets, mobilen Wallets und anderen Bezahlmethoden. Ohne KI wäre die Bezahlindustrie nicht ansatzweise in der Lage, so viele Transaktionen so schnell durchzuführen und dabei die Betrugsfälle und Fehlerquoten auf ein akzeptables Maß zu
Warum KI notwendig ist
Die enorme Menge digitaler Zahlungen ist sowohl eine Hilfe als auch ein Hindernis beim Erkennen von Betrugsfällen. Einerseits bringt es bestehende Betrugserkennungssysteme an ihre Grenzen. Andererseits werden die Entwickler von KI-Systemen auf diese Weise mit den Daten beliefert, die sie benötigen, um ihre Algorithmen zu trainieren.
Ein traditionelles regelbasiertes Betrugserkennungssystem berücksichtigt eine Reihe von Variablen, beispielsweise den Standort, den Händlertyp, die Höhe der Ausgaben und so weiter. Wenn dann ein Nutzer etwa mehr als gewöhnlich ausgibt, und zwar bei einem ihm bisher unbekannten Händler an einem bisher nicht besuchten Standort, so wird diese Transaktion vermutlich als Betrugsversuch eingestuft werden. Dann kann es passieren, dass die Kreditkarte gesperrt wird, wenn man im Urlaub etwas über die Stränge schlägt und zu viel für die Skiausrüstung ausgibt.
Das Problem bei diesem Modell liegt darin, dass es zu unflexibel ist, um mit dem gestiegenen Umfang und der wachsenden Komplexität fertig zu werden. Es bringt zu viele falsch-positive Ergebnisse (false-positives) hervor. Bei nur 1,49 Prozent aller Transaktionen handelt es sich tatsächlich um Betrug. Doch wie bei unserem imaginären Einkauf im Skiurlaub, passen in unserer heutigen hochgradig mobilen und bunt gemischten Welt viele Einkäufe nicht gut in ein starres, regelbasiertes Modell der Betrugserkennung.
Eine Studie aus dem Jahr 2017 über Händler in Nordamerika hat ergeben, dass 79 Prozent von ihnen manuell überprüfen, ob es sich zumindest bei einigen der anomalen Transaktionen tatsächlich um Betrug handelt. Durchschnittlich überprüften die Händler 25 Prozent aller Transaktionen manuell. Laut einer anderen Studie handelte es sich bei 52 Prozent aller als betrügerisch eingestuften Transaktionen um false-positives.
Es wird erwartet, dass Händler bis zum Jahr 2020 pro Jahr 726 Milliarden digitale Zahlungen verarbeiten werden. Bei einem derartigen Umfang kann es sich niemand mehr leisten, sich einzig auf eine manuelle Prüfung zu verlassen.
Wie KI bei Zahlungsvorgängen eingesetzt wird
Mit Hilfe von KI - üblicherweise wird Machine Learning eingesetzt - kann die Betrugserkennung signifikant verbessert und der Anteil von false-positives deutlich reduziert werden. Eine auf Bezahlvorgänge spezialisierte KI könnte beispielsweise eine ganze Reihe von Faktoren berücksichtigen und jedem einzelnen einen Risikograd zuweisen.
Ein Händler mit guten Bewertungen könnte eine niedrigere Risikoeinstufung bekommen, etwa 15 Prozent, doch eine unbekannte IP-Adresse, eine unbekannte Zeitzone oder ein unbekannter Standort würden eine höhere Risikobewertung erhalten. Dieser Prozess kann für hunderte von Faktoren durchlaufen werden und ergibt dann einen endgültigen Durchschnittswert, der bestimmt, ob eine Transaktion die Schwelle des Händlers passieren darf oder ob sie als betrügerisch eingestuft wird.
Auf diese Art und Weise ist es möglich, riesige Mengen von Daten zu analysieren, um ein detaillierteres Bild davon zu entwerfen, wie "normal" auszusehen hat. Weil eine KI nicht darauf beschränkt ist, innerhalb vorgegebener Regeln zu funktionieren, kann sie diese größere Datenmenge auf unvermutete Gemeinsamkeiten zwischen betrügerischen und nicht betrügerischen Transaktionen untersuchen.
Ein Finanzinstitut, das KI zum Aufspüren von Betrugsversuchen einsetzt, kann in der Lage sein, Transaktionen in Echtzeit durchzuführen - was bei manuellen Überprüfungen nicht möglich wäre. Zudem kann es neue Wege finden, Anomalien zu identifizieren, aufgrund derer betrügerische Transaktionen von echten unterschieden werden können.
- Lars Schwabe (Associate Director bei Lufthansa Industry Solutions
„Die Erfolgsquote von Predictive-Analytics-Projekten ist gestiegen, da die Firmen endlich die notwendigen Vorarbeiten geleistet haben, beispielsweise die Schaffung von modernen Datenarchitekturen. Außerdem sind inzwischen sowohl das Personal fachkundiger und die Tools besser geworden." - Daniel Eiduzzis (Solution Architect Analytics bei Datavard)
„Technisch müssen sich die Unternehmen öffnen und sollten sich nicht sklavisch einem Hersteller verpflichten. Heute geht es vielmehr darum, in Abhängigkeit vom jeweiligen Use Case das ideale Instrument zu identifizieren, mit dem die Fragestellungen bestmöglich bedient werden. Daher kann ein Best-of-Breed Ansatz hier sinnvoll sein.“ - Jan Henrik Fischer (Bereichsleiter Business Intelligence & Big Data bei Seven Principles)
„Mit Methoden der Predictive Analytics und der parallel weiter steigenden Digitalisierung werden wir Prozesse besser verstehen. Dies wird ausnahmslos alle Bereiche eines Unternehmens betreffen. Das größte Potenzial liegt dabei sicherlich in der Optimierung der Kundenprozesse. Durch ein tieferes Verständnis für seine Bedürfnisse werden wir in der Lage sein, den Kunden effizienter und besser zu bedienen sowie seine Loyalität zu steigern.“ - Vladislav Malicevic (Vice President Development & Support bei Jedox)
„Viele Unternehmen experimentieren bereits seit längerem mit Predictive Analytics. Bislang mangelte es oft an konkreten Anwendungsfällen mit einem klaren Mehrwert, dem sogenannten Business Case. Aber die nächste Phase im Technologie-Lebenszyklus hat bereits begonnen, und Firmen führen nicht mehr nur rein innovationsgetriebene Experimente durch. Sie verknüpfen Predictive-Analytics- und KI-Projekte zunehmend mit einem bereits im Vorfeld klar definierten Mehrwert für bestimmte Fachbereiche oder Geschäftsprozesse, inklusive der erwarteten Ergebnisse und den möglichen Auswirkungen auf bisherige Prozesse.“
Über Betrugserkennung hinaus
Betrugserkennung ist das übliche Einsatzgebiet von KI in der Finanzbranche, aber es ist nicht das einzige. Die Fähigkeit, Muster zu finden und neue Variablen zu definieren, kann dafür eingesetzt werden, potenziell nützliche oder beunruhigende Verbindungen und Verhaltensweisen als Teil des Know-your-Customer-Prozesses (KYC) aufzuspüren. Durch den Einsatz von KI auf diesem Gebiet versetzen sich Finanzinstitutionen in die Lage, größere Datenmengen aus einem breiten Spektrum von Quellen zu verarbeiten, inklusive aller Kundenkonten und anderer Produkte der jeweiligen Institution. Und bald schon, mit der Einführung von Open Banking, auch mit den Konten und Produkten anderer Institutionen.
Lesetipp: Banking 4.0 - Wege aus dem Datendschungel
Die Kreditwürdigkeitsprüfung (credit scoring) ist ein weiteres Gebiet, auf dem die Branche bereits künstliche Intelligenz einsetzt. Auch hier besteht die Herausforderung darin, Daten von Millionen von Konten zu analysieren, um Muster zu erkennen, die stark mit einem Ausfallrisiko korrelieren.
Wird KI eingesetzt, um solche Modelle zu erstellen, kann sie individuelle Applikationen und Kunden nach diesen Mustern überprüfen. Diese Methode geht weit über einfache Muster hinaus, die auf einer engen Auswahl von Faktoren basieren, wie etwa vergangene Ausgaben und erwartetes Einkommen.
Doch auch wenn der Einsatz von KI auf dem Gebiet des credit scorings Vorteile für die Branche mit sich bringt, so werden dabei doch einige Risiken sowohl für die Institutionen als auch für die Kunden deutlich. Solange die Algorithmen nicht streng getestet und bewertet wurden, um zu vermeiden, dass Tendenzen reproduziert werden, die in den Daten bereits vorhanden sind, oder dass neue Vorurteile aufgrund falscher Schlussfolgerungen entstehen, besteht die Gefahr, dass KI zur Einschätzung der Kreditwürdigkeit manchen Menschen ungerechterweise den Zugriff auf Finanzdienstleistungen verwehrt.
Um dieses Risiko und darum, was die Branche diesbezüglich unternimmt, geht es im nächsten Teil der Serie.
Teil 1: Macht KI die Finanzbranche intelligenter?
Teil 2: Mehr Sicherheit durch KI
Teil 3: Das Ende der manuellen Prozesse