Für die einen sind es gute Nachrichten, andere wiederum sehen die Entwicklung mit Sorge: Es mangelt seit geraumer Zeit an IT-Fachkräften. Nach VDI-Berechnungen wurden 2016 insgesamt 28.800 offene Stellen für Informatiker gemeldet - 23 Prozent mehr als im Vorjahr. Demnach kommen heute auf einen arbeitslos gemeldeten Informatiker 3,5 offene Stellen.
Und laut Bitkom-Verband sind insgesamt rund 51.000 Positionen in der IT unbesetzt, davon 30.000 bei Anwenderunternehmen. Die Entwicklung schlägt sich auch in der "IT-Freiberufler-Studie 2017" der COMPUTERWOCHE nieder: So schätzen inzwischen über 50 Prozent der Unternehmen die Bedeutung von externen IT-Fachkräften in zwei Jahren als groß bis sehr groß ein. In den Vorjahren lag der Anteil noch bei 30 (2015) beziehungsweise 44 (2016) Prozent.
Angebot und Nachfrage haben angezogen
Freelancer sind ein probates Mittel, um eine angespannte Personalsituation zu lindern und sich fachliches Know-how ins Haus zu holen. "Sowohl Angebot als auch die Nachfrage nach Freiberuflern haben im vergangenen Jahr erneut angezogen", bestätigt Stefan Symanek, Marketingleiter derGULP Information Services GmbH.
Er beruft sich auf den Projektmarktindex des Unternehmens, wonach 2016 das Jahr mit den meisten Projektanfragen an registrierte Freelancer gewesen sei. Zudem stiegen auch die Anfragen pro offener Projektposition an die Freelancer: "Im Schnitt stellten unsere Recruiting-Spezialisten hier 13,4 Anfragen, bis der passende Experte gefunden werden konnte." Die Gründe: Einerseits sei der Projektmarkt zum Kandidatenmarkt geworden, und die Freiberufler könnten sich größtenteils ihre Projekte aussuchen. Auf der anderen Seite würden die Projekte und Anforderungen immer vielgestaltiger und komplexer, so dass auch der Bedarf an Freelancern immer spezifischer wird.
"Die Unternehmen möchten absolute Spezialisten - das bedeutet auch, dass wir als Dienstleister noch stärker gefordert sind", sagt Luuk Houtepen, Director Business Development in der DACH-Region bei der Personalberatung SThree.
Parallel steige der Wettbewerb zwischen den Kunden: Wer bekommt den Zuschlag des Freiberuflers zuerst? "Salopp ausgedrückt, haben in der Vergangenheit unsere eigene Datenbank und das Telefon ausgereicht. Heute müssen wir auf verschiedensten Wegen versuchen, Freiberufler zu finden und zu gewinnen." Zur Arbeit zählen etwa Freelancer-Netzwerke, verschiedene Social Networks oder die Teilnahme an fachbezogenen Events. Die derzeitige Situation bezeichnet Houtepen allerdings als "Widerspruch in sich": "Obwohl Suche und Vermittlungsarbeit wesentlich aufwändiger sind als früher, wird von Personaldienstleistern zunehmend verlangt, dass sie ihren Service möglichst günstig anbieten."
Der Markt leide schon seit Jahren unter einem hohen Preisdruck, bestätigt Bernd Sauer, Vorstand der Goetzfried AG. "Getrieben wird die Entwicklung durch die Konsolidierung seitens der Kunden sowie durch kleine Anbieter, die mit Dumpingpreisen teilweise unter der Rentabilitätsgrenze zu einer Verzerrung beitragen." Trotz der starken Nachfrage und des Engpasses an externen Spezialisten sei es bis dato noch zu keiner Preiserhöhung gekommen. "Wir gehen jedoch davon aus, dass dies in den nächsten Jahren nachgeholt wird." In der Zwischenzeit wachse laut Sauer die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage, was zu einer verlängerten Abwicklung von Digitalisierungs- und Transformationsprojekten führt.
Ausdifferenzierung der Skills
Maxim Z. Probojcevic, Marketingleiter bei Solcom, berichtet von einer Ausdifferenzierung bei den Skills, während sich der Markt weiter beschleunigt: "Der Zeitraum zwischen Bedarfsanalyse und Besetzung wird immer kleiner, so dass bei manchen Anforderungen die Suche nach dem passenden freiberuflichen Experten zunehmend aufwändiger wird."
Mit der Komplexität der Themen und Technologien würden zudem die Erwartungen der Kunden hinsichtlich Beratung und Einsatzplanung steigen, auch angesichts der rechtlichen Implikationen in der administrativen Ausgestaltung.
Die steigende Bedeutung des Preis-Leistungs-Verhältnisses, wie sie die aktuelle Freiberufler-Studie der COMPUTERWOCHE bei den Einsatzunternehmen identifiziert hat, sieht Probojcevic eher gelassen, schließlich habe der Preis für Unternehmen schon immer eine Rolle gespielt und sei daher keine neue Entwicklung. "Auf Seiten der Dienstleister bestand die Herausforderung seit jeher, Angebot und Nachfrage abzugleichen und in Einklang zu bringen."
Ohne größere Anpassungen scheint dies jedoch nicht mehr zu funktionieren. "Ein Personaldienstleister muss sich lösungsorientierter am Markt platzieren - der reine Vertriebskanal für Freiberufler und ein Personallieferant für Einsatzunternehmen reichen nicht mehr aus", sagt Markus Reefschläger, Geschäftsführer der GECO Deutschland GmbH. Daher rücke das Unternehmen Beratungsleistungen und weiterführende Services künftig noch stärker in den Fokus.
Auch der Personaldienstleister Questax wird als Folge der veränderten Rahmenbedingungen neben der Fokussierung auf spezielle Themengebiete die eigene Service-Palette erweitern, berichtet Geschäftsführer Ulrich Wantia - etwa in Richtung Werkverträge. "Als Herausforderungen begegnen uns im Berufsalltag vor allem gestiegene Anforderungen hinsichtlich Vertragsform- und Prozessflexibilität, zudem erwarten viele Kunden eine Open-Book-Policy."
Wantia spricht von einem "steigenden Rekrutierungsaufwand bei sinkenden Preisen". Mittlerweile hätten viele Unternehmen ihren Einkauf in Bezug auf die Beschaffung von IT-Dienstleistungen professionalisiert und würden den aktuellen Marktpreis für bestimmte IT-Skills kennen, so der Questax-Geschäftsführer: "Wer die idealen Kandidaten finden möchte, sollte wissen, was gesucht ist und dafür einen fairen Preis bezahlen."
Laut Experis-Geschäftsführerin Sonja Pierer "bewerten Kunden das Preis-Leistungsverhältnis zunehmend dann als positiv, wenn der Personaldienstleister einen nachhaltigen, zukunftsorientierten Lösungsansatz aufweist und sich nicht nur auf die kurzfristige Bedarfsdeckung beschränkt". Neben der technologischen Fachkompetenz würden Unternehmen vor allem vorausschauende Lösungen vom Personaldienstleister erwarten, die sich an ihren individuellen strategischen und operativen Herausforderungen orientierten. "Unsere Branche muss technische Kompetenz und Verständnis für die IT-Strategie des Kunden aufbauen", fordert Pierer. Dies könne jedoch nur gelingen, wenn der Personaldienstleister durch seine Kompetenz, sein Lösungsangebot und seine enge Kundenbeziehung vom Einsatzunternehmen als "Trusted Advisor" wahrgenommen wird.
"Der Markt wird sich im Jahr 2017 stärker verändern als in den vergangenen Jahren", prognostiziert Christian Neuerburg, Country Transformation Director der DIS AG. Mit der Novelle der Arbeitsmarktgesetze über die Anpassung des § 611 BGB (Dienstvertrag) sowie den Änderungen im Bereich des AÜG wachse der Compliance-Druck auf Vermittler, Freiberufler und Einsatzunternehmen. "Diese gestiegenen Anforderungen führen zu einer Konsolidierung, in deren Verlauf nur die wirklich nachhaltigen und rechtskonformen Anbieter überleben werden." Auch der direkte Einsatz von Freiberuflern in Unternehmen werde in diesem Zuge "drastisch schrumpfen, da er einfach nicht compliant ist". Die Vermittler wiederum müssten sich sehr attraktiv für die Freiberufler machen und alle technischen Möglichkeiten ausschöpfen, um diese für ihre Kunden zu finden.
In die gleiche Kerbe schlägt Christian Steeg, Director IT Contracting bei Hays: "Die größten Unsicherheiten im Markt entstehen derzeit durch mangelnde Kenntnisse der rechtlichen Situation, und in der Folge wird das Thema Compliant Sourcing immer wichtiger." Entscheidend sei, dass die Weiterentwicklung der Rechtssicherheit den Rekrutierungsweg diktiere. Für Steeg liegt die größte Herausforderung darin, den perfekten Match von Kandidat und Unternehmen in Kombination mit einem Compliant Sourcing so zu verbinden, dass auch die Beschaffung über die richtige Vertragsform erfolgt. "Dafür müssen Dienstleister und Kunden im Schulterschluss an einem Strang ziehen, um das ideale Model zu finden, das den unterschiedlichen Projektanforderungen Rechnung trägt." Hierfür werde die Expertise des Personaldienstleisters immer wichtiger.
Turbulenzen für die Personaldienstleister prognostiziert auch Andreas Krawczyk, allerdings aus einer anderen Perspektive: "Die deutsche Personalbranche die Digitalisierung verschlafen", sagt der COO der Online-Plattform freelance.de. Während sich fast alle anderen Sektoren bereits im Neuerfindungsprozess befinden, würden die meisten Vermittler noch wie in den 90-er Jahren arbeiten. "Aber Freelancer wollen und werden ihr Einsatzunternehmen zukünftig selbstbestimmt, transparent und schnell auswählen." Dabei beobachtet Krawczyk zwei maßgebliche Herausforderungen: Personaldienstleister müssen sowohl den Spagat zwischen Preisdruck, Compliance und Digitalisierung schaffen als auch die neue Generation der IT-Experten begeistern, "die völlig anders ticken als die Alteingesessenen". Daher erwartet er, dass sich in den kommenden Jahren die Branche drastisch verändern wird. "Sollte die Lünendonk-Liste überhaupt noch Referenz sein, werden bald junge, neue Player in den Top-20 mitmischen."
Klarheit herrscht jedenfalls bei den gesuchten Skills, allen voran die IT-Sicherheit: "Besonders nachgefragt sind High-Skill-Freelancer, die sich auf Security-, Web- und Mobile-Entwicklung spezialisiert haben oder über tiefgehende Kenntnisse für Big Data, Cloud sowie in der IT-Beratung verfügen", sagt Experis-Geschäftsführerin Pierer. DIS-Manager Neuerburg verweist auf "die Digitalisierung von Geschäftsprozessen sowie agile Projektmethoden", während Gulp-Marketingleiter Symanek ergänzt: "Daneben sind auch Soft-Skills wie selbstständiges Arbeiten, Teamfähigkeit, Selbstbewusstsein oder Stressresistenz für die Arbeit als Freelancer unverzichtbar."
Nicht ohne Folgen: In den kommenden Jahren liege die Aufgabe für Web-Portale und Personaldienstleister darin, die zu erwartende massive Lücke zwischen Bedarf und Angebot zu schließen, sagt SThree-Director Houtepen: "Ehrlich gesagt, weiß ich manchmal nicht, wo wir 2020 alle dann benötigten Fachkräfte herbekommen sollen." Es zeichnet sich ab: Die vergangenen Jahre waren eine Aufwärmphase. Der richtige Wettbewerb zwischen den Einsatzunternehmen um die besten Freiberufler steht der Wirtschaft noch bevor.
"IT-Freiberufler-Studie 2017"
Die Studie basiert auf einer Online-Befragung, in deren Rahmen im Zeitraum von 14. Dezember 2016 bis 17. Januar 2017 insgesamt 917 qualifizierte Interviews durchgeführt wurden. Grundgesamtheit sind zum einen die IT-Freiberufler selbst sowie zum anderen IT-Projektverantwortliche und IT/TK-Entscheider aus Einsatzunternehmen der DACH-Region, darunter CIOs/IT-Vorstände, IT-Leiter, IT-Projektleiter, Fachbereichsleiter, Einkäufer und vergleichbare Funktionen. Hierzu wurden zwei Stichproben gezogen und zwei unterschiedliche Fragebögen entwickelt. Den Ergebnissen der Studien liegen 578 Interviews mit IT-Freiberuflern sowie 339 Interviews in den Einsatzunternehmen zugrunde.
Sie finden die IT-Freiberufler-Studie 2017 bei uns im Shop.