Digitaler Zwilling

Marode Brücken besser überwachen und erhalten

05.02.2024
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Deutschlands Brücken bröckeln. Mit Hilfe Digitaler Zwillinge sollen sie besser und effizienter erhalten werden. Grundlage ist das Pilotprojekt smartBRIDGE Hamburg.
Mit Digitalen Zwillingen will das Bundesverkehrsministerium in die vorausschauende Instandhaltung von Brücken einsteigen.
Mit Digitalen Zwillingen will das Bundesverkehrsministerium in die vorausschauende Instandhaltung von Brücken einsteigen.
Foto: HPA AöR & MKP GmbH

Über 4.000 Brücken in Deutschland gelten als marode, andere Quellen sprechen sogar von 16.000 sanierungsbedürftigen Brücken - darunter wichtige Autobahnverbindungen. Steht dann der Brücken-TÜV gemäß DIN 1076 an, dann bleibt als Ergebnis, so die ibau GmbH, oft nur noch die sofortige Sperrung und abschließende Sprengung des Bauwerks. In der Region folgt dann meist ein jahrelanges Verkehrschaos.

Digitale Zwillinge für Brücken

Dem möchte jetzt das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) mit Digitalen Zwillingen begegnen. Die Digital Twins der Brücken sollen eine vorausschauende und nachhaltige Instandhaltung der Verkehrsinfrastruktur ermöglichen. Über Sensoren, die am Bauwerk installiert sind, soll das virtuelle Modell Echtzeitdaten zu Zustand und Verhalten einer Brücke bekommen. Ergänzend fließen Daten aus der regelmäßigen Bauwerksprüfung und -diagnostik in das Modell ein.

Bundesminister Volker Wissing ist überzeugt, dass "durch das digitale Zusammenspiel dieser Informationen schnell erkannt werden kann, wie stark die Belastung ist, an welchen Stellen Schäden drohen und wo rechtzeitig instandgesetzt werden muss". So könne schneller reagiert werden, weil das Verhalten einer Brücke prognostizierbarer werde.

Reallabor Digitaler Zwilling

Grundlage für ein Pilotprojekt ist die reale Hamburger Köhlbrandbrücke.
Grundlage für ein Pilotprojekt ist die reale Hamburger Köhlbrandbrücke.
Foto: foto-select - shutterstock.com

Damit das Ganze nicht nur graue Theorie bleibt, hat das BMDV in Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg das Reallabor Digitaler Zwilling ins Leben gerufen. Grundlage dafür ist das Pilotprojekt smartBRIDGE Hamburg. Dieses liefert ein virtuelles Abbild der Hamburger Köhlbrandbrücke.

So sieht der Digitale Zwilling der Köhlbrandbrücke aus.
So sieht der Digitale Zwilling der Köhlbrandbrücke aus.
Foto: Screenshot smartbridge-hamburg.com

Die Köhlbrandbrücke verbindet seit 1974 die Elbinsel Wilhelmsburg mit der Bundesautobahn 7. Sie ist vor allem für den Schwerlastverkehr von Bedeutung, da sie im Hafengebiet liegende Containerterminals mit der Autobahn verbindet. Seit Jahren wird über einen Abriss der Brücke diskutiert, weil ihre Bausubstanz durch den zunehmenden Schwerlastverkehr in Mitleidenschaft gezogen wird. Deshalb wird auch eine genaue Überwachung des Zustands immer wichtiger.

Beispiel Köhlbrandbrücke

Detailansicht verschiedener Brückenbauteile im Digital Twin.
Detailansicht verschiedener Brückenbauteile im Digital Twin.
Foto: Screenshot smartbridge-hamburg.com

Welches Potenzial Digitale Zwillinge bei der Zustandsbeurteilung bieten, zeigt das Beispiel Köhlbrandbrücke. Dabei ist es einem interdisziplinären Team aus Bau- und Verkehrsingenieuren sowie IT-Spezialisten gelungen, eine digitale Abbildung der Brücke zu erstellen. Der Digitale Zwilling führt nicht nur aktuelle Zustandsdaten und Befunde, sondern zu erwartende Wartungsmaßnahmen und Risiko-Einschätzungen zusammen. Zudem ist das virtuelle Modell mit dem realen Bauwerk vernetzt.

Simulation von Schäden

Im virtuellen Abbild der Köhlbrandbrücke lassen sich auch Wettereignisse wie ein Orkan simulieren.
Im virtuellen Abbild der Köhlbrandbrücke lassen sich auch Wettereignisse wie ein Orkan simulieren.
Foto: Screenshot smartbridge-hamburg.com

So lässt sich anhand des Digitalen Zwillings der Zustand der Brücke beurteilen. Zudem können auch nur Teilstücke wie Mittelteil oder Ostrampe betrachtet werden. Des Weiteren erlaubt das digitale Abbild Detaileinblicke in einzelne Baugruppen wie Lager, Beläge, Über- und Unterbau oder etwa die Brückenseile.

So gibt der Digitale Zwilling beispielsweise darüber Auskunft, wo Risse im Stahlbeton auftreten, Lochfraß vorhanden ist oder eine Aussinterung auftritt. Zudem lässt sich simulieren, welche Auswirkungen unterschiedliche Verkehrsbelastung auf den Zustand des Bauwerks haben. Ebenso können in der digitalen Welt Wetterereignisse wie etwa ein Orkan und seine Auswirkungen untersucht werden, oder welche Folgen Drahtbrüche haben.

smartBRIDGE Hamburg

Zum Digital Twin der Köhlbrandbrücke gibt es auch einen Testzugang.
Zum Digital Twin der Köhlbrandbrücke gibt es auch einen Testzugang.
Foto: Screenshot smartbridge-hamburg.com

Beim BMDV ist man zuversichtlich, dass die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt smartBRIDGE Hamburg, die Grundlagen zur Ausweitung des Digitalen Zwillings auf die Sanierung des gesamten Bundesfernstraßennetzes schaffen. Mit dem Start des Reallabors hat das Ministerium zudem in Kooperation mit der Hamburg Port Authority ein Dokument mit dem Titel "Digitaler Zwilling von Brücken" veröffentlicht, das sich mit der vorausschauenden Instandhaltung befasst.

Testzugang

Für Interessierte steht unter diesem Link ein kostenfreier Testzugang zum Reallabor bereit. Diese Testversion ermöglicht einen interaktiven Einblick in die Funktionsweisen des Digitalen Zwillings der Hamburger Köhlbrandbrücke - allerdings werden dazu keine realen Daten verwendet.