AWS Summit 2020

"Man kann nicht gegen die Schwerkraft ankämpfen"

24.06.2020
Von 


Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Amazon Web Services (AWS) konnte deutlich von der Nachfrage nach Cloud-basierten Diensten infolge der Coronakrise profitieren. Das wurde auf dem digital ausgetragenen AWS Summit 2020 als weiterer Durchbruch gefeiert - aber es gab auch Grund zur Mahnung.
Trotz positiver Erfahrungen während der Coronakrise sehen einige Unternehmen die Cloud mit gemischten Gefühlen.
Trotz positiver Erfahrungen während der Coronakrise sehen einige Unternehmen die Cloud mit gemischten Gefühlen.
Foto: wavebreakmedia - shutterstock.com

"Die letzten Monate haben eine neue Ära der Technologie eingeläutet und beschleunigen den Weg in eine Welt, die wir vor vielen Jahren vorhergesagt haben", sagte Werner Vogels, Cheftechnologe von Amazon und AWS im Rahmen der Veranstaltung. Er glaube, dass die Pandemie die Vorteile der Cloud noch deutlicher gemacht habe und somit die Verbreitung weiter erhöhen werde. So sei die Cloud angesichts des Lockdowns in vielen Unternehmen und des plötzlichen massiven Wechsels zur Remote-Arbeit von zentraler Bedeutung gewesen - für die Aufrechterhaltung bestehender Geschäftsabläufe, aber auch für die Einführung ganz neuer Prozesse.

Als Konsequenz erwartet der Amazon-CTO, dass die meisten Organisationen im Jahr 2020 und darüber hinaus zu einer vollständig Cloud-basierten Umgebung übergehen werden, in der jeder Mitarbeiter von überall und jederzeit auf jede Anwendung und jeden Dienst zugreifen kann. "Während sich viele Aspekte des täglichen Lebens als Reaktion auf diese beispiellosen Zeiten drastisch verändert haben, stellen sich weltweit Unternehmen der Herausforderung, Prozesse zu verbessern und ihre Geschäftsaktivitäten einfacher, schneller und sicherer aufzustellen", sagte Vogels.

Der Amazon-CTO verwies als Beispiel auf die App FilaIndiana, die in Italien von einer gemeinnützigen Organisation entwickelt wurde, um die voraussichtlichen Wartezeiten vor Supermärkten anzuzeigen. In nur 30 Stunden hätten fünf Studenten ohne jegliche Erfahrung mit AWS die erste Version der App auf Basis von Serverless Infrastructure gebaut. Innerhalb einer Woche nach dem Start hatten bereits mehr als eine Million Nutzer die App heruntergeladen. Für Vogels ist das ein Beispiel dafür, wie die Cloud Kreativität und Agilität ermöglicht - ein gutes Entwicklungsteam vorausgesetzt.

Ein anderes Beispiel sei die während der COVID-19-Pandemie entwickelte und innerhalb von eineinhalb Wochen gelaunchte Telemedizin-Plattform Care Connect des schwedischen Gesundheitsunternehmens KRY. Sie läuft in der AWS-Cloud und nutzt die Amazon-Dienste S3, CloudFront, ECS auf AWS Fargate sowie Aurora. Das Tool ist bereits in zehn Sprachen verfügbar und ermöglicht es Patienten, ihren Arzt per Video zu konsultieren.

Die Hausaufgaben nicht vergessen

Vogels wies allerdings auch darauf hin, dass die Art und Weise, wie manche Unternehmen Cloud-Dienste in der Notfallphase genutzt hätten, nicht ideal gewesen sei. Wenn man Software für die Cloud entwickele, müsse die Architektur von Anfang an gut durchdacht sein. Entwickler, die die Grundlagen vernachlässigten, hätten früher oder später darunter zu leiden, erklärte der Amazon-CTO. Lösungen seien zum Scheitern verurteilt, wenn die Grundprinzipien verletzt würden.

Amazon-CTO Werner Vogels ist überzeugt, dass die Pandemie die Vorteile der Cloud noch deutlicher gemacht hat.
Amazon-CTO Werner Vogels ist überzeugt, dass die Pandemie die Vorteile der Cloud noch deutlicher gemacht hat.

"Wir haben immer betont", sagte Vogels, "dass das Entwickeln von Lösungen dem Errichten eines Gebäudes ähnelt: Solide Fundamente sind erforderlich, nämlich stabile, sichere und effiziente Systeme." Dies gelte umso mehr in Zeiten wie diesen, in denen Lösungen häufig besonders schnell umgesetzt werden müssten. Andernfalls würden sich die Systeme später als ineffizient, unsicher oder anfällig erweisen. Als Möglichkeit, um hier nachzubessern, verwies der gebürtige Niederländer auf verschiedene Ressourcen, die AWS bereitstellt - von der Amazon Builders' Library bis zum Well-Architected Framework.

Dass es seltsam erscheinen müsse, 2020 immer noch über die Grundlagen zu sprechen, sei ihm klar, räumte Vogels ein. Sie stellten aber ein Schlüsselelement für das Anwendungsdesign dar. "Wenn Sie als unabhängige Entwickler oder als internes IT-Team in Unternehmen die Basics nicht ausreichend berücksichtigen, besteht die Gefahr, dass Sie von den Möglichkeiten der Cloud enttäuscht sein werden." Und darunter würde letztendlich auch AWS leiden, so Vogels: "Kunden müssen erfolgreich sein, damit wir erfolgreich sind."

"Cloud-Warmduscher" sind gefährdet

Auch AWS-CEO Andy Jassy ist davon überzeugt, dass die logische Konsequenz aus den Erfahrungen während der Coronakrise eine beschleunigte Bewegung der Unternehmen in Richtung Cloud sein werde. Die Pandemie habe die Abhängigkeit sowohl der Unternehmen als auch der Verbraucher von der Cloud herausgestellt, erklärte Jassy während eines "virtuellen Kamingesprächs". Fast alle Dienste, die während der Pandemie für die Menschen wichtig geworden seien, basierten auf einer Cloud-Infrastruktur - angefangen von Content-Streaming und Online-Spielen bis hin zu Videokonferenzen, File Sharing, E-Learning und Telemedizin, sagte der langjährige Amazon-Manager.

AWS-CEO Andy Jassy erwartet als Konsequenz aus den Erfahrungen der Coronakrise eine beschleunigte Bewegung in Richtung Cloud.
AWS-CEO Andy Jassy erwartet als Konsequenz aus den Erfahrungen der Coronakrise eine beschleunigte Bewegung in Richtung Cloud.

Der AWS-Chef bemängelte, dass es in einigen Unternehmen immer noch Widerstände gegen den Umstieg in die Cloud gebe - trotz der gut dokumentierten Vorteile hinsichtlich Kosten, Skalierbarkeit und Flexibilität. "Es gibt immer noch eine Gruppe von Unternehmen, die versucht, gegen die Schwerkraft anzukämpfen. Sie argumentiert, dass sie die Infrastruktur immer noch kostengünstiger selbst betreiben könne als in der Wolke", so Jassy. Er habe aber noch keine Firma gesehen, deren Infrastruktur dem Vergleich tatsächlich habe standhalten können.

Gefährdet sieht der AWS-Chef auch die Gruppe derjenigen, die wüssten, dass sie in die Cloud gehen sollten, aber sich nicht trauten. Resultat des halbherzigen Engagements dieser "Warmduscher" sei, dass sie zwei Kostenblöcken - Cloud und On-Premises - managen müssten, während der Wettbewerb an ihnen vorbeiziehe.Geschwindigkeit sei überproportional wichtig, sagte Jassy: "Wer sich nicht schnell bewegt, wird dem Wettbewerb hinterherlaufen, statt ihn anzuführen."

Cloud-Bedenken nehmen ab

"Mit der Coronakrise sind viele Bedenken gegenüber der Cloud ausgeräumt worden und die Akzeptanz ist deutlich gestiegen", bestätigt IDC-Analystin Carla Arend im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE. So habe eine IDC-Umfrage ergeben, dass 58 Prozent der Organisationen in Westeuropa ihre Investitionen in Infrastructure as a Service (IaaS) angesichts der Coronakrise beibehalten oder steigern wollen. In Deutschland seien es mit 60 Prozent sogar noch mehr, so Arend.

"Flatten the Curve" im Business-Kontext
"Flatten the Curve" im Business-Kontext
Foto: IDC

Die Organisationen hätten erkannt, dass sich Cloud-Dienste gut dafür eigneten, den Betrieb während des Lockdowns aufrecht zu halten, erklärt die IDC-Analystin. Mit der nächsten Phase der Coronakrise ändere sich das Ziel der Investitionen: Ging es in den Monaten März und April verstärkt um das Thema Business Continuity, werde nun versucht, angesichts der unklaren wirtschaftlichen Zukunft die Kostensituation zu verbessern und Widerstandsfähigkeit zu entwickeln.

Dass Unternehmen nun aber alles in die Cloud verlagern werden, bezweifelt die Storage- und Cloud-Expertin. Das Problem sei, so Arend, dass die Cloud-Nutzung in den Betriebskosten als laufende Ausgaben verbucht werde. Diese versuchten Unternehmen derzeit jedoch niedrig zu halten.

Während der Coronakrise spielt die Cloud in vielerlei Hinsicht eine strategische Rolle.
Während der Coronakrise spielt die Cloud in vielerlei Hinsicht eine strategische Rolle.
Foto: IDC

Was sich sicher jetzt ändern werde, sei die Art der Cloud-Projekte: Standen vor COVID-19 noch Themen wie die SAP-Migration in die Cloud im Vordergrund, liege der Fokus aktuell mehr auf kurzfristigen Projekten, die sofort oder innerhalb eines Quartals einen Umsatzbeitrag lieferten.