Künstliche Intelligenz

Macht KI ERP-Systeme schlauer?

01.03.2019
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Dirk Bingler ist seit 2011 Sprecher der Geschäftsführung in der GUS Group. Seit 2014 engagiert er sich aktiv als Vorstand des Arbeitskreises ERP im Bitkom. Seine Themenschwerpunkte sind die Zukunft von ERP-Systemen sowie die Auswirkung der Digitalisierung auf deren Architekturen. Dirk Bingler verfügt über 21 Jahre Branchenerfahrung im internationalen Konzernumfeld bei der Siemens AG und seit 2003 im Mittelstand.
Enorme Datenmengen und Rechenleistung aus der Cloud machen Künstliche Intelligenz zum Hype, auch im ERP-Umfeld. Doch was genau kann KI wirklich und was nicht?

Computer übernehmen die Macht über die Menschheit und werden zu Monstern – wer Frank Schätzings Werk "Die Tyrannei des Schmetterlings" gelesen hat, dem wird beim Gedanken an Künstliche Intelligenz (KI) angst und bange. Doch – und da sind sich die Wissenschaftler einig – mit menschlichem Denken oder gar einem eigenen Willen hat KI heute absolut nichts zu tun. Szenarien wie das von Schätzing gehören daher eindeutig noch in den Bereich Science-Fiction.

Von wirklich intelligenten Enterprise Resource Planning (ERP) Systemen, die ein Unternehmen mehr oder weniger automatisch steuern, kann derzeit noch keine Rede sein.
Von wirklich intelligenten Enterprise Resource Planning (ERP) Systemen, die ein Unternehmen mehr oder weniger automatisch steuern, kann derzeit noch keine Rede sein.
Foto: Alexander Supertramp - shutterstock.com

KI ist immer nur so gut wie ihre Datenbasis

Doch was versteht man heute überhaupt unter KI? Letztlich beschreibt sie die Fähigkeit eines Computers oder Programms, mithilfe von Algorithmen rationale Entscheidungen zu treffen und gezielt Aufgaben zu bewältigen. Fälschlicherweise wird KI oft mit Maschinellem Lernen gleichgesetzt, was streng genommen jedoch nur eine Untermenge von Künstlicher Intelligenz darstellt. In erster Linie handelt es sich beim Maschinellen Lernen um eine spezielle Art der Softwareentwicklung. Dabei werden einem System Modelle mit Daten antrainiert. Es lernt daraus und kann die Ergebnisse nach Beendigung der Lernphase verallgemeinern.

Unabhängig von ihrer Ausprägung kann eine KI jedoch immer nur so gut sein wie der Input, mit dem man sie versorgt. Die Qualität der Aussagen hängt daher neben der Programmierung der Algorithmen in erster Linie von den vorhandenen Daten ab. Je mehr saubere und aussagefähige Informationen zur Verfügung stehen, desto verlässlicher ist das Modell. Wie sich die Lösung einer KI genau herleitet, ist dem menschlichen Programmierer dabei oft gar nicht mehr transparent. Dazu kommt, dass das "Training" von KI ein kontinuierlicher Prozess ist, der auf jedes Anwenderunternehmen individuell zugeschnitten sein muss.

KI und ERP – Standardlösungen für Standardaufgaben

Trotz allem Hype um KI-Lösungen, wie Selbststeuernde Systeme, Predictive Services, Natural Language Interfaces, Intelligente Bots etc. - KI ist kein fertiges Programm, das sich auf Knopfdruck implementieren lässt. ERP-Anbieter, die KI quasi als Standardlösung vermarkten, haben daher heute ausschließlich Programme für sehr generische Aufgaben im Angebot.

Ein Beispiel ist der automatische Rechnungseingang: Ohne den Einsatz von KI werden die eingehenden Dokumente dazu gescannt, mithilfe von OCR (Optical Character Recognition, automatisierte Texterkennung innerhalb von Bildern) den vorhandenen Datenstrukturen im ERP-System zugeordnet und automatisch verbucht. Erkennt das System eine Rechnung nicht oder nur teilweise, wird der Vorgang an den zuständigen Sachbearbeiter weitergeleitet.

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Bis hierhin ist der Prozess noch ziemlich allgemeingültig. Eine KI könnte in diesem Fall helfen, die Zuordnung der aus dem Bild ausgelesenen Daten zu optimieren. Dazu würde man die ausgelesenen Informationen mit erfolgreichen Buchungen in der Vergangenheit kombinieren und so die Quote der automatisch verbuchten Eingangsrechnungen erhöhen. Die KI lernt somit aus bereits existierenden Falldaten. Sie macht das ERP-System also nicht wirklich intelligenter oder autonomer, erhöht aber – bei richtigem Anlernen – den Automatisierungsgrad bei der korrekten Weiterverarbeitung von Eingangsrechnungen.

Probleme lösen, bevor sie auftreten

Komplexere KI-Lösungen im ERP-Kontext beziehen sich heute ebenfalls vor allem auf Optimierungsaufgaben oder Anwendungen, welche die Prognosegenauigkeit erhöhen. Sie können etwa dabei helfen, in einer Fabrik die optimale Produktionsreihenfolge zu ermitteln, Absatzprognosen zur Bestandsoptimierung erstellen oder den Nutzer mithilfe von Plausibilitätsprüfungen darauf hinweisen, dass eine Eingabe möglicherweise fehlerhaft ist.

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Mit ähnlichen Modellen lassen sich auch andere Ereignisse vorhersagen, wie beispielsweise die Zufriedenheit der Kunden. Ein Beispiel: Eine KI kann den Projektleiter bereits vor möglichen Problemen im Projekt warnen, noch bevor der Kunde sich selbst meldet. Voraussetzung für den zugrunde liegenden Machine Learning-Algorithmus war zunächst das Sammeln und Zusammenführen von über 70 Merkmalen. Hinzu kam das Bereinigen großer Mengen an Daten aus dem ERP-System sowie das Herunterbrechen der Informationen auf Monats- und Projektebene. Dazu gehören vergangene Beschwerden und erfasste Projektstunden ebenso wie bezahlte und unbezahlte Rechnungen. Heute sagt das System mit einer Genauigkeit von 83 Prozent voraus, ob es beim Kunden in den nächsten Wochen Probleme gibt. Tendenz steigend: Denn die KI lernt kontinuierlich weiter – vorausgesetzt, sie wird regelmäßig mit aktuellen Daten versorgt.

Großes Potenzial, aber kein Allheilmittel

Grundsätzlich gilt bei all diesen Anwendungsfällen: Je spezifischer eine Aufgabenstellung wird, die man mit KI lösen möchte, desto komplexer wird die Aufbereitung und Normalisierung der Daten und damit der Lernprozess. Schnell findet man sich dann in einem umfangreichen und sich kontinuierlich entwickelnden KI-Projekt wieder. Ohne tiefgehende Kenntnisse über Branche, Unternehmen und Prozesse wird dies ein schwieriges Unterfangen. Die Out-of-the-box-Lösungen vieler ERP-Anbieter helfen an dieser Stelle meist nur wenig weiter.

Das selbststeuernde ERP-System: (Noch) eine Vision

Es ist unstrittig, dass KI heute schon eine Menge kann. Mit weiter entwickelten Lösungen werden sich auch komplexe Abläufe in den nächsten Jahren zunehmend stärker automatisieren und optimieren lassen. Ein echtes "Verständnis" der KI für ein Unternehmen und dessen Prozesse oder gar eine gewisse Art von Autonomie sind jedoch Zukunftsmusik. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten ERP-Systeme heute tief in der IT-Landschaft eines Unternehmens verwurzelt sind. Die Zahl der Schnittstellen und der Grad der Vernetzung steigen somit immer weiter an. Ein Zusammenführen aller relevanten Informationen in Echtzeit, wofür eine KI flexibel auf den verschiedenen Datentöpfen eines Unternehmens aufsetzen müsste, macht das Ganze zu einer enormen Herausforderung.

Das neue COMPUTERWOCHE-Event aitomation ist die Konferenz für KI- und Automation-Macher in Hamburg. Entscheider und Anwender tauschen sich am 9. und 10. Mai 2019 über die notwendigen Grundlagen, geeignete Use Cases und Erfahrungen hinsichtlich der Implementierung von KI- und Automation-Lösungen aus.
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Foto: IDG

Kurz: KI bietet enorme Chancen, wenn es um die Optimierung einzelner Aufgaben und Prozesse geht. Von einem selbststeuernden ERP-System, das eigenständig komplexe Unternehmensprozesse managt, sind wir aber sicherlich noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte entfernt.

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