Artificial Intelligence (AI) made in Germany – dieser Begriff soll nach dem Willen der Bundesregierung zu einem weltweit anerkannten Gütesiegel werden. Zu diesem Zweck hat der Bund Ende 2018 eine "Strategie Künstliche Intelligenz" vorgestellt. Doch bis Fertigungssysteme, Fahrzeuge und Software mit Funktionen für maschinelles Lernen (ML) und KI zu einem Exportschlager werden, müssen deutsche Unternehmen noch eine Menge Hausaufgaben erledigen. Das unterstreicht die Studie "Machine Learning /Deep Learning 2019" von IDG Research Services.
Positiv ist, dass die Unternehmen erkannt haben, dass Machine Learning und Deep Learning (DL) als "Schwestertechnologien" von KI eine wichtige Rolle spielen. Laut der Umfrage zählen ML und Deep Learning mittlerweile zu den drei wichtigsten Themen im Bereich IT, mit denen sich Unternehmen in den kommenden zwölf Monaten beschäftigen. Nur Cloud Computing und IT-Sicherheit räumen Führungskräfte, CIOs und IT-Spezialisten eine höhere Priorität ein.
Hier gehts zur Studie Machine Learning/Deep Learning 2019
Damit gilt maschinelles Lernen als wichtiger als andere hoch gehandelte Technologien, beispielsweise das Internet of Things (IoT) und Big Data/Analytics. Ein Warnsignal gibt es allerdings: Derzeit priorisieren vor allem Unternehmen mit einem großen IT-Budget von mehr als zehn Millionen Euro ML und Deep Learning. Das heißt, kleinere und mittelständische Firmen setzen offenbar andere Prioritäten. Dies gibt insofern zu denken, als der Mittelstand nach wie vor das Herzstück der deutschen Wirtschaft ist.
Ein weiteres positives Signal der Studie von IDG Research Services: An die 57 Prozent der befragten Unternehmen setzen zumindest eine Applikation aus dem Bereich Machine Learning ein, 22 Prozent sogar mehrere Anwendungen. Dabei kommen vor allem Ansätze wie Spracherkennung (rund 49 Prozent), Assistenzsysteme (44 Prozent) und die maschinelle Übersetzung von Informationen (43 Prozent) zum Zuge. Dagegen sind einige der Anwendungsfelder, denen eine große Zukunft vorhergesagt wird, in der Rangliste weiter unten angesiedelt. Dazu zählen beispielsweise Expertensysteme (31 Prozent) sowie Software-Bots und Anwendungen im Bereich Robotics (jeweils rund 30 Prozent).
IT und Kundenservice profitieren von Machine Learning
Keine Änderungen ergaben sich im Vergleich zu den Studienergebnissen des Vorjahres in Bezug auf die Abteilungen, die am meisten von ML und KI profitieren. Nach wie vor wird der Nutzen für die IT-Abteilungen (36 Prozent) und den Kundenservice (29 Prozent) am höchsten eingestuft. Dies ist darauf zurückzuführen, dass insbesondere IT-Sicherheitsanwendungen automatisierte Lernfunktionen einsetzen, um Cyber-Angriffe und Spam-E-Mails zu erkennen. Dasselbe gilt für Lösungen, die zur Authentifizierung von IT-Usern dienen.
Eine wichtige Rolle spielen maschinelles Lernen und KI-Anwendungen außerdem in Produktionsumgebungen (29 Prozent). Beispiele sind vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) und Zustandsüberwachung (Condition Monitoring) von vernetzten Fertigungssystemen. Auf der Hannover Messe 2019 war eine große Zahl entsprechender Lösungen zu sehen. Sie belegen, dass Machine Learning das Potenzial hat, neue Anwendungs- und Geschäftsfelder zu erschließen, und dies nicht nur im Kontext Industrie 4.0 und Smart Factory.
Machine Learning soll in erster Linie optimieren
Doch dieser strategische Aspekt von ML ist in deutschen Unternehmen noch nicht so recht angekommen. Vielmehr sehen Nutzer in dieser Technik vor allem ein Mittel, um interne Prozesse zu verbessern (37 Prozent) und die Effizienz zu steigern (36 Prozent). Vor allem Führungskräfte sehen in maschinellem Lernen ein Optimierungs-Tool (41 Prozent). Nur ein Viertel hofft damit neue Produkte und Services entwickeln zu können. Diese eher konservative Sichtweise zeigt sich auch in einem weiteren Ergebnis der Studie: Nur neun Prozent der befragten Betriebe haben KI und Machine Learning bereits in ihr Geschäftsmodell integriert. Die Mehrzahl (53 Prozent) setzt die Technologien punktuell ein, etwa als weitere Methode für die Datenanalyse und für das Erstellen von Reports. Allerdings gilt es dabei zu berücksichtigen, dass ein beträchtlicher Teil der befragten Firmen derzeit noch dabei ist, die Grundlagen für den Einsatz von maschinellem Lernen zu legen.
Zumindest ein Teil der Voraussetzungen ist jedoch schon erfüllt. So liegen bereits in mehr als 80 Prozent der Firmen Daten vor, die über einen längeren Zeitraum hinweg erfasst wurden. Zu diesen Langzeitdaten zählen beispielsweise Informationen, die Maschinen und Produktionsanlagen generiert haben, zudem Transaktionsdaten, Kundeninformationen und Log-Daten. Auch die IT- und Netzinfrastruktur, die für Machine-Learning-Projekte erforderlich ist, stellt für mehr als die Hälfte der Befragten kein Problem dar: Sie ist bereits vorhanden.
Das sagen Experten zum aktuellen Einsatz von Machine Learning/Deep Learning:
Eine Herausforderung ist jedoch die Qualität der Daten, mit denen ML-Systeme gefüttert werden. Sie bildet für 34 Prozent der Firmen die größte Hürde, wenn sie entsprechende Systeme einführen wollen. Das gilt gleichermaßen für große Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten und kleinere Firmen. Das heißt, bevor der Datenschatz gehoben werden kann, steht zunächst eine Konsolidierung und Aufbereitung der Datenbestände an. Erst dann können diese von ML-Algorithmen verarbeitet und von Data Scientists in verwertbare Reports umgesetzt werden.
ML-Experten sind kaum zu bekommen
Erschwert wird dies durch einen zweiten Faktor: die Unverständlichkeit von Machine-Learning-Algorithmen (30 Prozent). Abhilfe können ML-Experten schaffen. Daher ist es nachvollziehbar, dass 39 Prozent der Firmen solche Fachleute einstellen wollen. Doch ebenso wie Data Scientists sind diese auf dem Arbeitsmarkt kaum zu finden. Hinzu kommt, dass es IT- und Fachabteilungen generell schwerfällt, aus dem vorhandenen Mitarbeiterbestand Kollegen für ML-Projekte abzustellen. Daher wollen 32 Prozent der Befragten die personellen Ressourcen erhöhen. Doch auch hier gilt: Die größte Hürde ist ein weitgehend leer gefegter IT-Arbeitsmarkt.
Ein Ausweg sind externe Fachleute, etwa von IT-Beratungshäusern und Service-Providern. Rund 55 Prozent der deutschen Unternehmen greifen bei Machine-Learning-Projekten auf die Hilfe von Dienstleistern zurück. Allerdings wird die Variante nur für Detailaufgaben gewählt. Vor allem mittelständische und kleinere Firmen mit weniger als 1000 Mitarbeitern setzen auf einen Inhouse-Ansatz. Das heißt, Projekte werden weitgehend eigenständig durchgeführt, ohne Hilfe externer Beratungs- und IT-Häuser.
Ein möglicher Grund für diese Haltung sind die Kosten, die damit verbunden sind, ein weiterer die Furcht davor, in die Abhängigkeit von externen Fachleuten zu geraten. Ein Hemmnis beim Einsatz von KI und Machine Learning können jedoch auch mehr Fachkräfte und eine bessere Datenqualität nicht beseitigen: die mangelhafte Abstimmung zwischen IT-Abteilungen und den Fachbereichen. Techniker und Anwender müssen offenkundig Wege finden, um ihre Anforderungen aufeinander abzustimmen. Daher haben etliche Unternehmen mittlerweile interdisziplinäre KI- und ML-Projektgruppen ins Leben gerufen.
Fazit: Da geht noch mehr!
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein beträchtlicher Teil der deutschen Betriebe erkannt hat, dass KI und Machine Learning weit mehr sind als ein Hype. Das zeigt die große Zahl von Firmen, die sich mit diesen Themen beschäftigt und Anstalten macht, diese Technologien in ihre Lösungen zu integrieren. Aber es gibt eine ganze Reihe von Klippen, die zu umschiffen sind, wie die Studie aufzeigt. Eine ist die nur schwach ausgeprägte strategische Sicht. Machine Learning wird ebenso wie KI häufig als "Tool" betrachtet, mit dem sich bestehende Abläufe und Angebote optimieren lassen. Das Potenzial, neue Geschäftsmodelle und Services umzusetzen, ist bei etlichen Firmen noch nicht angekommen.
Hier gehts zur Studie Machine Learning/Deep Learning 2019
Es wäre außerdem zu kurz gedacht, nur in vernetzten Produktionsumgebungen auf Machine Learning zu setzen. So gut wie alle Unternehmensbereiche und auch Branchen können davon profitieren – vom Finanzsektor über den Einzelhandel bis hin zum Gesundheitswesen. Wenn Unternehmen, unterstützt von Forschung und den Anbietern von Machine-Learning-Lösungen, Use Cases entwickeln, könnte es tatsächlich etwas werden mit "Artificial Intelligence (AI) made in Germany".
Studiensteckbrief
Herausgeber: COMPUTERWOCHE, CIO, TecChannel und ChannelPartner.
Studienpartner:
Platin-Partner: Siemens, Tech Data.
Gold-Partner: Lufthansa Industry Solutions.
Bronze-Partner: in GmbH, A1 Digital.
Grundgesamtheit: Oberste IT- und IT-Security-Verantwortliche von Unternehmen in der D-A-CH-Region: strategische (IT-)Entscheider im C-Level-Bereich und den Fachbereichen (LoBs), IT-Entscheider und IT-Spezialisten aus dem IT-Bereich.
Teilnehmergenerierung: Stichprobenziehung in der IT-Entscheider-Datenbank von IDG Business Media. Persönliche E-Mail-Einladungen zur Umfrage.
Gesamtstichprobe: 343 abgeschlossene und qualifizierte Interviews.
Untersuchungszeitraum: 31. Januar bis 2. Februar 2019.
Methode: Online-Umfrage (CAWI).
Fragebogenentwicklung: IDG Research Services in Abstimmung mit den Studienpartnern.
Durchführung: IDG Research Services.
Technologischer Partner: Questback GmbH, Köln.
Umfragesoftware: EFS Survey Fall 2018.