Die Zeiten, in denen neue Produkte und Geschäftsideen noch langwierig und kostspielig entwickelt beziehungsweise umgesetzt werden konnten, sind vorbei. Schon das 2001 veröffentlichte Manifest für Agile Softwareentwicklung hat das angedeutet. Heute sind vier Eckpfeiler der agilen Methode auch für das Change Management relevant: das iterative Vorgehen, das Arbeiten an Inkrementen, die Partizipation der Entwickler an der fachlichen Ausgestaltung und die Retrospektive nach jedem Sprint.
Vier zentrale Elemente der agilen Entwicklung
Iteration: Statt ein Produkt komplett entwickeln zu wollen, arbeitet man Inkremente in kurzen Entwicklungsabschnitten, sogenannten Sprints, von zwei bis vier Wochen ab. So lassen sich Entwicklungsziele bedarfsgerecht anpassen.
Inkremente: Jede Iteration wird als konkrete und überschaubare Veränderung am Softwareprodukt in die Produktion überführt, was mehr Stabilität in den Entwicklungsprozess bringt.
Partizipation: Das Softwareentwicklungsteam ist in die fachliche Ausgestaltung eingebunden. Jenseits der reinen Programmierarbeit kann das Know-how der Entwickler zu sehr kreativen Lösungen führen. Außerdem wird die Identifikation mit dem Produkt und dem Unternehmen gestärkt.
Retrospektive: Der Rückblick zum Ende eines jeden Sprints fördert das Teambuilding, indem er auch Konflikte jenseits der inhaltlichen Arbeit adressiert und löst. Kontinuierlich verbessert sich so die Arbeitskultur für zukünftige Sprints.
Lean Startup
Das Agile Manifest hat viel mit dem etwas später eingeführten Lean-Startup-Ansatz gemeinsam. Der von Eric Ries geprägte Begriff Lean Startup kombiniert ausgewählte Prinzipien der agilen Vorgehensweise mit Lean-Manufacturing-Ideen aus den 90er-Jahren und inzwischen auch mit neueren Methoden wie Design Thinking.
Schlanke Prozesse und ein iteratives, kundenzentriertes Testen gestatten es, schnell und bei überschaubaren Kosten herauszufinden, ob ein Produkt oder Service markttauglich ist. Zu den Kernaspekten von Lean Startup, die für ein modernes Change Management bedeutsam sind, zählen Validated Learning, das Minimum Viable Product und der Build-Measure-Learn-Zyklus:
Validated Learning: Innovative Produkte zu entwickeln, geht immer mit großer Unsicherheit einher. Validated Learning verfolgt daher das Ziel, durch wissenschaftliche Experimente alle Aspekte einer Idee mit tatsächlichen oder potenziellen Kunden zu testen und systematisch fundierte Erkenntnisse zu gewinnen. Lernen wird zum Maßstab für Fortschritt. Ein Business Model Canvas gestattet es, alle Kernaspekte eines Geschäftsmodells zu veranschaulichen und falls nötig zu verändern.
MVP (Minimum Viable Product): Lean Startup will Lernprozesse beschleunigen und Investitionen geringhalten. Um schnell von der Idee zum Produkt zu kommen, wird in der ersten Iteration ein "minimal funktionsfähiges Produkt" entwickelt, das ein dringendes Kundenbedürfnis befriedigt. Anhand dieses MVP lässt sich das Feedback der Kunden einholen.
Build-Measure-Learn-Zyklus:Das kontinuierliche, experimentelle Absichern von Hypothesen durch Kundenfeedback erfolgt in drei Schritten. In der ersten Phase Build (Machen) entsteht das MVP. Dann werden in der Phase Measure (Messen) durch das Kundenfeedback Kennzahlen gesammelt, die man im letzten Schritt Learn (Lernen) analysiert. Das Experiment hat zwei mögliche Ergebnisse: Das Unternehmen kann die Idee weiterverfolgen (persevere) oder muss die Entwicklungsrichtung grundsätzlich ändern (pivot).
Herausfinden, was funktioniert - schneller als der Wettbewerb
Die Ansätze der agilen Softwareentwicklung und des Lean Startup legen den Fokus darauf, durch kurze Entwicklungszyklen schnell zu lernen und Feedback aus dem Markt frühzeitig einzuarbeiten. Dieses iterative Vorgehen minimiert Risiken und Unsicherheiten, und es eröffnet die Möglichkeit, kontinuierlich auf neue Erkenntnisse und äußere Einflüsse zu reagieren - im Idealfall schneller als der Wettbewerb.
Aber nicht nur Produkte und Services, auch Unternehmensveränderungen lassen sich in kleinen Schritten ausrollen und erproben, immer wieder anpassen und weiterentwickeln. Zu diesem Zweck können das agile Vorgehen und die Lean Startup-Methodik im Sinne eines Feedback-gesteuerten Ansatzes auf das organisatorische Change Management adaptiert werden. Jason Little hat 2014 dafür den Begriff des Lean Change Management geprägt.
Der Lean Change-Zyklus: Insights-Options-Experiment
Das Lean Change Management geht davon aus, dass ein Veränderungsprozess zyklisch verläuft. Weder ist er linear, noch muss er immer an derselben Stelle beginnen. Unternehmensspezifisches internes Wissen in Form von Einsichten (Insights) dient dazu, Handlungsoptionen zu definieren. Aus diesen Optionen wird dann eine erste konkrete Veränderungsmaßnahme selektiert, um in einem Experiment im Unternehmen eingeführt zu werden. Das Ergebnis des Experiments bestimmt die weitere Richtung.
Dem Resultat entsprechend wird die Veränderungsmaßnahme dann entweder fortgesetzt, variierr beendet. Anders als Little es tut, ist es aber sinnvoll, nicht nur einen einzelnen zyklischen Veränderungsprozess zu betrachten, sondern von immer wieder neuen dynamischen Gleichgewichten auszugehen, die es zu erreichen gilt. Ein wirklich zukunftsweisendes Lean Change Management hat kein festes Ziel und keinen definierten Abschluss. Es begreift Veränderung und Anpassung vielmehr als einen kontinuierlichen Prozess, als eine Kette aus dynamischen Gleichgewichten.
Einsichten sammeln
In einem ersten Schritt empfiehlt es sich, Einsichten zu sammeln, um auf dieser Grundlage den Veränderungsplan gestalten und den Veränderungsprozess steuern zu können. Solch eine Suche nach Einsichten sollte im Lean Change Management fortwährend erfolgen. Dies kann beispielsweise durch Interviews, agile Retrospektiven oder in Lean-Coffee-Meetings geschehen, deren Agenda die Teilnehmer ad hoc definieren.
Nachdem die so gesammelten Daten ausgewertet und analysiert sind, werden Handlungsoptionen generiert - unter Einbeziehung der Mitarbeiter, die von der Veränderung betroffen sind. Es ist sinnvoll, die Veränderungsdynamik dem Unternehmen entsprechend anzupassen und zu steuern. Grundsätzlich lassen sich verschiedenste Ideen und Methoden miteinander verbinden.
Welche konkreten Veränderungsframeworks, Problemlösungsprozesse oder Kreativitätstechniken letztlich zum Einsatz kommen, ist eine Frage, die in jedem Unternehmen individuell beantwortet werden sollte. Unverzichtbar ist allerdings, dass die Betroffenen die Veränderung aktiv mitgestalten. Dadurch lässt sich im Lean Change Management ein Veränderungsplan auch sehr viel schneller erstellen, validieren und anpassen als im herkömmlichen Veränderungsmanagement.