Suche nach Verbündeten

Laut Microsoft bevorzugen US-Behörden AWS

01.08.2022
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
AWS macht mit seinem Cloud-Angebot viele Stiche bei US-Behörden. Das passt Microsoft gar nicht. Der Konzern wirft seine Lobby-Maschine an und sucht Verbündete bei der Konkurrenz.
Wer bekommt die Cloud-Beute? Darüber ist offener Streit zwischen den Großen der Branche entbrannt.
Wer bekommt die Cloud-Beute? Darüber ist offener Streit zwischen den Großen der Branche entbrannt.
Foto: Printexstar - shutterstock.com

Die Tatsache, dass Amazon Web Services (AWS) anscheinend mehr Cloud-Verträge mit US-Behörden abschließen kann, stößt den Microsoft-Verantwortlichen offenbar sauer auf. Laut einem Bericht des Wall Street Journal (WSJ) ruft der Softwarekonzern andere Cloud-Wettbewerber wie Google und Oracle auf, gemeinsam Stimmung gegen Amazon zu machen, um die Dominanz des Cloud-Primus zu brechen.

Dafür hat Microsoft seine Lobby-Maschine angeworfen, berichtet das Blatt unter Berufung auf Insider und durchgesteckte Dokumente. Demzufolge will der Softwarekonzern gemeinsam mit seinen Verbündeten erreichen, dass große Cloud-Projekte nicht mehr an einen einzelnen Anbieter gehen, sondern auf mehrere Cloud-Plattformen aufgeteilt werden. Neben Google und Oracle soll Microsoft auch auf Branchenschwergewichte wie VMware, Dell, IBM und HPE mit der Bitte um Unterstützung herangetreten sein.

Amazon dominiert mit AWS den Markt für Cloud-Infrastruktur seit Jahren. Gartner zufolge kam der Online-Konzern im vergangenen Jahr auf einen weltweiten Marktanteil von 39 Prozent. Microsoft folgt mit seiner Azure-Cloud und einem Anteil von 21 Prozent mit deutlichem Abstand auf Platz 2. Auch im nordamerikanischen Geschäft mit Cloud-Diensten für Behörden hat AWS klar die Nase vorn. Hier führt der Online-Händler Gartner zufolge mit 47 zu 28 Prozent gegen Microsoft.

Frust bei Microsoft

An diesem Kräfteverhältnis hat sich über die Jahre hinweg wenig geändert. Das sorgt offenbar für immer mehr Frust in der Firmenzentrale von Microsoft, berichtet das WSJ unter Berufung auf Quellen, die angeblich in die Vorgänge eingeweiht sind. Demzufolge will man in Redmond mit Plädoyers und Appellen für Multi-Cloud die Vormacht des Konkurrenten brechen. Ein Papier mit dem Titel "Multi-Cloud Vision Statement and Principles" liege bereits in den Schubladen und warte auf seine Veröffentlichung.

"Wir sind besorgt darüber, dass die Ministerien und Behörden der US-Regierung (…) die gesetzlichen und behördlichen Regeln für Mehrfachvergaben sowie Best Practices der Industrie nicht eingehalten haben - wenn auch unbeabsichtigt", zitiert GeekWire aus dem Microsoft-Dokument, das dem Online-Magazin vorliegt. Single-Cloud-Anschaffungen müssten die Ausnahme bleiben und dürften nur bei wirklich berechtigtem Bedarf das Mittel der Wahl sein. Stattdessen würde eine Multi-Cloud-Policy den Wettbewerb verbessern, die Kosten senken und die Innovation fördern, so die Quintessenz des Schreibens.

Feine Unterschiede bei IaaS, Paas und SaaS

Was die Redmonder geflissentlich unter den Tisch fallen lassen: Die Appelle in Sachen Multi-Cloud beziehen sich nur auf die Infrastruktur- und Plattformangebote. Software-as-a-Service-Offerten bleiben außen vor. Dabei hat erst kürzlich eine zum Teil von Google finanzierte Studie ergeben, dass Microsoft 85 Prozent des Marktes für Produktivitätssoftware im öffentlichen Sektor der USA beherrsche. In der Google-Studie wird also ebenfalls vor einer "übermäßigen Abhängigkeit von einem einzigen Anbieter" gewarnt.

Ein Amazon-Sprecher bezeichnete die Lobbyarbeit Microsofts gegenüber dem WSJ als eigennützige Kampagne, die dazu führen könne, dass Kunden gezwungen würden, die schlechtere Technologie zu verwenden. "Kunden des öffentlichen Sektors sollten die Freiheit und Flexibilität haben selbst zu entscheiden, wie sie sichere, zuverlässige und kosteneffiziente Cloud-Dienste und Software von einem oder mehreren Anbietern ihrer Wahl beziehen wollen - ohne Zwang oder unfaire Einschränkungen bei der Softwarelizenzierung", sagte der Amazon-Sprecher.

Oracle hat sich unterdessen auf die Seite Microsofts geschlagen und erklärt, man unterstütze die Bemühungen. "Microsoft setzt sich zu Recht für eine Multi-Cloud-Strategie in der Verwaltung ein", zitiert das US-Blatt Ken Glueck, Executive Vice President bei Oracle. "Wir unterstützen diese Bemühungen von ganzem Herzen."

Cloud-Projekte hart umkämpft

Die Scharmützel zwischen den Cloud-Playern unterstreichen, wie wichtig die Cloud mittlerweile für die Geschäfte der IT-Riesen geworden sind und wie hart gerade um die Mega-Deals gekämpft wird. Bestes Beispiel: Das Joint-Enterprise-Defense-Infrastructure- (JEDI-)Projekt des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums. Wert: rund zehn Milliarden Dollar. Favorit für den Auftrag war lange Zeit AWS. Auch Sticheleien von Oracle, das bereits aus dem Rennen war, verhinderten nicht, dass im Pentagon alles auf Amazon als Cloud-Anbieter hinauslief.

Im Pentagon wurde jahrelang um das zehn Milliarden Dollar teure JEDI-Projekt gestritten - am Ende wurde das Vorhaben im Juli 2021 ganz gekippt.
Im Pentagon wurde jahrelang um das zehn Milliarden Dollar teure JEDI-Projekt gestritten - am Ende wurde das Vorhaben im Juli 2021 ganz gekippt.
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Doch kurz vor der offiziellen Vergabe machte der damalige US-Präsident Donald Trump AWS einen Strich durch die Rechnung. Er verdonnerte seinen Verteidigungsminister Mark Esper dazu, den Deal erneut auf den Prüfstand zu stellen. Der Hintergrund: Trumps private Vendetta mit Amazon-Gründer Jeff Bezos, dessen Zeitung, die Washington Post, den republikanische Präsidenten immer wieder massiv kritisiert hatte. Am Ende bekam Microsoft den JEDI-Deal.

Doch auch die Microsoft-Verantwortlichen konnten sich nicht lange darüber freuen. Das JEDI-Projekt wurde im Juli 2021 ganz gekippt und durch das Vorhaben Joint Warfighter Cloud Capability (JWCC) ersetzt. Hier sollen mehrere Cloud-Anbieter zum Zug kommen, so die Direktive des Pentagons - ganz wie es der jetzt propagierten Multi-Cloud-Konvention Microsofts entspricht.

Microsoft unter Beobachtung der europäischen Kartellwächter

In Europa dürften die Auseinandersetzungen rund um den Wettbewerb im US-Cloud-Geschäft genau beobachtet werden - nicht zuletzt von den Kartellbehörden. Im vergangenen Jahr hatten der französische Anbieter OVHCloud sowie eine Koalition rund um Nextcloud, ein Entwickler und Anbieter von freier Software für den Cloud-Einsatz, Beschwerde bei den europäischen Wettbewerbshütern eingereicht. Die Vorwürfe konzentrierten sich auf die Art und Weise, wie Microsoft Produkte wie zum Beispiel Microsoft 365 und Windows immer tiefer mit anderen Software- und Serviceprodukten integriert. "Das macht es fast unmöglich, mit eigenen SaaS-Diensten zu konkurrieren", werfen sie Microsoft vor.

Der Softwarekonzern räumte Fehler ein und versprach Besserung. Man werde die eigenen Geschäftspraktiken und Lizenzmetriken anpassen, versprachen die Microsoft-Verantwortlichen. Auch hier arbeitete der Konzern mit einem öffentlichen Dokument als einer Art Selbstverpflichtung. Microsoft kündigte darüber hinaus fünf Prinzipien an, die künftig als Richtschnur für alle Cloud-Geschäfte gelten sollen.

Ob sich der Konzern daran hält, werden die Kartellbehörden genau im Blick behalten. Man müsse die Kontrolle ernst nehmen, sagte erst im Frühjahr dieses Jahres der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt. "Weltweit läuft die Gesetzgebungsmaschinerie zur Sicherung des Wettbewerbs." Gerade den Cloud-Markt haben die deutschen Kartellbehörden auf dem Schirm. Mit Verweis auf die Beschwerden der europäischen Cloud-Provider sagte Mundt: "Microsoft ist ein alter Kunde der Wettbewerbsbehörden."