Mehr und mehr Aufgaben werden automatisiert - unsere Arbeitswelt ist dabei, sich fundamental zu verändern. Wir sind agil und lösen uns von starren Hierarchien, wir machen einfach mal gerne auch Fehler, aus denen wir lernen und überlassen die Verantwortung unseren Mitarbeitern.
Die Schaffung eines Arbeitnehmerschutzrechtes in Form der Mitbestimmung, und damit eines spürbaren Eingriffs in die unternehmerische Freiheit, erhitzte von Beginn an die Gemüter und beschäftigt immer wieder Einigungsstellen und Arbeitsgerichte. Entsprechend emotional wird nun aus einer bestimmten Richtung die digitale Transformation als Entwicklung beschrieben, welche vermeintlich an den Grundfesten des Betriebsverfassungsrechts rüttelt. Nun spräche allein die Wucht, mit welcher die neue Technik die Wirtschaft trifft und umwälzt, durchaus dafür. Bekanntermaßen und völlig zurecht prägte man den Begriff der Industrialisierung 4.0 in einer Aufzählung mit den Umbrüchen durch den Einzug von Maschinenkraft und Mechanisierung in die Produktion, der Elektrifizierung und Massenfertigung sowie der Automatisierung mit Robotern.
Automatisierung: Erst die Produktion, dann die Verwaltung
Gerade der letztgenannte evolutionäre Schritt schafft allerdings Daueranwendungsfälle für besagtes Schutzrecht, ohne dass die Normen in Frage gestellt würden - ganz im Gegenteil überwiegt die Ansicht, das Regelwerk trage zu einem sozialverträglichen Wandel bei und sei damit dem gesellschaftlichen Frieden zuträglich.
Nach der fortlaufenden Übernahme fast aller mechanischen Tätigkeiten durch in Effizienz und Präzision dem Menschen überlegene Maschinen in den Werkhallen, mit entsprechenden personellen Konsequenzen, trifft es nun die Flure der Stabsstellen in ähnlichem Ausmaß: Auch wissensbasierte Aufgaben werden zunehmend durch Rechnerleistung ersetzt.
In beiden Fällen kann natürlich eine ganze Branche, ein Geschäftsmodell oder mindestens das ein oder andere Unternehmen vom Markt verschwinden. Insoweit sind die Auswirkungen von Industrie 3.0 und 4.0 vergleichbar. Dass letztere nun zwingend zum Ende des Mitbestimmungsmodells führt, darf daher bezweifelt werden.
Das Digitalzeitalter duldet keine Verzögerungen
Einen signifikanten Unterschied gibt es allerdings doch, und der besteht in der immens hohen Veränderungsgeschwindigkeit: Während die Auf- und Umrüstung von Produktionsstraßen mit Robotern bisweilen Jahre dauern konnte, treffen Phänomene der Digitalisierung einen Markt mitunter über Nacht. Die Fähigkeit, sich hierauf immer wieder einstellen zu können, bedarf völlig anderer Maßnahmen als ein schlichter technischer Umbau. Letzterer birgt - ganz im Gegenteil - heutzutage die große Gefahr, mit Gerätschaften zu erfolgen, die im Zeitpunkt der Inbetriebnahme bereits wieder veraltet sind. Damit wäre das Innovationsziel nicht erreicht, aber Zeit und Investitionsmittel aufgebraucht.
Es sind bekanntermaßen andere Veränderungen gefragt, welche insbesondere mit der Art und Weise der Arbeit und ihrem Zusammenspiel mit den digitalen Errungenschaften zu tun haben. Und dies in einer bisher unbekannten Häufigkeit und Schnelligkeit. Somit steht das Mitbestimmungsmodell als solches vielleicht nicht in Frage, wohl aber der hierfür bislang erforderliche Zeitaufwand. Wie dargestellt fiel dies in der Bugwelle langer Umrüst- und Baumaßnahmen nicht immer auf. Im Digitalzeitalter können Verzögerungen allerdings existenzbedrohend sein.
Digitalisierung und Mitbestimmung: Was muss geschehen?
Worüber genau reden wir? Im Zuge der aufgeladenen und vielstimmigen, von Schlagworten geprägten Debatte, hilft es wie immer, genau hinzusehen und die einzelnen Themen zu ordnen.
Zunächst - quasi als Vorübung, aber auch, weil man es nicht oft genug propagieren kann - ist es unerlässlich, endgültig diejenigen Verzögerungsgründe zu identifizieren und zu eliminieren, welche bereits im prädigitalen Zeitalter ineffizient waren und damit übrigens auch den Ruf des deutschen Mitbestimmungsmodells an sich immer noch ruinieren. Dies sind
alle Rituale des Kräftemessens, basierend auf der Pflege eines (künstlichen) Antagonismus, mit den altbekannten Motiven auf beiden Seiten;
die so genannten 'Tauschgeschäfte', die sachlich entfernt sind von der eigentlich zu entscheidenden Maßnahme.
Ein dritter Punkt, der gleichzeitig den Bogen zum Digitalisierungskontext schlägt, sind dann noch Abwehrreflexe aufgrund von Wissensasymmetrie (auch dies gilt für beide Seiten, man denke nur an Betriebsräte, welche auf Druck der Belegschaft mit New-Work-Themen eine zögerliche Geschäftsleitung treiben).
Konkret zu "Sozialpartnerschaft 4.0" - hier geht es um den Einfluss der Digitalisierung auf Prozesse bei der Entscheidungsfindung und Ausübung der Mitbestimmung und die Frage, wie auf ganz neue, durch die Digitalisierung in der Arbeitswelt mit den angestammten Regelungen der Mitbestimmung zu reagieren sei. Kurzum also: 1. die - bisher überflüssige - Frage, WIE entschieden wird und 2. die Frage WAS entschieden wird.
1. Wie?
Hier finden sich vor allem Pläne, wie die neue Technik zur Beschleunigung der Abstimmung in den Gremien eingesetzt wird und wie zuvor ausreichende Entscheidungskompetenzen für die immer komplexer werdenden Fragen bei den Belegschaftsvertretern sichergestellt werden können. Der im Rahmen der Betriebsverfassung vorgeschriebene Weg soll keine Bremse für die überlebenswichtige Entwicklungsgeschwindigkeit sein.
Entsprechend gibt es erste Ansätze, die Entscheidungsfindungs- und Abstimmungsprozesse mithilfe moderner Tools und der neuen Medien abzubilden, um das erhoffte Tempo und die Kompatibilität mit vorhandenen digitalen Prozessen im Unternehmen sicherzustellen. Aus juristischer Sicht - sprich Arbeitsrecht, Formerfordernisse, Datensicherheit und Beweisfragen - ist die Digitalisierung des Mitbestimmungsprozesses jedenfalls ohne Gesetzesänderungen aktuell darstellbar, was hilft bei der Bewältigung der größeren Herausforderung, nämlich die Gremien für die Einführung der beschriebenen Maßnahmen zu gewinnen. In der Regel erfolgt eine Einigung hierüber häufig in einem sogenannten Digitalpakt, der für die Veränderungen im Unternehmen insgesamt verhandelt wird.
2. Was?
Die Digitalisierung hat viele bis dato unbekannte Erscheinungsformen rund um das Thema Arbeit und Beschäftigungsverhältnisse hervorgebracht, vor allem in Ländern, in denen die Mitbestimmung nach deutschem Muster unbekannt ist. Vieles davon hat sich als erfolgreich erwiesen und schürt nun die Anpassungsnot der anderen Marktteilnehmer in Deutschland, die den Anschluss nicht verlieren wollen.
Dennoch offenbart sich bei einem Rundblick in deutsche Großunternehmen und Konzerne für beide vorgenannten Herausforderungen eine Linie der Annäherung: Zu Beginn steht - quasi als erste vertrauensbildende Maßnahme - die allgemeine Versicherung der Entscheider und Eigentümer, auch vor dem Hintergrund der dramatischen Entwicklungen das deutsche Mitbestimmungsmodell in keiner Weise in Frage zu stellen. In Anbetracht der bestehenden Gesetzeslage und den vorstehenden Ausführungen mutet dies zunächst etwas müßig an. Entscheidender ist aber dann der folgende zweite Schritt: Der Sozialpartner wird eingeladen, von Beginn der Umbauüberlegungen an mitzuwirken. Ihm wird ein Platz im Team der Gestalter von Maßnahmen eingeräumt, noch bevor überhaupt klar ist, wie die neue digitale Welt aussehen soll, geschweige denn abstimmungsfähige Konzepte vorliegen.
Obwohl unumgänglich, birgt dieser Schritt bereits den ersten Konflikt, den es zu lösen gilt: In den wenigsten Fällen möchte nämlich der Sozialpartner durch die Beteiligung an der Entwicklung neuer Modelle zum Co-Manager avancieren, um dann in der Folge in die Verantwortung für getroffene Entscheidungen zu kommen. Das ist verständlich und bedarf der Klärung. Das Mandatsverständnis für Arbeitnehmervertretende als lediglich reaktiver Schutzpolitiker, oft mit "Notbremsencharakter", ist zwar verbreitet, wird aber der anstehenden Komplexität nicht mehr gerecht. Über Rollen und Verantwortlichkeiten sind also explizite und übergeordnete Vereinbarungen zu schließen, die über eine Vielzahl der zukünftig zu entscheidenden Sachverhalte tragen.
Ist diese weitere Hürde genommen, gilt es, die ebenfalls nicht seltene Wissensasymmetrie zu vermeiden bzw. zu beseitigen. Hier hat es sich bewährt, sich auf geneigte und geeignete Delegierte des Sozialpartners zu verständigen, die gemeinsam mit künftigen Entscheidern und Funktionsträgern an den erforderlichen Maßnahmen zum Wissenstransfer teilnehmen. Je nach digitalem Reifegrad käme hier bereits das Thema Future Learning ins Spiel. Sei es, um das Thema selbst zur Einführung in die Personalentwicklung des Unternehmens vorzustellen, oder um mit den neuen Formaten bereits Wissen zu weiteren neuen Themen zu vermitteln.
Herausforderungen für das Mitbestimmungsmodell
Ist schließlich auch das gelungen, so dass die Parteien der Sozialpartnerschaft sich auf Augenhöhe begegnen und es im Optimalfall sogar bereits eine Einigung auf ein gemeinsames Zielbild gibt, kommen wir zu den signifikanten Punkten, in denen Industrie 4.0 das Mitbestimmungsmodell herausfordert.
Hier kann man im Wesentlichen drei große Themenfelder identifizieren:
1. Activity based Working
Moderne Netze ermöglichen uneingeschränkte Flexibilität örtlich und zeitlich bei der Erbringung von Arbeitsleistungen. In der logischen Folge entstehen bisher unbekannte Arbeitsformen. Activity based working stellt die Wahl des Arbeitsortes und der Zeiten ausschließlich in den Dienst des besten Ergebnisses und damit in der Regel in die eigenverantwortliche Entscheidung des Arbeitnehmers. Wer schützt letzteren nun vor sich selbst, wird die Frage der gewählten Vertreter sein. In gewisser Weise ist diese Thematik nun so alt wie die Mitbestimmung selbst, so dass einschlägige Forschung vorhanden ist. So wurden beispielsweise vorhandene Lösungen zum mobilen Arbeiten, Home-Office und Zeiterfassung weiterentwickelt.
2. Ressourcen- und Skill Management
Wissen und damit Mitarbeiterskills unterliegen aufgrund schnell wechselnder Aufgaben inzwischen einer nie dagewesenen Schnelllebigkeit. Aus Mitbestimmungssicht erwachsen hieraus zwei Phänomene:
Zum einen das bereits übliche Poolen der Fachkräfte in Hubs, aus denen dann, insbesondere bei projektbasierter Arbeit, die erforderlichen Ressourcen flexibel gestafft werden. Dies gewährleistet Transparenz und eine optimierte Auslastung des Personals. Eine solche agile Organisationsform wird heute durch ebenfalls agile Betriebsvereinbarungen ermöglicht, die vorgenannte Augenhöhe und Kompetenz der Partner vorausgesetzt.
Dennoch - und jetzt kommen wir zum zweiten Aspekt - steigen natürlich die Anforderungen an die Belegschaft bezüglich Re- und Upskilling enorm und dieser Druck impliziert eine gewisse Schutzbedürftigkeit. Da aber Veränderungsbereitschaft auch im Interesse des Fortkommens und der Vermittelbarkeit der Betroffenen selbst liegt, stellt dies die Belegschaftsvertreter vor eine nicht einfach zu lösende Aufgabe. Eine rein ablehnende Haltung ist hier jedenfalls keine Option. Hier sei am Rande - und als erste Anregung - auf die bereits angesprochenen neuen Formate aus dem Themenkomplex des Future Learnings verwiesen, mit denen die Digitalisierung nun Hilfen für eine Herausforderung bietet, die sie selbst hervorgebracht hat.
Alle vorgenannten Maßnahmen verhindern nicht, dass es bereits zur Standardsituation in Unternehmen gehört, die schnell wechselnden Skillbedarfe nicht immer intern decken zu können oder zu wollen. Dies führt zu neuen Arten von Beschäftigungsverhältnissen - extern und temporär. Die Auswahl der unterschiedlichen Wissensträger ist dabei wiederum aus Effizienzgründen ausschließlich sachorientiert und muss sehr schnell von statten gehen. Gepaart mit heute üblichen agilen Arbeitsmethoden kommen so gemischte Teams aus eigenen und fremden Kräften in einer Art zusammen, welche u.a. die bisherige Definition des juristischen Betriebsbegriffs und der sogenannten Eingliederung in den Betriebsablauf in vielerlei Hinsicht in Frage stellen. Wer übt dann für wen die Mitbestimmung aus? Wie sind eigene von externen Arbeitenden zu trennen? Ohne anwaltliche Expertise, welche ein für eine Vielzahl von Anwendungen belastbares Modell bereithält, sind diese Konstruktionen kaum noch darstellbar.
3. Transparenz
Die fortschreitende Unterlegung jedweder Arbeits- und Prozessschritte auf digitale Systeme, um die Effizienz von Rechnerleistung inklusive künstlicher Intelligenz überall nutzbar zu machen, bedingt eine nie dagewesene Transparenz und Überwachungsmöglichkeit auch der Effizienz menschlicher Arbeit im Umfeld dieser Systeme - ein klassischer Fall der Arbeitnehmerbeteiligung. Das Problem: Selbst bei einer Beschleunigung der Mitbestimmung durch die anfänglich beschriebene Digitalisierung der Beteiligungsprozesse, werden diese mit der heute üblichen Schlagzahl der Einführung und Aufrüstung von Soft- und Hardware nicht Schritt halten können, ohne die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu gefährden. Neue Vertrauensabsprachen mit übergeordneten Regeln ersetzen hier in vielen Betrieben bereits Vereinbarungen zu Einzelsystemen.
Um es - Stand jetzt - zusammenzufassen: Die Regelungen der Betriebsverfassung in Deutschland sowie auch sonstige wirtschaftsrechtliche Vorgaben haben sich bislang nicht als Hinderungsgrund für die Nutzung des digitalen Fortschritts in Unternehmen erwiesen. Für jedes der beschriebenen Vorhaben gibt es - vorausgesetzt, die Beteiligten sind sich einig - passende rechtliche Konstruktionen, wenn auch deren Darstellung zugegebenermaßen den Platz eines eigenen Aufsatzes erforderte. Sind die neuen Interpretationen und Modelle aber erst einmal etabliert und als Sozialpartnerschaft 4.0 zur Routine geworden, wird auch der Beratungsaufwand wieder sinken.
A propos Beratung: Eines ist ganz deutlich geworden: Der Zugang zur neuen Welt funktioniert nur als ganzheitlicher Ansatz. Alles hängt inzwischen mit allem zusammen. Wer daher glaubt, beim Thema digitale Transformation und Company ReBuilding den Änderungsbedarf auf einzelne Punkte beschränken zu können, wird scheitern.