KI-Dilemma

Künstliche Intelligenz ist (k)eine Modeerscheinung

Kommentar  25.09.2018
Von 
Dr. Robert Laube ist Leiter Cloud-Infrastruktur und -Anwendungsentwicklung bei Avanade in Deutschland, Österreich und Schweiz. Seit mehr als 20 Jahren berät er nationale und internationale Kunden im Bereich Modern Software Engineering, Analytics, und Cloud. Als Chief Technology & Innovation Officer hat er in der Vergangenheit zahlreiche namhafte Kunden bei ihren Digitalisierungsprojekten beraten und begleitet.
Green IT, Cloud Computing, DevOps – die Liste von Hype-Themen in der IT ist lang. Doch letztlich eint sie alle, dass sie sich durchgesetzt haben. Umso gefährlicher ist in vielerlei Hinsicht die Einschätzung vieler Unternehmen, Künstliche Intelligenz (KI) sei ein Phänomen des Zeitgeistes.

Manchmal scheint es ein Wunder zu sein, dass in den Unternehmen dieser Welt nicht noch überwiegend am Rechenschieber gearbeitet wird. Anders als mit einem Mirakel scheinen sich manche Zahlen schlicht nicht erklären zu lassen. So auch die hohe Zahl von 98 Prozent (!) der Teilnehmer, die im Rahmen einer Befragung zum Thema KI angaben, diese sei ein Ergebnis des momentanen Zeitgeistes. Eine Modeerscheinung quasi. Bestenfalls ein Hype, wie es ihn in der IT schon oft gab. Dazu passt immerhin die Selbsteinschätzung der Studienteilnehmer, dass sie diese Technologie noch nicht richtig einzusetzen wissen.

Viele (IT-)Entscheider betrachten KI als eine Art Modeerscheinung
Viele (IT-)Entscheider betrachten KI als eine Art Modeerscheinung
Foto: Jirsak - shutterstock.com

Dabei sei noch ergänzt, dass in besagter Erhebung kein abstrakter KI-Begriff verwendet wurde, sondern vielmehr eine klar umrissene Definition, die in erster Linie aus Robotic Process Automation (RPA) und intelligente Automatisierung (IA) bestand. Anders gesagt: Im Grunde glaubt jeder Teilnehmer der befragten Unternehmen, dass die Automatisierung manueller, sich wiederholender Aufgaben und Geschäftsprozesse sowie eine intelligente Automatisierung (IA), die Abläufe etwa mit humanisierenden Interaktionsformen verbessert (Beispiel: die Verarbeitung natürlicher Sprache), eine Modeerscheinung sind. Ich hingegen denke: Das ist eine fatale Einschätzung.

Das umso mehr als die Definition von KI hier unter den Terminus "Human Centric" gestellt wurde: So zählten auch Analysemethoden zum abgefragten KI-Begriff, die letztlich zu einer Verbesserung des Verständnisses von Prozessen und optimalen Vorhersagen führen. "Advanced AI" war als Unterstützung und Erweiterung durch maschinelles Lernen - inklusive dem sogenannten Deep Learning - ebenfalls Teil der Studien-Definition, die letztlich darauf abzielte, die Fähigkeiten von Mitarbeitern zu steigern. Damit ist auch klar, dass es hier nicht um den Abbau von Arbeitsplätzen geht.

KI hat ein Verständnisproblem

Und dieses Verständnis scheint in den Etagen der IT- und Unternehmensentscheider noch zu fehlen: KI muss nicht Mitarbeiter ersetzen, sondern kann sie zufriedener und produktiver machen und daraus resultierend auch die Kundenzufriedenheit steigern. Auch beim Blick auf die Maschinenseite sieht es nicht besser aus. Das trifft übrigens besonders auf Deutschland zu, das ja - noch?! - die technologische Speerspitze des Maschinenbaus bildet: Weltweit ist ein Drittel der Befragten der Überzeugung, KI könne im Bereich Manufacturing hilfreich sein. Und in Deutschland? Magere 17 Prozent teilen die Einschätzung ihrer Kollegen aus dem Ausland. Dabei könnten in der "Produktion 5.0" nicht nur Nutzer-Vorgaben in die Produkte einfließen, sondern auch die einer KI. Unternehmen gäben dabei die Anforderungen vor, ein Algorithmus entwirft diverse Designs, und der Kunde wählt am Ende seinen Favoriten aus. Mit 3D-Druck ist so ein Szenario näher an der Realität, als offenbar viele ahnen.

KI hat ein Transportproblem

Wer nun den visionären Hebel weniger stark in Richtung Endprodukt als Prozess ansetzen möchte, bitte sehr: Bereits seit einiger Zeit ist es so, dass die Lebenszyklen bei Hard- und Software deutlich auseinanderdriften. Wo ein Automobil etwa sieben Jahre auf dem Markt ist, bedeutet ein ähnlich "gereiftes" Bord-Entertainment einen Anachronismus. Diese Herausforderung trifft auf weite Teile des Manufacturing-Umfelds zu. Industrieprozesse spielen sich in der Regel nun einmal langsamer ab als ihre Software-Pendants.

Damit laufen die Innovationszyklen jedoch aus dem Ruder. Die Lösung bisher kommt aus der Cloud. Um diese mit intelligenten Maschinen zusammenzubringen, ist ein entsprechendes Kommunikationsmanagement zwischen ihnen nötig, ebenso zwischen den Datenströmen selbst sowie bei der Sicherheit. Hier gibt es mehr Ansatzpunkte für KI, als in der Kürze der Zeilen an dieser Stelle darzustellen wären. Und trotz der schieren Masse an Möglichkeiten ist es bisher offenbar noch nicht gelungen, diese hinreichend zu den Entscheidern zu transportieren.

KI ist nicht gottgegeben

Der mangelnde Wille oder die fehlende Fähigkeit, sich zielführend und -strebig mit KI auseinanderzusetzen, führt jedoch noch zu einem weiteren Dilemma: Nur wer Teilhabe realisiert, kann aktiv gestalten. Was für das Vereinsleben nach Feierabend richtig ist, trifft umso weitreichender auf die Wirtschaft zu. Seien es nun direkte technologische Fragestellungen oder metaphysische Aufgaben aus dem Bereich der digitalen Ethik: Verweigert sich eine Gesellschaft - soziologisch oder ökonomisch - eben dieser Teilhabe, kann sie weder Innovationen auf den Weg bringen noch die Rahmenbedingungen beeinflussen. Dabei ist KI ja keine gottgegebene Erscheinung, die aus sich selbst heraus entsteht. Sie ist überhaupt weder Zeitgeist noch Erscheinung - auch keine der Mode.