Computer Vision

Wie BMW sein Einstiegsleisten-Problem löst

07.10.2020
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Einen seiner ersten Artikel schrieb René Schmöl, Jahrgang 1982, mit 16 Jahren für die Tageszeitung Freies Wort. Es war ein Interview mit Hape Kerkeling. Dieser Erfolg motivierte ihn, weiterzumachen. Nach sieben Jahren im Lokaljournalismus und einer Ausbildung zum Verlagskaufmann folgte ein Volontariat bei der Verlagsgruppe Handelsblatt. Seit 2007 ist René Schmöl in unterschiedlichen Positionen für Foundry tätig. Momentan als Chef vom Dienst online für cio.de.
Kaum zu glauben: Der Einbau falscher Einstiegsleisten in neue Wagen, ist für die Mitarbeiter im Münchner BMW-Werk eine echte Herausforderung. Jetzt hilft KI bei der Problemlösung - und das ist erst der Anfang.
Robert Engelhorn leitet das BMW-Stammwerk München. Die fortwährende Effizienzsteigerung gehört zu seinen Aufgaben. Ziel ist es, im Wettbewerb mit den anderen weltweiten Produktionsstandorten zu bestehen.
Robert Engelhorn leitet das BMW-Stammwerk München. Die fortwährende Effizienzsteigerung gehört zu seinen Aufgaben. Ziel ist es, im Wettbewerb mit den anderen weltweiten Produktionsstandorten zu bestehen.
Foto: BMW AG

"Wir können Fahrzeuge mit Diesel-, Benzin-, Hybridantrieb und den vollelektrischen i4 auf derselben Linie fertigen", sagt Robert Engelhorn, Leiter BMW-Werk München. Mitten in der Großstadt baut BMW unter anderem die 3er Limousine und den Touring, den M3 und den M4. Insgesamt 400 Fahrzeuge verlassen pro Schicht das Werk. Allein beim 3er gibt es über einer Milliarde Kombinationsmöglichkeiten. Für die 7.800 Mitarbeiter im Werk bedeutet das eine hohe Komplexität in der Montage.

So muss der Vorarbeiter bei der Montage der Einstiegleisten an den vorderen Türen der 3er Limousine aus bis zu zehn verschiedenen Varianten auswählen. Zur Wahl stehen zum Beispiel Einstiegleisten für Alpina, das M-Sportpaket, BMW Individual, Chrome-Leisten, Leisten für den M3 oder reine Plastikleisten für die Basismodelle. Und die Anzahl steigt mit jedem weiteren neuen Modell. Wo Menschen arbeiten, da entstehen Fehler. Falsche Leisten in den Neuwagen sind für das Werk ein Problem.

Die Vielfalt an Einstiegsleisten ist groß. Nicht immer landet die richtig Leiste im Neuwagen. BMW geht das Problem mit KI an.
Die Vielfalt an Einstiegsleisten ist groß. Nicht immer landet die richtig Leiste im Neuwagen. BMW geht das Problem mit KI an.
Foto: BMW AG

Die Kamera am Produktionsband hatte bisher Probleme mit der blauen Schutzfolie auf der Leiste. Kleine Luftbläschen oder Lichtreflektionen führten zu etwa fünf bis sieben Prozent Pseudofehlern, also Fehler, die keine sind. Und so musste ein Mitarbeiter den Neuwagen im riesigen Automobilwerk suchen und manuell kontrollieren, ob tatsächlich die richtigen Leisten verbaut sind. "Noch leisten wir uns Nacharbeit. Das geht besser", sagt Matthias Schindler, Cluster-Verantwortlicher Smart Data Analytics im Produktionssystem. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz konnte BMW nach seinen Angaben die Pseudofehler auf unter ein Prozent reduzieren.

Dazu hat der Automobilbauer ein Softwarepaket entwickelt, mit dem sich Anwendungen künstlicher Intelligenz (KI) in der Objekterkennung umsetzen lassen. Eine Besonderheit dieses Open-Source-Softwarepakets: Der Nutzer benötigt dafür weder Programmierkenntnisse noch spezifische Hardware oder zusätzliche Software: ein handelsüblicher, leistungsfähiger PC genügt.

Ein Mitarbeiter markiert Fotos von Einstiegsleisten des BMW 3er Touring für den Aufbau einer bildgestützten KI-Anwendung.
Ein Mitarbeiter markiert Fotos von Einstiegsleisten des BMW 3er Touring für den Aufbau einer bildgestützten KI-Anwendung.
Foto: BMW AG

Wesentlicher Bestandteil der Software ist das BMW Labeling Tool Lite. Damit lassen sich Merkmale wie zum Beispiel Einstiegsleisten auf Fotos markieren. Die KI-Anwendung erkennt die Objekte auf den Fotos zuverlässig.

Die Bildverarbeitung erfolgt dabei in drei Stufen:

  1. Classification

  2. Object Detection

  3. Image Segmentation

"Das neuronale Netz optimiert sich selbst", sagt Schindler. "Das ist die Intelligenz in dieser Anwendung". Das neuronale Netz lernt jedoch nicht von allein. Neue Einstiegsleisten müssen antrainiert werden. Das erfolgt in der so genannten Trainingsphase in fünf Schritten:

  1. Aufnahme von Trainingsbildern

  2. Labeling der Trainingsbilder

  3. Aufbau des Modells

  4. Deployment des Modells

  5. Test des Modells

In der Produktivphase "Inference" erwischt eine einzelne Kamera jeden Neuwagen auf dem Produktionsband. "Im Werk ist das Foto immer gleich, weil die Kamera an einer fixen Stelle installiert ist", sagt Marc Kamradt, Senior Expert Group IT im BMW Lead IT InnovationLab. Das System gleicht die Fotos mit der Soll-Konfiguration ab und gibt den Mitarbeitern bei Fehlern einen Hinweis. Die Mitarbeiter im Werk München arbeiten bereits seit Anfang dieses Jahres mit dem Tool.

Die Einstiegsleisten werden in der Produktion in vier Bohrungen geklipst. Das dauert nur wenige Sekunden.
Die Einstiegsleisten werden in der Produktion in vier Bohrungen geklipst. Das dauert nur wenige Sekunden.
Foto: BMW AG

Der Hersteller verfolgt noch weitere Ideen für den Einsatz von KI. Das BMW-Werk Dingolfing hat ein KI-System zur Erkennung von Modellschriftzügen im Einsatz. Bisher hat im Werk ein Mitarbeiter die Modellschriftzüge kontrolliert. Die einwandfreie Kennzeichnung ist besonders bei Hybrid-Fahrzeugen wichtig. Denn dort ist sie für die Fahrzeuge Pflicht. Der Vorteil: Die Produktion muss nicht mehr wie bisher stoppen, um Modellschriftzüge an Stationen per Kamera zu erkennen. Mitarbeiter erhalten einen Hinweis, falls ein falscher Schriftzug verbaut sein sollte.

Einen dritten Anwendungsfall haben BMW-Mitarbeiter ebenfalls im Werk Dingolfing entwickelt. Dabei geht es um die Erkennung von Mikrorissen in Blechteilen. Im Vergleich zur konventionellen Kameratechnik ließ sich die Fehlerquote mit künstlicher Intelligenz senken. Das Ergebnis: Das Werk muss weniger Gutteile entsorgen, die bisher als fehlerhaft erkannt wurden.

"Anwendungen für den Abgleich eines Ist-Zustandes mit dem Soll können mit unserem Softwarepaket innerhalb weniger Stunden aufgebaut werden", sagt Jimmy Nassif, Leiter IT Planungssysteme in der Logistik. "Dabei sind unzählige Anwendungsmöglichkeiten denkbar", ergänzt Matthias Schindler.

Und die BMW-Mitarbeiter haben bereits Ideen für weitere Anwendungsfälle. Die zielen auf Bauteile, die entweder fehlen, locker sind oder falsch verbaut wurden. Da geht es zum Beispiel um Schläuche, Kabel und Stecker in den Fahrzeugen. "Über 100 weitere KI Use Cases sind in der Pipeline", sagt Matthias Schindler, ohne konkreter zu werden.

BMW geht dabei immer gleich vor: "Man startet mit wenigen Use Cases in den Werken. Ist es dort zu einer Reife gekommen, bringen wir es in die BMW-Werke in der ganzen Welt", erklärt Matthias Schindler.

Für eine neue KI-Anwendung zur Objekterkennung nehmen die Produktionsmitarbeiter Fotos auf und markieren (labeln) diese. Anschließend optimiert sich die Software eigenständig und kann nach wenigen Stunden auf Basis der Labels zwischen "richtig" und "falsch" unterscheiden. Im Abgleich mit Live-Bildern aus der Produktion erkennt die Anwendung schnell und zuverlässig, ob Mitarbeiter die richtigen Teile verbaut haben.

Der Vorteil: Mitarbeiter können eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Anwendung zur Objekterkennung auch ohne KI-Wissen aufbauen - ohne dazu Software programmieren zu müssen. Bleiben doch noch Fragen offen, bietet BMW den Angestellten Support per E-Mail an.

Die Algorithmen stehen nicht nur BMW-Mitarbeitern, sondern auch externen Software-Entwicklern kostenlos zur Verfügung. Sie können die Algorithmen verwenden, den Quelltext einsehen, ändern und weiterentwickeln. Von diesen Weiterentwicklungen will die BMW Group im Gegenzug profitieren.

Den Mitarbeiter nicht ersetzen, sondern entlasten

So hat der Konzern im Herbst 2019 KI-Algorithmen veröffentlicht. "Wir sehen sinnvolle Weiterentwicklungen, die auf unserem Quelltext basieren. Dies hat uns veranlasst, weitere Algorithmen zu publizieren, damit KI für eine breite Masse an Anwendern erschließbar wird", sagt Kai Demtroeder, Leiter Data Transformation, Artificial Intelligence bei der BMW Group IT.

Markus Kronen, Product Owner Digitalisierung bei der BMW Group, gibt einen Ausblick wie sich die Qualitätskontrolle in der Produktion verändern wird: "Ziel ist es, KI flächendeckend einzusetzen. Die visuelle Prüfung soll dadurch ersetzt werden." Dabei soll die KI den Mitarbeiter nicht ersetzen, sondern entlasten. "Wir wollen den Mitarbeiter auf die wertschöpfende Tätigkeit fokussieren", ergänzt Kronen.

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