Krake im Online-Handel

Kartellhüter rücken Amazon auf den Pelz

15.07.2022
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Das Bundeskartellamt stuft Amazon als marktbeherrschend ein und kündigt eine schärfere Kontrolle an. Auf Europaebene lenkt der weltgrößte Online-Händler ein und will sich mit der EU-Kommission einigen.
Mit der Macht seines Ökosystems verschlingt Amazon Nutzer und Händler. Das geht auf Kosten des Wettbewerbs, mahnen Kartellwächter.
Mit der Macht seines Ökosystems verschlingt Amazon Nutzer und Händler. Das geht auf Kosten des Wettbewerbs, mahnen Kartellwächter.
Foto: Jurik Peter - shutterstock.com

Das Bundeskartellamt hat entschieden, Amazon als ein Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb einzustufen. Damit unterliegt der Online-Händler gemeinsam mit seinen Tochterunternehmen hierzulande einer erweiterten Missbrauchsaufsicht nach Paragraf 19a GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Die Vorschrift ist seit Januar 2021 in Kraft und erlaubt den Kartellwächtern früher und effizienter gegen wettbewerbsgefährdende Praktiken vorzugehen. Das richtet sich insbesondere gegen die Praktiken großer Digitalkonzerne.

Die Politik nimmt mit Paragraf 19a GWB im Wesentlichen Machtkonzentrationen im Bereich der "digitalen Ökosysteme" mit etwaigen sogenannten Gatekeeper-Funktionen einzelner Unternehmen ins Visier. "Große Digitalkonzerne, die eine breite Vielzahl von Produkten und Diensten anbieten, können eine marktübergreifende, schwer angreifbare wirtschaftliche Machtposition innehaben", heißt von Seiten des Bundeskartellamts. Dies eröffne besagten Unternehmen Verhaltensspielräume, mit denen sie ihre Position ohne hinreichende wettbewerbliche Kontrolle weiter konsolidieren, ausweiten oder auf sonstige Weise zum eigenen Vorteil nutzen können. Solche Machtstellungen und ihre Ausweitung würden durch die Dynamik der Digital- und Internetwirtschaft begünstigt.

Behörden nehmen Internet-Giganten ins Visier

Amazon kommt eine solche marktbeherrschende Rolle zu. Der Konzern erzielte im 2021 weltweit einen Umsatz von knapp 470 Milliarden Dollar. Davon entfielen 37,3 Milliarden auf Deutschland. Das ist der zweitgrößte Umsatzanteil nach dem Heimatmarkt in den USA. Nach Einschätzung des Bundeskartellamtes wird mehr als jeder zweite Euro im deutschen Online-Einzelhandel auf der Amazon-Handelsplattform ausgegeben. Damit besitze die Handelsplattform eine zentrale strategische Position im deutschen Online-Handel. Bei Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler in Deutschland komme Amazon auf einen umsatzbezogenen Marktanteil von über 70 Prozent und ist damit nach Auffassung der Behörde marktbeherrschend.

Amazon kann Doppelrolle als Händler und Marktplatz ausspielen

Dazu kämen erhebliche Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftstätigkeit und den Erfolg anderer Unternehmen. Amazon könne den Zugang anderer Händler zu Absatz- und Beschaffungsmärkten kontrollieren und dabei seine Doppelrolle als Händler und Marktplatz ausspielen. Das stark integrierte digitale Ökosystem sei darauf ausgelegt, Nutzergruppen im Ökosystem zu halten und zu binden. Um auf dem Marktplatz erfolgreich sein zu können, würden sich Händler vielfach dazu veranlasst sehen, weitere Leistungen von Amazon in Anspruch zu nehmen, etwa Werbe- oder Logistikleistungen.

Dazu kommt aus Sicht der Wettbewerbshüter Amazons Macht über die Daten. Der Online-Händler verfüge über derart umfangreiche und hochwertige Daten, wie sie konkurrierenden Marktplatz-Betreibern kaum in vergleichbarer Form vorliegen dürften. Damit erhalte der Konzern tiefe Einblicke in das Verhalten und die Präferenzen der Nutzer und könne so das eigene Angebot und Geschäft immer weiter ausbauen und optimieren - zu Lasten der anderen Händler auf der Plattform.

Amazon ist der zentrale Schlüsselspieler im Bereich des E-Commerce und marktbeherrschend bei seinen Marktplatzdienstleistungen, sagt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts.
Amazon ist der zentrale Schlüsselspieler im Bereich des E-Commerce und marktbeherrschend bei seinen Marktplatzdienstleistungen, sagt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts.
Foto: Bundeskartellamt

Das verschafft dem Unternehmen eine Machtposition, die ihm marktübergreifende Verhaltensspielräume eröffne, so das Fazit der Behörde. "Amazon ist der zentrale Schlüsselspieler im Bereich des E-Commerce", konstatiert Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes. "Bei seinen Marktplatzdienstleistungen für Dritthändler halten wir Amazon für marktbeherrschend." Mit der jetzt getroffenen Entscheidung ließen sich mögliche wettbewerbsgefährdende Verhaltensweisen von Amazon gezielt aufgreifen und unterbinden, und zwar effektiver als das bisher der Fall war, stellt Mundt fest.

Amazon lenkt im Streit mit der EU-Kommission ein

Amazon will nun einlenken. Im Streit mit der EU-Kommission hat der Online-Konzern angeboten, die Daten, die von anderen Verkäufern auf der Amazon-Plattform erzeugt werden, nicht mehr zu verwenden. Die europäischen Wettbewerbshüter hatten Amazon vorgeworfen, mit diesen Plattformdaten den Verkauf der eigenen Produkte zulasten des Wettbewerbs zu optimieren.

Brüssel beschuldigt Amazon außerdem, solche Händler bevorzugt zu behandeln, die Amazons Liefer- und Logistikdienste nutzen. Das führe dazu, dass Endkunden gedrängt würden, Amazons kostenpflichtigen Prime-Dienst zu abonnieren. Die Verantwortlichen des Online-Händlers versprachen, künftig alle Verkäufer auf ihrer Plattform gleich zu behandeln, auch wenn diese keine anderen Amazon-Services in Anspruch nehmen.

So schnell dürfte die EU-Kommission Amazon allerdings nicht vom Haken lassen. Die Wettbewerber im Online-Handel haben nun bis Anfang September Zeit, ihr Feedback zu den Vorschlägen abzugeben. Erst danach wollen die Kartellwächter entscheiden, ob sie einer Einigung zustimmen und das 2020 eröffnete Verfahren beenden. Sollte es fortgesetzt werden, drohen Amazon Bußgelder in Höhe von mehreren Milliarden Euro.