Suche nach dem Alleskönner
Diese Anforderungsliste klingt nach der "eierlegenden Wollmilchsau". Damit nicht genug, so Kay Müller-Jones, Head of Global Consulting Practice bei Tata Consultancy Services (TCS), einem Anbieter von IT- und Outsourcing-Diensten: "Neben technischen Fertigkeiten und fachlichem Wissen sollten Big-Data-Experten über ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl im Umgang mit Kollegen verfügen. Denn gerade Big Data erfordert ein fachbereichsübergreifendes Denken, das Informationen aus vormals klar abgegrenzten Bereichen zusammenführt und vorhandene Datensilos sinnvoll miteinander verknüpft."
Solche Datensilos sind derzeit auf unterschiedlichen Ebenen anzutreffen: Einzelne Unternehmensbereiche und Niederlassungen pflegen in der Regel separate Informationsbestände. Häufig liegen diese in unterschiedlichen Formaten vor. So ist es nicht ohne weiteres möglich, Daten von Werkzeugmaschinen einer Fertigungslinie mit E-Mails oder Beiträgen auf Social-Media-Plattformen zu kombinieren, in denen sich Kunden über die mangelnde Qualität eines Produkts eines Herstellers beschweren.
- Big Data: Neue Berufsbilder
In den teilweise euphorischen Einschätzungen von Markforschern und IT-Unternehmen ist immer wieder die Rede von neuen Berufsbildern, die Big Data mit sich bringen soll. Dazu zählen unter anderem folgende Tätigkeiten: - Data Scientist
Er legt fest, welche Analyseformen sich am besten dazu eignen, um die gewünschten Erkenntnisse zu erzielen und welche Rohdaten dafür erforderlich sind. Solche Fachleute benötigen solide Kenntnisse in Bereichen wie Statistik und Mathematik. Hinzu kommen Fachkenntnisse über die Branche, in der ein Unternehmen beziehungsweise tätig ist und über IT-Technologien wie Datenbanken, Netzwerktechniken, Programmierung und Business Intelligence-Applikationen. Ebenso gefordert sind Verhandlungsgeschick und emotionale Kompetenz, wenn es um die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen geht. - Data Artist oder Data Visualizer
Sie sind die "Künstler" unter den Big-Data-Experten. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Auswertungen so zu präsentieren, dass sie für Business-Verantwortliche verständlich sind. Die Fachleute setzen zu diesem Zweck Daten in Grafiken und Diagramme um. - Data Architect
Sie erstellen Datenmodelle und legen fest, wann welche Analyse-Tools Verwendung finden und welche Datenquellen genutzt werden sollen. Auch sie benötigen ein umfassendes Know-how auf Gebieten wie Datenbanken, Datenanalyse und Business Intelligence. - Daten-Ingenieur
Diese Aufgabe ist stark auf die IT-Infrastruktur ausgerichtet. Der Dateningenieur ist das Big-Data-Analysesystem zuständig, also die Hard- und Software sowie Netzwerkkomponenten, die für das Sammeln und Auswerten von Daten benötigt werden. Eine vergleichbare Funktion haben System- und Netzwerkverwalter im IT-Bereich. - Information Broker
Er kann mehrere Rollen spielen, etwa die eines Datenhändlers, der Kunden Informationen zur Verfügung stellt, oder die eines Inhouse-Experten, der Datenbestände von unterschiedlichen Quellen innerhalb und außerhalb des Unternehmens beschafft. Außerdem soll er Ideen entwickeln, wie sich diese Daten nutzbringend verwenden lassen. - Data Change Agents
Diese Fachleute haben eine eher "politische" Funktion. Sie sollen bestehende Prozesse im Unternehmen analysieren und anpassen, sodass sie mit Big-Data-Initiativen kompatibel sind. Nur dann lässt sich aus solchen Projekten der größtmögliche Nutzen ziehen. Wichtig sind daher ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten, Verständnis für Unternehmensprozesse sowie Kenntnisse im Bereich Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement (Six Sigma, ISO 9000).
Für Big-Data-Fachleute heißt dies zweierlei: Sie müssen technische Kenntnisse aufweisen und über diplomatisches Geschick verfügen, um Abteilungen oder Geschäftsbereiche zur Weitergabe von Informationen zu bewegen. Diese Kombination ist in technisch geprägten Berufsfeldern wie der IT nur selten zu finden.
Weiterbildung zum Big-Data-Fachmann
Angesichts der umfassenden Anforderungen an Big-Data-Experten überrascht es nicht, dass diese derzeit fast ebenso gesucht sind wie einst spanische Schatz-Galeonen. Die Beratungsgesellschaft McKinsey schätzt, dass alleine in den USA etwa zwei Millionen IT-Fachleute fehlen, die über Know-how im Bereich Big Data verfügen. Dieser Mangel an Fachpersonal hat mittlerweile etliche IT-Unternehmen auf den Plan gerufen. Kein Wunder, diese wollen mit Big-Data-Produkten Geld verdienen. Ein Beispiel ist SAS, ein Anbieter von Business-Analytics-Software. Das Unternehmen bietet seit November 2012 ein zehntägiges "Power-Seminar" an. In ihm werden Informatiker, Mathematiker und erfahrene Nutzer von SAS-Software zum "Big-Data-Analysten" ausgebildet.
Einen ähnlichen Weg wie SAS beschreitet EMC. Der Hersteller von Storage-Systemen bietet seit vergangenem Jahr im Rahmen seiner EMC Academic Alliance Schulungen zum Thema Data Science und Big-Data-Analyse an. Dies erfolgt teils in Zusammenarbeit mit Hochschulen, teils auf Basis von kostenpflichtigen Online-Seminaren, die bis zu 5.000 Dollar kosten.
Ähnliche Aus- und Weiterbildungsangebote sind auch bei anderen IT-Firmen erhältlich, etwa IBM, HP und Oracle. Allerdings sind etliche dieser Kurse darauf ausgelegt, den Teilnehmern den Umgang mit vorhandenen Big-Data-Lösungen des jeweiligen Hersteller nahe zu bringen, etwa Tools für das Erfassen und Auswerten von Daten. Eine herstellerneutrale Einführung in die Thematik ist bislang noch selten anzutreffen.
Big Data: Gute Jobchancen, aber hohe Anforderungen
Big Data ist für IT-Fachleute, Informatiker und Mathematiker mit Sicherheit ein Feld, das mittel- und langfristig gute Berufsaussichten bietet. Das gilt auch für Quereinsteiger aus anderen Bereichen, etwa Wirtschaftsinformatik oder Betriebswirtschaftslehre, wenn diese eine entsprechende Aus- oder Weiterbildung absolvieren.
Allerdings sind die Anforderungen, die ein Big-Data-Experte erfüllen muss, nicht zu unterschätzen. Die Kombination aus technischem Fachwissen, analytischen Fähigkeiten, einem tief greifenden Verständnis von Geschäftsprozessen und der Unternehmensstrategie in Verbindung mit diplomatischem Geschick dürfte nur bei wenigen Mitarbeitern zu finden sein. Praktikabler ist der Ansatz, die Aufgaben im Rahmen von Big-Data-Projekten auf mehrere Positionen respektive Fachleute zu verteilen: Ein Data Scientist oder Data Architect ist für die Konzeption zuständig, ein IT-Fachmann übernimmt die technische Umsetzung, und ein Data Change Agent sorgt dafür, dass Big Data in die Unternehmensprozesse integriert wird und die Fachabteilungen mitspielen.