Digitalisierung

Jetzt werden Gewinner und Verlierer gemacht

12.01.2021
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
SAP-Dienstleister itelligence hat ein herausfordendes Jahr hinter sich. Der Vorstandsvorsitzende Norbert Rotter erklärt im Gespräch, worauf es jetzt ankommt und warum die Anwender in ihren Digitalisierungsanstrengungen nicht nachlassen dürfen.
"Ich denke, dass genau jetzt Gewinner und Verlierer gemacht werden", ist Norbert Rotter, Vorstandsvorsitzender der itelligence AG, überzeugt. Was nötig ist, um zu erstgenannter Gruppe zu gehören, erläutert der Manager im COMPUTERWOCHE-Interview.
"Ich denke, dass genau jetzt Gewinner und Verlierer gemacht werden", ist Norbert Rotter, Vorstandsvorsitzender der itelligence AG, überzeugt. Was nötig ist, um zu erstgenannter Gruppe zu gehören, erläutert der Manager im COMPUTERWOCHE-Interview.
Foto: Chabanenko Maksim - shutterstock.com

Wie hat sich der IT-Dienstleistungsmarkt und damit auch Ihr Geschäft im zurückliegenden Corona-Jahr verändert?

Norbert Rotter: Es war ein besonderes Jahr. Für die Branche, und für uns. Wir sind hervorragend ins Jahr gestartet. Januar und Februar liefen sehr gut und alle waren optimistisch, dass 2020 ein tolles Jahr wird. Und dann kam Corona. Völlig unerwartet und mit voller Wucht. Ende des ersten Quartals, bis Anfang des zweiten Quartals steckte die Weltwirtschaft in einer Art Schockstarre. Dadurch hat sich die Situation für den ganzen IT-Markt verändert.

Das rückblickend Spannende ist, dass die Veränderung alle gleichsam betroffen hat. Alle standen vor der Herausforderung, schnell, klar und gleichsam mutig wie besonnen reagieren zu müssen. Also rasch zu analysieren, neu zu planen und konsequent zu managen. Und gleichzeitig, in einer Zeit maximaler Unsicherheit, nahe dran an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu bleiben, also zu führen.

Das war für alle sehr herausfordernd. Ich glaube, man sieht in solchen Ausnahmesituationen sehr gut, wer in den letzten Jahren bereits seine Hausaufgaben gemacht hat. Wer gute Strukturen und gute Leute an Bord hat, wer breit, global und diversifiziert aufgestellt ist, dem ging und geht es besser. Aber klar, einige Branchen hat es einfach hart getroffen, einfach weil ihnen die Geschäftsgrundlage entzogen wurde.

Ich bin der Überzeugung, dass es der IT-Branche im Vergleich zu vielen anderen Branchen einfacher fallen muss, durch die Coronakrise zu kommen. Wir sind nicht vergleichbar mit Branchen, die extrem betroffen sind. IT ist systemkritisch für alle Unternehmen. Der Betrieb muss ja laufen. Insofern können wir da vor allem mit unseren Hosting- und Managed-Service-Dienstleistungen auf ein sehr solides Geschäft bauen. Mit den Wartungserlösen macht das Recurring Business fast 50 Prozent bei uns aus. Das hilft natürlich.

Was hat die Krise mit den laufenden Projekten gemacht?

Rotter: Auch hier muss man differenzieren, je nach Branche. Unternehmen, die bereits vor der Krise gut aufgestellt waren und über eine gesunde finanzielle Basis verfügen, beispielsweise aus dem Pharma- oder Life-Science-Bereich, setzen die Projekte nicht nur fort, sondern treiben sie sogar mit großer Kraft voran. Denn sie wollen die aktuelle Zeit und weltweite Sondersituation nutzen, um mittels modernster Technologie nicht nur die IT, sondern oftmals das gesamte Geschäft zu transformieren und sich so nachhaltige Marktvorteile zu erarbeiten. Aber auch Universitäten oder der Public Sector treiben Digitalisierungsprojekte voran.

Die IT-Branche wird im Vergleich zu anderen Branchen leichter durch die Corona-Krise kommen, glaubt Norbert Rotter.
Die IT-Branche wird im Vergleich zu anderen Branchen leichter durch die Corona-Krise kommen, glaubt Norbert Rotter.
Foto: itelligence AG

Wir haben natürlich auch Kunden, die abrupt auf die Bremse getreten sind. Weil deren Geschäftsmodell stärker unter Druck steht, zum Beispiel die Automotive-Zulieferer. Wir sahen zum Jahresende also insgesamt ein sehr gemischtes Bild, das sich von Branche zu Branche und von Region zu Region unterscheidet. In den USA haben viele Unternehmen anfangs einen harten Stopp gefahren bei ihren Projekten. Westeuropa und UK liefen dagegen bei uns ziemlich gut. Zum besonderen Jahr kamen aber noch weitere Herausforderungen. Beispielsweise sind viele Währungen regelrecht abgestürzt. So in Brasilien und der Türkei. In beiden Ländern haben wir große Standorte.

Jetzt werden Gewinner und Verlierer gemacht

Zuletzt hieß es immer wieder, Corona habe die digitale Transformation in vielen Unternehmen deutlich beschleunigt. Ich aber habe den Eindruck, dass nach wie vor viele Betreibe nicht genau wissen, was der digitale Wandel für sie eigentlich bedeutet. Wie nehmen Sie die Situation wahr?

Rotter: Jedem Unternehmer ist klar, dass Digitalisierung die Grundlage für den zukünftigen Unternehmenserfolg ist. Auch die Mittelständler sind sich dessen völlig bewusst und investieren. Digitalisierung ist zwischenzeitlich fast durchgängig auf der Ebene der Geschäftsführung angesiedelt, und damit längst kein reines IT-Ressort-Thema mehr. Digitalisierung ist zur Chefsache erklärt worden.

Was in meinen Augen bei manchen Unternehmen oftmals zu kurz kommt, ist eine klare, im Zweifel sogar mutige, visionäre Strategie. Einer Strategie, die nicht nur in Evolution denkt oder eine granulare Verbesserung des Status Quo im Sinn hat, sondern transformatorische Ziele benennt. Ziele, die die Geschäftsprozesse des eigenen Unternehmens über mehrere Abteilungen hinweg als Ganzes anpacken oder gar das Geschäftsmodell im Ganzen transformieren wollen - in Richtung eines digitalisierten, also datengetriebenen und damit intelligenten Unternehmens.

Denn ansonsten droht ein anderes Szenario: Auf einmal ist der Wettbewerb rasend schnell besser geworden. Plötzlich kommen in ungeahnter Geschwindigkeit neue, aggressive Wettbewerber an den Start. Und wenn dann noch eine weltweite Krise wie Corona dazukommt, können nachlässiger Digitalisierungswillen und eine fehlende Strategie zu einem ernsthaften Problem werden. Kurzum: Ich denke, dass genau jetzt Gewinner und Verlierer gemacht werden.

Manche Unternehmen sind schon recht erfolgreich. Stichwort Plattformökonomie. Zum Beispiel Sixt: Die haben es geschafft, neben Amazon und Co. eigene Plattformen aufzubauen.

Europa hat die Cloud verschlafen

Wenn Sie von Plattformen sprechen: Gerade die großen US-amerikanischen Cloud Provider haben sich mittlerweile einen Großteil des Marktes gesichert. In Europa versucht die Politik mit dem Gaia-X-Vorhaben gegenzusteuern. Sehen Sie darin eine Option, den Hyperscalern aus USA oder auch künftig aus Asien Paroli bieten zu können?

Rotter: Erst mal ist das aus meiner Sicht ein industriepolitisches Problem, dass dieses Feld so aus den USA dominiert wird. Die Chancen wären für Europa und Deutschland grundsätzlich da gewesen. Microsoft beispielsweise hatte man vor ein paar Jahren schon abgeschrieben. Jetzt ist Microsoft wirklich extrem stark zurückgekommen, insbesondere auch durch ihre Cloud-Angebote. Teams ist ein gutes Beispiel. Der große Unterschied ist, dass sie den Turnaround als Unternehmen geschafft haben und nicht staatlich verordnet.

Parallel dazu ist in Europa zu wenig Neues entstanden. Wir müssen nüchtern festhalten, dass Europa gegenüber den USA und Asien bei der Cloud in meinen Augen lange Zeit geschlafen hat. Daher ist der Gedanke von Gaia-X, europäische Akzente zu setzen oder eben eine Cloud-Plattform nach europäischen Werten zu entwickeln, gut.

Aber das Ganze scheint sich hinzuziehen. Momentan wird erst mal wieder viel diskutiert - über Verordnungen, in Arbeitskreisen, Gremien …

Rotter: … jeder will bedacht werden. Das eine Land hat die eine Vorstellung, wir eine andere. Das ist sicherlich ein Hemmnis. Denn wir müssen schnell sein. Die Cloud ist eines der entscheidenden Tore zur Zukunft, und damit von entscheidender Bedeutung für Deutschland und Europa.

Die Cloud wird auch Ihr Geschäftsmodell in den vergangenen Jahren massiv verändert haben und das auch sicher noch in den kommenden Jahren weiter tun. Sie hatten als Beispiel die Teams-Nutzung angesprochen. Viele Unternehmen nutzen gerade jetzt in der Krise verstärkt Cloud-Services. Was bedeutet das für Sie als IT-Dienstleister?

Rotter: Für uns ist es gerade völlig selbstverständlich, dass wir beide uns jetzt via Teams unterhalten und nicht mehr am Telefon. Wir hatten ursprünglich für die Microsoft-Teams-Umstellung bei itelligence drei Monate vorgesehen. Und dann haben wir es mehr oder weniger übers Wochenende geschafft. Wenn man so will, hat Corona hier geholfen, die Vorteile der Cloud im Wortsinn zu erleben und entsprechende Prozesse massiv zu beschleunigen.

Für uns ist jedoch ein anderer Punkt entscheidend: Wir sind ein reiner SAP-Dienstleister. Wir wissen, wie wir Kunden bei der Transformation helfen können. Und da spielt die Cloud eine entscheidende Rolle. Ein Beispiel: Die HR-Lösung, SuccessFactors, ist ein reines Cloud-Produkt. Auch die Lösung für das Kundenmanagement C4, die früheren Hybris-Produkte, sind heute alle Cloud-basiert. Unsere Kunden und wir profitieren von der Cloud.

Aber natürlich sorgt die Cloud auch bei uns für uns eine gewisse Disruption. Wir betreiben eigene Rechenzentren, die perspektivisch rein vom Cloud-Provider kommen könnten oder sogar werden, und dann deutlich weniger zu unserem wirtschaftlichen Erfolg beitragen. Gleichzeitig kommen aber andere Dinge in Schwung. Die S/4HANA-Transformation wird jetzt angepackt.

Druck auf das klassische Hosting-Geschäft wächst

Viele Anwender-Unternehmen zögern ja noch mit der S/4HANA-Umstellung. Viele wollen den Schritt erst einmal On-premise im eigenen Rechenzentrum machen und erst dann weiter in Richtung Cloud überlegen.

Rotter: Das ist aktuell tatsächlich häufig der Fall. Davon können wir durchaus profitieren, weil wir eben das Rechenzentrum haben und 30 Jahre Erfahrung an dieser Stelle, und auch Skaleneffekte für unsere Kunden aufzeigen können. Aus Managementsicht ist dieses hybride Modell gleichzeitig spannend wie herausfordernd. Denn dadurch konkurrieren wir einerseits mit den Hyperscalern, andererseits entwickeln wir gemeinsame Lösungen. Wir sagen zum Beispiel: Okay - ihr macht die Infrastruktur, wir machen Managed Services on Top. Dafür pflegen wir Partnerschaften mit Microsoft und Amazon und Google.

Aber natürlich erhöht das den Druck auf das klassische Hosting-Geschäft. Es ist also eine Chance für uns auf der einen Seite, bedeutet aber Disruption und Druck auf das bisherige Geschäftsmodell auf der anderen Seite. Insgesamt ist Cloud jedoch ein Wachstumsmarkt. Unsere Aufstellung, auch als Teil der NTT/NTT Data Gruppe, bietet uns vielfältige Geschäftsfelder und Wachstumspotentiale.

Lesen Sie mehr zum Thema S/4HANA-Migration:

Die Umstellungsprojekte in Richtung S/4HANA erweisen sich als durchaus komplex. Nicht umsonst hat SAP die Wartungshorizonte nach hinten verschoben. Wie beurteilen Sie momentan den Status in Sachen S/4HANA-Migration bei den Kunden?

Rotter: Die Ergebnisse der Studie der DSAG, nach der viele Unternehmen die Transformationsprojekte zu S/4HANA auf Eis legen in der Coronakrise, haben uns überrascht. Denn wir haben oftmals genau das Gegenteil erlebt. Das ist für uns ein starkes Wachstumsfeld. Das liegt meines Erachtens auch an unseren strategischen Weichenstellungen, beispielsweise haben wir uns mit der Partnerschaft mit Natuvion weiter verstärkt.

Richtig ist: Bei einer S/4HANA-Migration bedarf es viel Beratung. Die Unternehmen fragen sich: Was haben wir davon? Hier müssen wir ganz klar aufzeigen, wo der Return on Investment dieser Investitionen liegt. Kommunikation ist hier entscheidend. Es ist wichtig klar zu machen, dass es nicht nur ein technisches Upgrade ist, sondern ein Paradigmenwechsel. Denn mit S/4HANA werden alle Prozesse end-to-end digitalisierbar, die Unternehmen profitieren nicht nur nachhaltig von der höheren Geschwindigkeit, sondern von dem damit erreichbaren Datenschatz, den erst ein intelligentes, digitalisiertes Unternehmen heben kann.

Und neben der Kommunikation braucht es vor allem auch die richtige Strategie. In Frage kommen neben Brown- und Greenfield vor allem der Allfield-Ansatz. Und dabei profitieren unsere Kunden von digitalisierten Prozessschritten, wie sie beispielsweise unsere Partner von Natuvion mit deren Cutover App beherrschen. Das drückt die Gefahr von aus dem Ruder laufender Projektsteuerung, dadurch steigenden Kosten und vor allem von Ausfallzeiten gegen Null. Dies zu beherrschen und anbieten zu können, ist ein entscheidender Unterschied. Denn insgesamt ist eine S/4HANA-Migration schon ein sehr komplexes Thema, man muss sehr viele Dinge anfassen. Die Unternehmen, die sich das zu trauen und wirklich eine Strategie haben, stellen S/4HANA in den Mittelpunkt einer kompletten Digitalisierung. Da gibt es ganz spannende Projekte.

Was ist mit den anderen Unternehmen, die das nicht so sehen?

Rotter: Die müssen wir Schritt für Schritt überzeugen - gerade mit solchen Erfolgsgeschichten.

Wichtig dabei ist: Wir müssen immer mit dem Kunden arbeiten, nie gegen den Kunden. Das ist die Botschaft: Wir können euch wirklich nach vorne bringen, und wir müssen das partnerschaftlich machen. Denn sobald der Kunde nicht mitarbeitet oder das Projekt nicht als Top-Priorität ansieht, dann geraten diese Vorhaben in Schieflage. Aber auch da sage ich wieder: Die Mutigen werden die Gewinner sein.

IT-Leiter werden häufig alleine gelassen

Bei S/4HANA geht es um neue Prozesse. Es geht um die Frage: Wie nutze ich meine Daten, eventuell für ein ganz neues Geschäftsmodell? Das betrifft letzten Endes nicht nur die IT-Abteilung, sondern gerade die Business-Abteilungen, die da neu denken müssen. Das zu übersetzen - wird das stärker von Ihnen eingefordert seitens der Kunden?

Rotter: Richtig. Kommunikation und Changemanagement sind erfolgskritische Bausteine. Nicht nur die Systeme müssen laufen, sie müssen auch verstanden werden. Nicht nur rein IT-technisch, wie es funktioniert und wie es zu implementieren ist. Sondern es muss eben auch der Nutzen aus der Software erklärt werden. Wir müssen das Interesse in der ganzen Belegschaft unserer Kunden wecken, damit es Spaß macht, damit zu arbeiten. Wir müssen als eine Art Ideenfinder agieren - das ist entscheidend. Da braucht man wirklich sehr erfahrene Leute, die auch Prozess-Know-how haben, eine betriebswirtschaftliche Sichtweise mitbringen und kommunikativ geschult sind.

So eine Umstellung in der Denke braucht es aber doch auch auf Anwenderseite. Die ITler, die vor Jahrzehnten ihr R/3-System eingeführt haben, sitzen jetzt oft in Entscheider-Positionen. Die sehen natürlich ihr Baby, das sie über Jahre hinweg betreut, gepflegt und angepasst haben. Sich davon zu verabschieden …

Rotter: … das ist auch ein emotionales Problem, keine Frage.

Das ist ein Mindchange, da ist Führung wichtig, und ein Bekenntnis zur Zukunft. Wenn der Unternehmer vorangeht und sagt: Wir müssen uns neu ausrichten, und unsere IT ist der Treiber dafür, dann funktioniert der Wandel schneller und besser. Häufig werden aber gerade die IT-Leiter mit dem Projekt alleine gelassen. Und dann wird es schwer, da die wirkliche Innovation drauf zu satteln.

Genau das scheint momentan wirklich der Knackpunkt zu sein.

Rotter: Da sind die Amerikaner im Vorteil. Die amerikanische Kultur ist einfach ein bisschen schneller und geradliniger in ihren Entscheidungen. Sie schauen dann auch nicht ständig nach rechts und links. Manchmal muss man den Weg einfach mal gehen, ohne die letzte Frage, ohne die allerletzte Gewissheit über den Streckenverlauf im Voraus durchdrungen und exakt geplant zu haben. Denn das geht bei komplexen Projekten ohnehin nie. Natürlich ist die Gefahr eines Scheiterns damit auch gegeben. Aber Scheitern ist in Deutschland und Zentraleuropa oft mit einem Makel versehen. In den USA ist das anders.

Manchmal muss man den Weg einfach gehen, ohne alles im Voraus durchdrungen und geplant zu haben, rät Rotter den Anwendern - "Denn das geht bei komplexen Projekten ohnehin nie."
Manchmal muss man den Weg einfach gehen, ohne alles im Voraus durchdrungen und geplant zu haben, rät Rotter den Anwendern - "Denn das geht bei komplexen Projekten ohnehin nie."
Foto: itelligence AG

Das Customizing war ja in der Vergangenheit immer ein Riesenproblem bei SAP-Release-Wechseln. Ist denn aus Ihrer Sicht S/4HANA schon so weit, dass man sagen kann: OK, die Unternehmen können sich im Grunde genommen beruhigt von einem Großteil ihrer kundenspezifischen Anpassungen, die sie in vergangenen Jahren oder Jahrzehnten im ERP-System gemacht haben, verabschieden und ihre Anforderungen weitgehend im Standard abdecken?

Rotter: Nein. Es wird darauf hinauslaufen, dass der Kern standardisiert ist, und danach folgen das Austarieren und Optimieren für den individuellen Kunden-Case. Was auch richtig ist: Jede Branche und jedes Unternehmen hat ja auch seine eigenen Besonderheiten und dadurch Wettbewerbsvorteile. Sie können nicht alles standardisieren. Was aber der Trend ist, ist die Automatisierung von Prozessen. Das ist ein weiteres Wachstumsfeld.

"Wir werden ein Stück weit zu einer Product Company"

Sie sind sehr stark auf SAP fokussiert. Wird das bei itelligence auch so bleiben oder müssen sie auch zusätzlich weiteres Know-how rundherum aufbauen - gerade mit Blick auf mehr Offenheit und Plattformen?

Rotter: Wir sind mit einem SAP zentrierten Geschäftsmodell gestartet und damit beständig gewachsen. Und werden diesen Weg weitergehen. Wir gehören zur NTT/NTT Data Gruppe und sind dort entsprechend positioniert. Und SAP zentrierte Geschäftslösungen haben natürlich Schnittstellen und Schnittmengen mit anderen Technologien. Wir haben also genügend Wachstumsfelder und wissen gleichzeitig, was wir am besten können. Dazu entwickeln wir auch eigene Produkte. Das ist ganz spannend in dieser Cloud-Diskussion. Wenn der Standard ausgedünnt wird, gibt es für uns die Chance, branchenspezifische Produkte zu entwickeln und zu warten.

Ein Stück weit werden wir zu einer Product-Company. Und dies oft im Sparring mit unseren Kunden. Das ist gleichsam wirkungsvoll, spannend und anspruchsvoll. Denn man muss verstehen, wie man das macht. Das ist in der Entwicklung über den Vertrieb bis zur Beratung ein anspruchsvoller Prozess.

SAP bietet mit der Business Technologie Platform ein Fundament, um Industrie- und Branchenlösungen zu bauen. Ist das die Zukunft im SAP-Kosmos: Eine Plattform, auf der viele unterschiedliche Partner zusammenarbeiten?

Rotter: Das ist für uns eine große Chance. Wir haben uns spezialisiert: auf die Fertigungsindustrie, Handel und Pharma /Life Science. Durch unsere Töchter, wie die Gisa GmbH, bieten wir beispielsweise Branchen-Know-how für den Utility-Bereich oder den durch Corona noch interessanter gewordenen Markt der Lösungen für Universitäten an. Was bei Plattformansätzen von entscheidender Bedeutung für den Erfolg ist, ist die Haltung, grundsätzlich und ausnahmslos immer die Prozesse end-to-end zu digitalisieren. Dann haben wir die Chance, auf dem Standard SAP eigene Lösungen zu entwickeln.

Und natürlich machen auch wir nicht alles selbst. Sondern suchen unsererseits starke Partner, mit denen wir unseren Kunden klaren Mehrwert bieten können. Wir werden somit unsererseits zu einer Plattform. Zudem treiben wir die Internationalisierung voran, um weltweit ganz nah beim Kunden sein zu können. Zuletzt haben wir in Finnland mit dem SAP HR-Unternehmen Pasafin Oy zugekauft.

So ein Plattformsystem kann natürlich auch beliebig komplex werden. Wenn ich mir gerade ansehe, was Hyperscaler wie AWS oder Microsoft auf ihren Plattformen mittlerweile für Zusatzservices anbieten beispielsweise um die Themenfelder Künstliche Intelligenz oder Machine Learning. Da den Überblick zu behalten und dann auch einschätzen und bewerten zu können, was macht jetzt Sinn, wird doch immer schwieriger?

Rotter: Wir fokussieren uns auf Produkte, die wir gemeinsam mit den Kunden in den Implementierungsprojekten sehen: Dazu braucht es Beratungsexpertise und gleichzeitig Markt- und Branchen-Know-how. Eine ganze Prozesskette, die man beherrschen muss. Dazu gehörend auch Themen wie Business Analytics. Zudem konkurrieren natürlich auch die Plattformen untereinander - SAP mit Microsoft zum Beispiel.

In der Pflicht zur Innovation

Wie sehen Sie Ihre Rolle in dem Machtgefüge der Anbieter?

Rotter: Für uns ist die Herausforderung, innovativ zu bleiben, und gleichzeitig unsere eigene Stärke niemals zu verlieren, nämlich unsere Nähe zum Kunden. Denn natürlich muss man sich ständig neuen Themen öffnen. Früher haben wir SAP-Produkte verkauft, die Implementierung gemacht und die Kunden mit Managed Services betreut.

Heute haben wir die Möglichkeit, ja sogar die Pflicht, wirklich Innovationen mitzubringen. Oder gemeinsam mit dem Kunden technologiegestütztes Innovationsmanagement zu ermöglichen, voranzutreiben und dadurch skalierbare Wertschöpfung zu generieren. Managed Services wandeln sich von einem rein SLA-basierten Technikangebot oder Ticket Handling zum proaktiven Partner, der wirklich Innovationen begleitet. Und dieser Wandel gelingt nur, wenn wir nahe am Kunden sind.

Wenn Sie das Thema Innovation ansprechen. Müssen Sie da heute nicht viel mehr erklären als früher, beispielsweise was neue Themen wie KI oder Machine Learning für das Business bedeuten?

Rotter: Die Unternehmen sind heute gut informiert. Früher war das vielleicht noch ein wenig anders. Da haben wir den Kunden erst einmal SAP erklärt. Aber heute erleben wir viel mehr Kunden, die richtig gut im Thema sind, die Ideen und Know-how haben zu den Megatrend-Technologien wie eben KI oder Machine Learning. Und das ist dann eine sehr gute Basis für Co-Innovationsprozesse. Was wir anbieten, sind zum Beispiel Workshops wie Design Thinking, um gemeinsam an Ideen zu arbeiten. In der Regel haben die Unternehmen schon eine gute Vorstellung davon, was sie machen wollen und dann überlegen wir: Wie können wir das technisch untermauern.

"Aufpassen, dass man nicht den Anschluss verliert"

Momentan geht es in Corona-Zeiten wahrscheinlich schlicht und ergreifend darum, den Geschäftsbetrieb am Laufen zu halten - möglichst effizient, sicher und kostengünstig. An Zukunftsthemen tastet man sich eher vorsichtig heran.

Rotter: Der sichere ausfallfreie Betrieb muss stets gewährleistet sein. Aber der technische Wandel, der Wettbewerb und die Marktentwicklungen sind extrem schnell. Es gibt Branchen und Unternehmen, die vorangehen. Die Vorreiter haben einen Vorteil, weil sie das Ganze schneller durchlaufen und die Vorteile eines voll digitalisierten Geschäftsmodells am Markt eher realisieren können. Da muss man schon aufpassen, dass man nicht den Anschluss verliert. Bei uns, bei itelligence NTT DATA Business Solution, können und wollen wir es uns nicht erlauben, uns an die Zukunftsthemen nur vorsichtig heranzutrauen. Im Gegenteil, wir wollen führend sein.