Gibt es ihn nun, den Fachkräftemangel unter IT-Fachkräften, oder gibt es ihn nicht? Branchenexperten sind geteilter Meinung. "Ich halte den Fachkräftemangel als Bedrohungsszenario eindeutig für einen Mythos, der von verschiedenen wirtschaftlichen und politischen Akteuren aufgebauscht wird, um eigene Interessen durchzusetzen", sagt Martin Gaedt, Unternehmer und Buchautor zum Thema Fachkräftemangel.
Etwas anders bewertet Professor Peter Wald von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur den drastischen Nachfrageüberhang nach fähigen IT-Spezialisten: "Für den Fachkräftemangel gibt es vielfältige Ursachen - vom demografischen Wandel über den strukturellen und technologischen Umbruch in verschiedenen Branchen bis hin zu Wanderungsbewegungen, die schon vor Jahren einsetzten und heute vielen Unternehmen zu schaffen machen."
Viele Betriebe scheinen genau das erkannt zu haben: Der Fachkräftemangel stellt heute ein ernsthaftes strukturelles Problem für Unternehmen dar, dem sie sich strategisch wie auch operativ stellen müssen. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie "Fachkräftemangel in Deutschland - unterschätzt oder aufgebauscht?" des Personaldienstleisters Hays, zu der 1.000 Führungskräfte aus unterschiedlichen Branchen befragt wurden. Konkret werten 71 Prozent der Studienteilnehmer den Fachkräftemangel als strukturelles Thema, allerdings stufen lediglich 40 Prozent diesen Zustand als problematisch für ihr Unternehmen ein.
IT-Industrie leidet auf hohem Niveau
Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem die Einschätzungen der Führungskräfte aus der IT-Industrie. Denn im Vergleich zu anderen Branchen wie beispielsweise der Gesundheitsindustrie oder dem Maschinenbau beurteilen die IT-Entscheider ihre Lage etwas entspannter. Zwar leiden auch ihre Beschäftigten unter Mehrbelastung, wenn offene Stellen nicht schnell genug besetzt werden, allerdings liegt die Quote mit 26 Prozent deutlich unter dem Branchendurchschnitt von 36 Prozent.
Nach Angaben der Führungskräfte fallen die Umsatzeinbußen, die durch unbesetzte Stellen in der IT entstehen, mit 22 Prozent ebenfalls deutlich schwächer als im Branchenmittel aus. Simon Alborz, Director Permanent bei Hays, hat dafür eine mögliche Erklärung: "Zunehmende Effizienzgewinne, etwa durch fortschreitende Automatisierung, dürften diese Entwicklung auf Jobebene zumindest teilweise begründen." Andererseits könne man daraus auch ablesen, dass die IT-Industrie die Auswirkungen des Fachkräftemangels schon länger und intensiver spüre und sich dafür mittlerweile besser gerüstet habe als andere Branchen. Was allerdings nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass der heutige Fachkräftemangel auch in der IT-Industrie zum Teil bereits wachstumsbedrohende Ausmaße angenommen habe.
- Tipps für erfolgreiches Recruiting in der Personalsuche
Auch in der IT-Branche müssen Firmen enorme Anstrengungen unternehmem, um die besten Kandidaten in Zeiten des Fachkräftemangels für sich zu gewinnen. Die Unternehmen forcieren deshalb ihre Recruiting-Maßnahmen mit Nachdruck. Agnes Koller von Best Recruiters gibt einige Tipps für die Personalsuche sowie erfolgreiche Rekrutierung von neuen Mitarbeitern. - Es muss nicht teuer sein
Oft zeigen kleine Maßnahmen, die auch mit schmalem Budget umgesetzt werden können, eine große Wirkung. - Persönliche Beziehungen sind Trumpf
Ein persönliches Gespräch sagt mehr als tausend Seiten Text. Geben Sie Talenten daher schon auf Karriereseite und in der Stellenanzeige die Chance, Sie zu kontaktieren. - Kurze Kommunikationswege im Social Web
Verpacken Sie Ihre freien Stellen und Arbeitgeberinfos in interessante Geschichten. Haben Sie dabei stets auch ein Auge auf eingehende Fragen per Direct Messages und beantworten Sie diese zeitnah. - Straffes Anforderungsprofil
Die eierlegende Wollmilchsau war gestern. Überlegen Sie sich für Ihre Stellenanzeigen genau, was der neue Mitarbeiter tatsächlich können muss. Ein zu "episches" Anforderungsprofil - wie es gerade im IT-Umfeld besonders oft der Fall ist - wirkt leicht abschreckend. - Stellenanzeigen als Personalmarketing-Tool nutzen
Achten Sie beim Text auf ein ausgewogenes Verhältnis von Anforderungen und Anreizen und eine passende visuelle Gestaltung. - Kandidaten finden viele Kanäle
Während Kommunikationsprozesse für Bewerbungen vielerorts automatisiert ablaufen, rutschen Anfragen abseits dieser Trampelpfade gerne durch. Beobachten Sie, auf welchen Wegen Bewerber mit Ihnen Kontakt aufnehmen, und definieren Sie auch hierfür entsprechende Prozesse.
Personalengpässe in IT-Projekten
Denn IT-Fachkräfte wie Softwareentwickler, Datenanalysten oder IT-Security-Spezialisten sind noch knapper geworden als vor 15 Jahren. "Insbesondere im Kontakt mit IT-Dienstleistern erleben wir immer wieder, dass die Verfügbarkeit der wichtigen personellen Ressourcen für die Umsetzung von Kundenprojekten zu einem echten Flaschenhals geworden ist.
Wenn sich Unternehmen beispielsweise an Ausschreibungsverfahren für IT-Projekte beteiligen möchten, müssen sie heute neben der kaufmännischen Kalkulation vor allem wissen, ob sie im Falle des Zuschlags auch das nötige Fachpersonal vorhalten können", meint Hays-Manager Alborz. Und das hat klare Konsequenzen für die Personalverantwortlichen. Denn die Suche nach den richtigen IT-Skills dauert nicht nur viel länger als noch vor ein paar Jahren, sondern Unternehmen müssen zudem auch tiefer in die Tasche greifen, wenn sie monatelang versuchen, den "best fit" zu finden.
Personaler sitzen tradierten Ansätzen auf
Es scheint aber erst bei wenigen Verantwortlichen angekommen zu sein, dass Umsatzeinbußen und Mehrbelastung vieler Mitarbeiter in unmittelbarem Zusammenhang mit personalstrategischen Entscheidungen stehen. Denn die Mehrheit der befragten Führungskräfte in der Hays-Studie macht in erster Linie den demografischen Wandel sowie das träge Bildungssystem für die eigene Fachkräftemisere verantwortlich.
Gleichzeitig räumt der Großteil ein, dafür nicht richtig gewappnet zu sein. "Die meisten Personalverantwortlichen wurden in einer Zeit sozialisiert und ausgebildet, in der es den Fachkräftemangel, wie wir ihn heute kennen, nicht gab. Entsprechend agieren sie häufig mit einem Handwerkszeug, das für Arbeitgeber-, aber nicht für Arbeitnehmermärkte ausgelegt ist," kritisiert Gero Hesse, Geschäftsführer von Territory Embrace und ehemaliger Unternehmenssprecher bei Bertelsmann.
- 10 Trends in der Personalarbeit
Die Digitalisierung sowie der Fachkräftemangel wirken sich auch nachhaltig auf die Denk- und Arbeitsprozesse in Personalabteilungen aus. Der Bundesverband der Personalmanager (BPM) nennt zehn Trends, die zunehmend im Bereich Human Resources Platz greifen und die "digitale HR" prägen werden. - 1. Künstliche Intelligenz ethisch hinterfragen
Künstlicher Intelligenz (KI) sorgt in Personalabteilungen für Effizienzgewinne. Personaler sollten deshalb den Nutzen intelligenter Techniken ethisch auszuloten und verantwortungsvoll damit umgehen. - 2. Bildung in der Arbeitswelt 4.0
Die Arbeitswelt 4.0 erfordert eine Neuausrichtung der Weiterbildungsangebote in den Betrieben sowie eine neue Lern- und Bildungskultur in den Ausbildungseinrichtungen. Personaler sind gefordert, für diesen Bedarf entsprechende Lernangebote zu entwickeln. - 3. Kollaborative Arbeitskonzepte
Aufgaben und Themen werden komplexer und lassen sich nur noch in interdisziplinären Teams erfolgreich bearbeiten, weshalb Co-Working-Konzepte, ortsunabhängiges Arbeiten und neue kollaborative Methoden der Zusammenarbeit im Team zur Standardanforderung für den Arbeitsplatz der Zukunft werden. Das Personalwesen steht vor der Herausforderung, aus den vielen Facetten des Arbeitsplatzes der Zukunft einen individuell passenden Rahmen für jeden Mitarbeiter zu konzipieren. - 4. Recruitingmaßnahmen verändern
Fach- und Führungskräfte sind zunehmend wechselwilliger. Dieser Umstand macht bisherige Rekrutierungsmechanismen und Karriereangebote hinfällig. Die Bewerberansprache braucht neue Vorzeichen, um Fach- und Führungskräfte zu aktivieren. Ferner geht es um die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte. - 5. Mitbestimmung 4.0
Agilität wird auch in der Zusammenarbeit zwischen Personalern und Betriebsräten ein wichtiges Thema. Betriebsräte werden sich verstärkt Fragen nach agilen Arbeitsumfeldern stellen müssen. Im Schulterschluss mit der Personalabteilung geht es darum, die Betriebsverfassung an die Veränderungen anzupassen und neue Regeln für die Mitbestimmung abzuleiten. - 6. Wettbewerbsfaktor Diversity
Die Wahrnehmung des Themas Diversity hat sich in Unternehmen gewandelt. Viele haben erkannt, dass sie im Wettbewerb erst erfolgreich sein können, wenn Mitarbeiter unterschiedlicher Prägung und aus unterschiedlichen Kulturen in Teams zusammenkommen. - 7. Mitarbeiterpotenzial fördern
Auch in Zeiten von Robo-Recruiting bleibt das Herzstück der Personalarbeit, das Potenzial der Belegschaft zu entfalten. Dabei kommt es im Zuge einer wachsenden Technisierung vor allem darauf an, Mitarbeiter in ihrer Entwicklung aktiv zu unterstützen. - 8. Agile Führung
Mit wachsender Komplexität und fortschreitender Digitalisierung muss auch die Führung agiler werden. Aufgabe der HR ist es, ihrer Führungsetage im Dialog mit den Mitarbeitern Hilfestellung zu geben. Ziel sollte sein, Führungskräfte zu Coaches und Vorbildern zu entwickeln, die offen und kritisch Themen reflektieren und ihren Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung zugestehen. - 9. Mitarbeitersicht einnehmen
Immer mehr Personaler verfolgen den Employee-Experience-Ansatz. Dieser hilft ihnen, die Sicht des Mitarbeiters einzunehmen, wenn es um die Akzeptanz von HR-Services geht. - 10. Betriebliches Gesundheitsmanagement
Arbeitgeber werden zunehmend mit den Auswirkungen der Entgrenzung von Berufs- und Privatleben konfrontiert. Für die Personalentscheider geht es jetzt verstärkt darum, die schleichende Entgrenzung nicht zum Gesundheitsrisiko werden zu lassen. Das betriebliche Gesundheitsmanagement sollte integraler Bestandteil der Unternehmenskultur sein, um Achtsamkeit und Resilienz systematisch zu stärken.
Diese eher antiquierte Haltung in den Personaletagen sieht auch Alborz: "Wir stellen immer wieder fest, dass ganz elementare Dinge, die wichtig für die Mitarbeitergewinnung sind, vernachlässigt werden. Bis eine Personalentscheidung gefällt wird, gibt es vielerorts noch viel zu lange Entscheidungswege. Gerade beim Wettbewerb um hochqualifizierte IT-Experten sind solche langwierigen Prozesse kontraproduktiv. Vielmehr sollten sich Fach- und Personalbereiche darauf verständigen, Kandidaten binnen 24 Stunden nach dem Vorstellungsgespräch Bescheid zu geben."
Tatsächlich spiegeln die Studienergebnisse genau diese Haltung wider:
• 56 Prozent der Befragten räumen ein, dass sie IT-Experten noch bessere Gehälter zahlen könnten als bisher.
• 49 Prozent sehen auch beim Angebot flexibler Arbeitsmöglichkeiten noch viel Luft nach oben und
• 46 Prozent meinen, sie könnten eine moderne Unternehmenskultur nach stärker nach außen tragen.
- 1. Kommunikation
Von vielen als "weicher " Faktor belächelt, sollte die Fähigkeit, mit anderen Menschen verbal zu interagieren, auch im "harten" IT-Geschäft nicht vernachlässigt werden. Die Welt im Datenzentrum verändert sich noch rascher als anderswo. Hier eine strukturierte Umgebung aufrechtzuerhalten erfordert Kommunikation - nicht nur mit dem Business, sondern auch innerhalb der IT-Organisation. - 2. Service-Management
Viele Unternehmen beziehen bereits Teile ihrer IT-Services aus der Cloud. Diese Auslagerung verlangt von den IT-Verantwortlichen ein Umdenken in Sachen Service-Management. Sie müssen das komplexe Zusammenspiel von Kapazität und Nachfrage in einer nicht länger fest umrissenen Infrastruktur im Griff haben. - 3. Unified Computing
Das "Unified Computing System" von Cisco, die "Blade System Matrix" von HP und die Cloud-Computing-Strategie von IBM stehen laut Rockwell Bonecutter, Data-Center-Experte bei Accenture, beispielhaft für einen Trend, der auch noch die kommenden Jahre kennzeichnen werde. - 4. Projekt-Management
Wenn die Wirtschaft wieder anzieht, werden die Unternehmen auch ihre verschobenen IT-Projekte in Angriff nehmen. Aber sie werden darauf achten, dass sich die Investitionen am Ende auch auszahlen. Deshalb sind die Fähigkeiten zur Business-Analyse und zum effizienten Projekt-Management gefragt. - 5. Ressourcen-Management
In einen Zusammenhang mit dem Thema Green IT gehört die Beherrschung der Wechselwirkungen zwischen IT- und Facilities-Management. Keine Kapazitätsplanung kommt heute ohne eine Betrachtung des Energieverbrauchs und der Wärmeabstrahlung aus. IT-Teams brauchen also dringend jemanden, der diese Faktoren auf dem Schirm hat und in der Lage ist, dieselbe Sprache wie die Facilities-Experten zu sprechen, also einen "Ressourcen-Manager". Auch der Data-Center-Chef selbst darf diese Aspekte nicht aus den Augen verlieren. - 6. Engineering
Die Leute, die heute am verweifeltsten gesucht werden, sind, so Pricewaterhouse-Coopers, Mechanik- und Elektro-Ingenieure, die sich mit modernem IT-Equipment auskennen. Heutige Rechenzentrumskonzepte, beispielsweise virtualisierte Server, unterscheiden sich auch hinsichtlich der Elektrik und Kühlsysteme fundamental von denen der vergangenen Jahre. - 7. Netzwerk-Know-how
Wenn ein Rechenzentrum ohne Menschen vor Ort auskommt (die Stichworte heißen hier "lights out" und "remote"), dann nur, weil es über ein Netz gesteuert wird. Folgerichtig braucht ein IT-Manager moderner Prägung ein solides Wissen hinsichtlich Netzkonfigurationen, - hardware, und -schwachstellen. Zudem sollte er Mitarbeiter einstellen, die über solches Know-how verfügen. - 8. Finanzanalyse
Gerade in einer Wirtschaftskrise wird von einem IT-Verantwortlichen wirtschaftliches Denken verlangt. Er muss beispielsweise in der Lage sein, die Applikationen nach ihrer Bedeutung für das Business zu priorisieren und auf dieser Basis zu entscheiden, welche Lösung einen eigenen Server benötigt und welche beispielsweise in die Cloud ausgelagert werden kann. - 9. Green IT
Mögen manche auch die Augen verdrehen - kein Unternehmen kommt an dem Mandat für eine "nachhaltige" Technologie vorbei. - 10. Virtualisierung
Die Basistechnik für eine moderne IT-Infrastruktur ist eine Trumpfkarte für den, der sich mit ihr auskennt. Die Unternehmen packen immer mehr IT-Komponenten in flexible, leicht zu wartende und günstig zu betreibende, sprich: virtualisierte Umgebungen.
Aber auch in puncto Kompetenzentwicklung dominieren noch tradierte Ansätze. Die Hälfte aller Befragten will nach eigenen Angaben beim Ausbau bereitgestellter Weiterbildungsangebote nachbessern. Fast ebenso viele sehen großen Nachholbedarf im Coaching der Mitarbeiter zur richtigen Kompetenzentwicklung; gerade in der IT ein wichtiger Baustein in der Personalentwicklung. "Neben technischen Skills sind dabei zunehmend auch Soft Skills, wie etwa Kompetenzen in Sachen Change Management gefragt," konkretisiert Alborz.