Kaum ein Sektor ist aufgrund der schier unendlichen, aber auch komplexen Datenmengen für den Einsatz künstlicher Intelligenz prädestinierter als die Finanzbranche. Dabei sind die Einsatzfelder der Technologie vielfältig – beispielsweise in der Beratung oder auch der Betrugserkennung. Viele Unternehmen haben die Potenziale erkannt und in verschiedenen Feldern erste Projekte gestartet.
Wie Künstliche Intelligenz die Finanzangebote verbessern kann
Banken verfügen über einen großen Schatz – und damit sind einmal nicht die Geldreserven, sondern Daten gemeint. Denn die Institute kennen Cash-Flow und Darlehen ihrer Kunden und können daraus eine Vielzahl an Schlussfolgerungen ziehen: In welcher Lebensphase befinden sie sich? Welches Auto haben sie gekauft? Wann sind sie zuletzt umgezogen? Kombiniert mit weiteren Daten aus sozialen Plattformen können Banken so ein fast vollständiges Bild ihrer Kunden erhalten. Wichtig ist hier natürlich, dass die Institute alle personenbezogenen Daten datenschutzkonform erheben und speichern. Darüber hinaus, können aber auch anonymisierte Informationen zu Zusammenhängen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Verhalten aufschlussreich sein.
Um eine solch immense Menge an strukturierten und unstrukturierten Daten zu verarbeiten, benötigen Finanzinstitute neue Technologien wie maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz (KI). Diese helfen dabei, Muster und Systematik in den Daten zu finden: beispielsweise zu welcher Jahreszeit die meisten Kunden ein neues Auto kaufen oder wie der Mietspiegel die Nachfrage nach Immobiliendarlehen beeinflusst.
Aus diesen Informationen lassen sich wiederum Schlussfolgerungen für die Optimierung des Angebots ziehen. Denn durch intelligente Algorithmen können Banken Entscheidungen von Kunden sehr genau voraussagen und die darauf basierende Angebotsplanung weiter optimieren. Dabei gilt es jedoch auch, den analytischen Auswertungen Leben einzuhauchen, indem diese um Annahmen zu Vorlieben, persönlichen Herausforderungen und Entscheidungskriterien ergänzt werden.
Dahinter steht die Idee, dass die Datenwissenschaftler von morgen zusätzlich zu den nackten Zahlen auch Erkenntnisse aus der Anthropologie, Sozialgeschichte und Verhaltensforschung einbeziehen werden, um so eine ganzheitlichere Sicht auf das Verhalten der Kunden sowie deren Interesse an Finanzangeboten zu erhalten. Damit wird deutlich, dass bei aller Unterstützung durch KI und datenbasierten Methoden der Faktor Mensch mit seiner Kreativität so schnell aus der Angebotserstellung der Banken nicht verschwinden wird – er erhält aber die Möglichkeit, diese gezielter und passgenauer einzusetzen.
Endkunden-Erwartungen erreichen das Firmenkundengeschäft
Kreativität kombiniert mit KI-basierten Technologien ist auch die Basis für die Dienste sprachgesteuerter Assistenten – eine der erfolgreichsten Entwicklungen bisher, die künstliche Intelligenz nutzen. KI kommt hier vor allem in Form der maschinellen Sprachverarbeitung beziehungsweise Computerlinguistik zum Einsatz.
Die Absatzzahlen von 9,2 Mio. smarten Lautsprechern im ersten Quartal 2018 zeigen es: Die Menschen haben sich schnell daran gewöhnt, mithilfe von Alexa, Siri oder Cortana den Wetterbericht abzufragen, ein Taxi zu buchen oder Kinokarten zu reservieren. Daher ist es für Banken ein logischer nächster Schritt, ebenfalls sprachbasierte Dienste anzubieten. Und so experimentieren bereits viele mit diesem Ansatz. Beispielsweise ermöglicht es Capital One seinen Kunden bereits, mithilfe von Alexa ihr Guthaben zu überprüfen, Ausgaben zu verfolgen und Rechnungen zu bezahlen.
Doch wer diese Innovationen ausschließlich auf das Endkundengeschäft beschränkt, verpasst die Chance für eine weitreichende Verbesserung der Leistungen für alle Kunden. Denn obwohl diese Technologie in Corporate Banking, Treasury sowie an den Kapitalmärkten bisher nicht weit verbreitet ist, gibt es eine Vielzahl spannender Einsatzmöglichkeiten.
Erst in diesem Jahr ging JP Morgan eine Partnerschaft mit Amazon ein, um eine neue Funktion für Alexa zu entwickeln. Diese erlaubt es den institutionellen Kunden, über den Sprachassistenten auf die Analystenberichte und Aktieninformationen von JP Morgan zuzugreifen. Dies ist ein erster Schritt in Richtung sprachbasierter Assistenten im Finanzmarkt. Mit künftigen Entwicklungen könnten Unternehmenskunden komplette Aufträge darüber ausführen – und damit effizienter arbeiten.
KI durchdringt Frontend und Backend
KI-Lösungen erreichen immer mehr Bereiche der Finanzindustrie, von der Beratung bis hin zur Betrugserkennung. So setzt die Consorsbank ein entsprechendes Tool ein, mit dem Kundenfragen rund um die Anlage automatisiert beantwortet werden. Sogenannte Robo-Advisor – KI-Lösungen, die auf Basis vorliegender Informationen, wie Cashflow und Finanzierungsvorhaben, passende Angebote erstellen – kommen beispielsweise bei Scaleable Capital zum Einsatz.
Und auch die Sparkasse Marburg-Biedenkopf testet in Kooperation mit der Philipps-Universität einen Service-Roboter: Der rund 120 Zentimeter große Helfer mit Namen „Numi“ kann in mehreren Sprachen kommunizieren und ist so programmiert, dass er auf die Gefühlslage seiner Gesprächspartner reagiert. Das Kreditinstitut will beobachten, ob und wie man ihn in der Interaktion mit Kunden einsetzen könnte. Laut der Sparkassen-Filiale kommt der humanoide Roboter derzeit ausschließlich in der Schalterhalle zum Einsatz, um Kunden zu beraten.
Doch auch im Backend setzen bereits einige Finanzinstitute auf KI-gestützten Anwendungen. So wird in der Commerzbank bereits Robotic Process Automation (RPA) zur automatischen Bearbeitung von Kundenanfragen genutzt und auch Bonitätsbeurteilungen werden heute bereits in vielen Banken von intelligenten Lösungen unterstützt. Eine weitere Einsatzmöglichkeit im Backend liegt in der Betrugserkennung im Zahlungsverkehr. Das geschieht heute häufig noch auf Basis einfacher, regelbasierter Systeme.
Doch mit der technologischen Weiterentwicklung der Betrüger müssen diese immer wieder aufwändig auf den neuesten Stand gebracht werden. Das könnte künftig eine KI-basierte Lösung übernehmen: Diese kann Muster und Interdependenzen von Daten aufzeigen, die dem menschlichen Auge allein oft verborgen bleiben. Selbstlernende Algorithmen können sich in diesem Zusammenhang eigenständig an neue Fälle anpassen und sich kontinuierlich selbst optimieren.
Ausblick
Zusätzlich zu den aufgezeigten Anwendungsbeispielen in Beratung und Betrugserkennung gibt es bereits weitere KI-Initiativen für den Kundenservice sowie für die Prozessautomatisierung. Doch bei all den Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz für den Finanzsektor eröffnet, sollte die immer noch große Rolle des Menschen nicht vergessen werden. Für viele Aufgaben sind die existierenden Lösungen aktuell nur Unterstützer für die menschliche Arbeit: Findet die Software neue Muster in den vorhandenen Daten, beispielsweise bei einem möglichen Betrugsversuch, wird die letztgültige Entscheidung noch immer an einen zuständigen Mitarbeiter übertragen.
Wie sich dieses Verhältnis ausgestaltet, wenn die Intelligenz von Maschinen immer weiter wächst, ist eine spannende Frage für die Zukunft. KI ist nicht perfekt und wird es wahrscheinlich auch nie sein, doch sollten Banken sich davon nicht abschrecken lassen. Die Technologie wird den Markt zwar nicht über Nacht umkrempeln. Doch je früher Finanzinstitute Erfahrungen in dem Bereich sammeln, desto eher können sie für sich geeignete Anwendungen finden. Dabei gilt es zu beachten, dass die Einführung einer einzelnen neuen Technologie kein Garant für Zukunftssicherheit ist. Für nachhaltigen Erfolg muss der kulturelle mit dem technologischen Wandel einhergehen.