Die Marktforscher von Gartner gehen davon aus, dass die Hälfte der Industrieunternehmen bis 2025 IIoT-Plattformen einsetzen, um den Betrieb in ihren Fabriken zu verbessern - verglichen mit nur zehn Prozent in 2020. Außerdem prophezeit Gartner, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre ein Viertel der großen, weltweit agierenden Industrieunternehmen einen IIoT-Anbieter übernimmt oder bei ihm einsteigt.
Setzt man diese Vorhersagen in Relation zu den aktuellen Herstellerbewertungen von Gartner, ist es höchste Zeit für die IIoT-Plattformbetreiber, einen Zahn zuzulegen und ihre Angebote weiterzuentwickeln. Von den 18 Unternehmen im Magic Quadrant für industrielle IoT-Plattformen 2020 sieht Gartner mit PTC, Microsoft und Hitachi nämlich lediglich drei Anbieter als "Leaders". Einziger visionärer Vertreter ist die Software AG, während die restlichen 14 Stück als Nischenanbieter bewertet werden.
Fast noch schlimmer: Anders als in manchen anderen Marktübersichten von Gartner tummeln sich im Nischenbereich nicht nur No-Names, sondern man trifft neben einigen Spezialisten und IT-Töchtern von Fertigungsunternehmen (GE Digital oder Samsung SDS) auch auf bekannte Player wie Amazon Web Services (AWS), IBM und Oracle.
Strenge Ausschlusskriterien
Ganz so schlimm, wie es Gartner darstellt, ist es um die Branche dann allerdings doch nicht bestellt. Von der insgesamt relativ geringen Menge an Herstellern einmal abgesehen, werden Interessierte in der Übersicht eine Reihe bekannter Player vermissen. Ein wesentlicher Grund dafür sind die relativ strengen Auswahlkriterien, die Gartner seit der ersten Auflage des Magic Quadrant IIoT anlegt - und von Jahr zu Jahr leicht abändert. Diese Vorgaben haben zur Folge, dass beispielsweise Industriegrößen wie Bosch SI oder Siemens in der Marktübersicht nicht gelistet sind.
Um sich für die Aufnahme in die Studie zu qualifizieren, muss die IIoT-Plattform eines Anbieters unter anderem
in mindestens zwei definierten Industriesektoren in der Produktion eingesetzt werden;
als eigenständige Lösung angeboten werden, ohne dass begleitende Hard- oder Software erworben werden muss oder spezielle vertikale Anwendungen, Soft- oder Hardware (z.B. MRO, PLM, APM, EAM, MES, DCS, ICS, SCADA oder Historians) benötigt werden;
sich auch mit Geräten anderer Hersteller (Anteil mindestens 30 Prozent) sinnvoll nutzen lassen;
in allen vorgesehenen Bereitstellungsmodellen (Cloud-only, Hybrid-Edge-Cloud und On-Premises) verfügbar sein. Für Bereitstellungen vor Ort akzeptiert Gartner auch containerisierte Lösungen, die alle Elemente enthalten und über längere Zeiträume ohne Cloud betrieben werden können.
Während AWS, Braincube, Microsoft und Samsung SDS als neue Anbieter in den Magic Quadrant aufgenommen wurden, schieden im Vergleich zum Vorjahr Atos und Accenture aus der Bewertung. Accenture wurde fallen gelassen, da das Unternehmen die Funktionen seiner IIoT-Plattform Connected Platforms as a Service (CPaaS) inzwischen mit seiner KI-Plattform für den IT-Betrieb (AIOps) kombiniert hat. Mit der Zusammenlegung sei die IIoT-Plattform nicht mehr als einzelnes Produkt erhältlich, erklärte Gartner, und es gebe noch keine Kunden für die neu fusionierten IoT- und KI-Plattformen. Der französische Anbieter Atos wiederum wurde nicht mehr berücksichtigt, weil er sein Worldline-Geschäft ausgegliedert hat, das einen Teil der Assets für die IIoT-Plattform beisteuerte.
Insgesamt identifizierte Gartner bei seinen Recherchen für den Magic Quadrant mehr als 40 Anbieter, die sich zwar nicht für die Marktübersicht qualifizierten, aber vielversprechende oder spezielle Fähigkeiten aufwiesen. CIOs hätten unzählige Auswahlmöglichkeiten, was eine IIoT-Plattform anbelangt, die weit über diese Evaluierung hinausgingen, so Gartner.
Als Beispiele für andere Anbieter, die bei jeder Due Diligence für IIoT-Lösungen berücksichtigt werden sollten, nannte das Analystenhaus dieses Jahr konkret Alibaba, AVEVA, FORCAM und Haier. Grund seien die besonderen Fähigkeiten ihrer Plattformen, die Erfahrungen der Anbieter mit Industrieunternehmen und ihre Fähigkeit, in diesem Kontext Wertschöpfung zu schaffen.
Stärken und Schwächen der "Top"-Anbieter
PTC (ThingWorx)
Aus Sicht von Gartner liegt die Stärke von PTC und dessen IoT-Plattform ThingWorx in der Erfahrung des Anbieters mit Assets in verschiedenen vertikalen Märkten. Zudem habe PTC ein globales Ökosystem von IIoT-orientierten Technologiepartnern, Lösungsanbietern und weltweit aktiven Systemintegratoren entwickelt und unterhalte ein global tätiges Sales-Team und einen indirekten Kanal von Wiederverkäufern.
Zu den von Gartner beobachteten und überprüfbaren industriellen Anwendungsfällen von PTC gehören das Monitoring von Anlagen und die vorbeugende Instandhaltung (Predictive Maintenance) von mehreren Anlagen vor Ort. Während sich PTC selbst zunehmend auf IoT-Anwendungen konzentriert (hauptsächlich fertigungsbezogene OEM-Anwendungen), komme verstärkt Microsofts Azure IoT-Stack zum Einsatz ein, um horizontal ThingWorx mit IoT-bezogenen Middleware-Funktionalitäten wie Skalierung, Device Management und anderen Fähigkeiten zu unterstützen.
Als besondere Stärke im IIoT-Bereich hebt Gartner die strategische Zusammenarbeit mit dem Industrieausrüster Rockwell Automation und das Gemeinschaftsprodukt FactoryTalk hervor. Außerdem sei ThingWorx gut dafür geeignet, Kunden beim On-Premises-Deployment einer IIoT-Plattform zu unterstützen, die komplett offline betrieben werden kann.
Gartner weist jedoch darauf hin, dass sich einige Kunden frustriert über die Implementierung und Usability der Analysefunktionen von PTC äußerten. Außerdem sei die Thingworx Enterprise Edition ihren Angaben zufolge oft teurer als die Lösungen der Konkurrenz. Zudem biete der digitale Zwilling von PTC den Betreibern von Industrieanlagen nur begrenzte Unterstützung. In den Bereichen Versorgungsunternehmen, Transport und Logistik wiederum sei PTC unterrepräsentiert.
Hitachi (Lumada)
Aus Sicht von Gartner erfüllt die Lumada-Plattform von Hitachi die Anforderungen an Asset-intensive Branchen wie Fertigung, Transport, Energiesektor und Versorgungsunternehmen. Dazu trügen auch die neue Anwendungspakete Lumada Manufacturing Insights, Lumada Maintenance Insights und Lumada Video Insights bei, die Hitachi für Implementierungen in der eigenen Produktion und bei Kunden geschnürt hat. Das Repertoire an IIoT-Anwendungsfällen, Branchen, Datentypen und Anwendungen sei eine gute Basis, auf der Kunden personalisierte Lösungen entwickeln können, so das Analystenhaus.
Zu den Stärken von Hitachi Vantara gehört laut Gartner, dass sich die Plattform je nach Wunsch des Kunden vollständig On-Premises oder in einer hybriden, beziehungsweise reinen Cloud-Umgebung nutzen lasse. Außerdem verfüge sie über viele Funktionen in den Bereichen Integrationsfunktionalität und Anwendungsentwicklung/-komposition. Die Zusammensetzbarkeit der Plattform helfe Hitachi Vantara bei "Co-Creation"-Aktivitäten zur Personalisierung der Plattform für spezifische Lösungsanforderungen.
Allerdings weist Gartner darauf hin, dass Lumada in Hinblick auf die Funktionalitäten im Bereich Device Management dem Wettbewerb unterlegen sei. Außerdem berichteten die Referenzkunden über Schwächen der Plattform bei der Unterstützung für Digital Twins. Diese läge deutlich unter dem Marktdurchschnitt und sei einer der schwächsten Bereiche der Lumada-Funktionalität, so Gartner. Als weiteres Problem verweisen die Analysten auf die eingeschränkte Zahl von Resellern für die Plattform, was die verfügbaren Ressourcen im Markt deutlich limitiere. Mit dem kürzlich erfolgten Zusammenschluss von Hitachi Vantara und Hitachi Consulting könnte dieses Problem weiter anhalten, warnt Gartner.
Microsoft (Azure IoT)
Der auf Anhieb im Leaders-Quadrant positionierte Anbieter Microsoft profitiert laut Gartner im IIoT-Umfeld von seiner langen Historie als Partner von Industrieunternehmen und deren Einsatz von Microsoft-Betriebssystemen und OPC in Embedded-Systemen.
Microsoft stellt seine IIoT-Plattform-Funktionen über Azure IoT Services bereit. Industrieunternehmen können diese mit anderen Softwarediensten kombinieren, um IoT-Lösungen zu entwickeln und zu implementieren. Zusätzlich gibt es noch einen Marktplatz für Software von Drittanbietern und aus der Zusammenarbeit mit industriellen OT- und OEM-Unternehmen entstehen IoT-Lösungen, die mehr IIoT-Workload auf Azure IoT bringen.
Als eine der Stärken sieht Gartner, dass Microsoft Kunden mit Implementationen im Produktionsumfeld vorweisen kann, die sich über Kernbereiche, Lieferketten- und industrielle Feldimplementierungen für Fertigung, Transport und Logistik sowie Versorgungsunternehmen erstrecken. Außerdem würden sich die Kunden sehr positiv über Microsofts Sicherheitsansatz für IIoT äußern. Die Plattform Azure Sphere verbessere die Gerätesicherheit zum Schutz vor Cyberbedrohungen und ermögliche eine Geräteverschlüsselung.
Gleichzeitig weist das Analystenhaus darauf hin, dass sich die neuen Azure-IoT-Edge-Module als schwierig zu handhaben erweisen könnten, da diese Funktionalität erst am Anfang der Entwicklung stehe. Und obwohl Microsofts horizontale IoT-Technologie funktionell die meisten Anforderungen unterstützt, benötigten die meisten Kunden Microsoft-Partner als Vermittler für die Planung der gewünschten Lösung und das Feature Engineering. Außerdem seien bei einigen OT-Systemen zur Extraktion von Daten Software von Drittanbietern oder Edge-Module zur Integration in Azure IoT erforderlich.
Software AG (Cumulocity)
Beim Visionär Software AG verweist Gartner auf die besonderen Stärken in den Bereichen Integration, Gerätemanagement und Application Enablement. Cumulocity IoT konzentriere sich stark auf Produktions-, Transport- sowie Logistikprojekte, wobei es in einer Vielzahl von Business-Lösungen für das Condition Monitoring, Asset Tracking und Predictive Maintenance zum Einsatz komme. Zu diesem Zweck unterstütze die für Edge und Cloud verfügbare Plattform über mehr als 350 Protokolle, um die Anbindung einer breiten Palette von Industriegeräten zu ermöglichen.
Die Stärke der Software AG bei der Integration, Nutzung und Verwaltung von APIs stellt somit laut Gartner ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal dar. Die Analysten weisen aber darauf hin, dass Cumulocity IoT noch nicht in großem Umfang von Industrieunternehmen genutzt werde, um die OT-Funktionen zur Verbesserung der Strategien und Prozesse rund um das Asset Management Life Cycle zu erweitern. Außerdem seien manche Vertriebspartner und Plattformkunden mit dem technischen Service und Support der Software AG unzufrieden.
IIoT als Katalysator für echte IT/OT-Konvergenz
Trotz des unter dem Strich nicht eben guten Abschneidens der Hersteller im Magic Quadrant ist es laut Gartner um die Zukunft von Industrial IoT insgesamt gut bestellt. IIoT habe zwar das Versprechen noch nicht erfüllt, die alten Kontrollsysteme zu ergänzen und letztendlich zu ersetzen, indem es die Stärken von Software-defined Architectur, einer verbesserten Datenerfassung, Condition Monitoring und fortgeschrittener Analytics kombiniert. Gartner zufolge glauben aber 93 Prozent der für die Erhebung befragten 221 Referenzkunden, dass IoT wahrscheinlich die Fähigkeiten von OT-Systemen für die Automatisierung und Steuerung erweitern oder ersetzen wird.
Da IIoT-Lösungen komplexe und unternehmenskritische Geschäftsprozesse unterstützen, stehen laut Gartner viele Unternehmen aktuell vor der Herausforderung, IIoT-Projekte schnell in die Produktion einzubringen, anzupassen und in einem absehbaren Zeitraum Resultate zu erzielen. Tatsächlich benötigten die Referenzkunden jedoch im Schnitt 5,65 Monate für die Bereitstellung einer IIoT-Plattform. Bei vierzig Prozent der Referenzen dauerte das Deployment mehr als sechs Monate, bei 15 Prozent sogar mehr als neun Monate. Angesichts des bescheidenen Umfangs der meisten IIoT-Projekte sei dies eine überaus lange Dauer, befindet Gartner.
Die Analysten empfehlen als Lösungsansatz das an DevOps angelehnte DataOps-Konzept, um die Kommunikation, Integration und Automatisierung von Datenflüssen zwischen Datenmanagern und Datenkonsumenten zu verbessern. Diese führe zu einem schnelleren Deployment und mehr Effizienz, wenn nach der Bereitstellung Anpassungen vorgenommen werden müssen. DataOps-Techniken könnten die Herausforderungen, die mit dem Einsatz von IIoT-Lösungen verbunden sind, durch einen agileren, kollaborativeren und veränderungsfreundlicheren Ansatz zum Aufbau und zur Verwaltung komplexer Lösungen mit vielen Komponenten adressieren, so Gartner. Dies würde dazu beitragen, mehr Wert aus den Daten industrieller Anlagen zu schöpfen.