Die Fabrikhalle ist fast menschenleer. Fahrroboter steuern wie von Geisterhand Fertigungsanlagen und Abfüllstationen an, um Rohlinge, Halb- oder Fertigprodukte anzuliefern oder abzuholen. Die zu erledigenden Arbeitsschritte lenken allerdings nicht die entsprechend vorprogrammierten Maschinen, sondern das Werkstück, das zu bearbeiten ist, organisiert selbst die Abläufe. Rohlinge, Fabrikate und Produkte sind "intelligent".
Der Kunde kann in einem solchen Szenario den Produktionsstand seines Auftrags jederzeit online abrufen und kontrollieren. Produktionsdaten werden automatisch auf die Tablets oder Smartphones der Mitarbeiter einschließlich der LKW-Fahrer übermittelt, damit diese entsprechend disponieren können. Natürlich "denkt" auch die Maschine mit, gleicht den Auftrag mit dem noch vorhandenen Material ab und ordert je nach Bedarf über das jeweilige Transportsystem Nachschub. In der Buchhaltung wird der Auftrag schließlich automatisch fakturiert.
Industrie 4.0: Definitionen
Embedded Systems (ES) machen Produkte intelligent
Industrie 4.0 ermöglicht die vertikale Integration von technischen und kaufmännischen Aufgaben und Prozessen. Tritt aber einmal ein Problem auf, beispielsweise der Ausfall eines Fertigungsroboters, ergeht Meldung an das Werkstück, das sich nun eine andere Fertigungsstation sucht - soweit eine verfügbar ist. Auch das geschieht vollautomatisch. Ist das Fertigungsmodul nicht "ansprechbar", prüft das "intelligente" Produkt, ob gegebenenfalls der übernächste Produktionsschritt vorgezogen werden könnte.
Industrie 1.0 |
Industrie 2.0 |
Industrie 3.0 |
Industrie 4.0 |
Ende 18. Jahrhundert |
Beginn 20. Jahrhundert |
Beginn der 1970er Jahre |
21. Jahrhundert |
Mechanische Produktionsanlage (Webstühle) |
Massenproduktion (Fließband) |
Automatisierung durch Elektronik und IT |
Informatisierung durch Internet und Cyber-Physical Systems |
Wasser- und Dampfkraft |
Elektrische Energie |
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Quelle: Walter Simon |
Diese Abläufe zu organisieren und zu steuern war und ist heute noch Sache der Fertigungsplanung - mit einer gewissen manuellen Komponente der Mitarbeiter. Im 4.0-Zeitalter prüft und entscheidet der eingebettete Mikroprozessor. Er klärt mittels M2M-Kommunikation (Maschine-zu-Maschine) in Sekundenschnelle die Situation und trifft seine Entscheidungen. Das sich bisher passiv verhaltende Material nimmt nun eine aktive Rolle ein.
Der Begriff "intelligente Produkte" erklärt sich durch einen erbsengroßen Mikroprozessor, der sich im oder am Produkt befindet. Hierfür hat sich der Begriff "einge-bettete Systeme" (ES) eingebürgert. Dieser Chip kann als eine Art Fingerabdruck im Produkt verbleiben, so dass es lokalisierbar beziehungsweise identifizierbar bleibt. Im Haushalt findet man solche ES beispielsweise an Erfassungsgeräten für Heizkosten, die nicht mehr abgelesen werden müssen, weil sie den Verbrauch funkgesteuert direkt an den Betreiber melden.
Dezentrale Fertigung und individualisierbare Produkte
Plötzlich meldet sich ein guter Kunde mit einem höchst eiligen Sonderwunsch. Er benötigt 500 Produkte, beispielsweise Kurbelwellen. Die Produktion arbeitet gerade an einem Auftrag für einen anderen Abnehmer mit einer Losgröße von 10.000 Stück. Im Normalfall ist es fast unmöglich, den Sonderauftrag in die laufende Produktion einzuschleusen, ohne dass immense Kosten entstehen. Es gilt die Regel: Je mehr identische Produkte im Fertigungsfluss, um so geringer fallen die Kosten aus (Economies of Scale). In der 4.0-Produktion wären dagegen sogar Losgrößen von eins, also Unikate, machbar. Eine individuelle Fertigung erscheint nun möglich.
Dafür wird ein Rohling mit einem Chip ausgestattet und sucht sich selbständig seinen Weg durch die Produktion. Auch wenn keine Maschine für die volle Bearbeitungszeit zur Verfügung steht, hilft sich der Rohling, indem er die Leerlaufzeiten an anderen Maschinen nutzt. Das Unikat wird rechtzeitig fertig. Die Industrie beschreitet eine Schleife von der Einzel- zur Serienfertigung zurück zur Einzelfertigung - Letztere ohne Produktivitätsverlust.
Heute werden die Abläufe noch zentral von der Produktionsleitung gesteuert und von der Arbeitsvorbereitung koordiniert. Im nächsten Jahrzehnt - im Zeitalter von Industrie 4.0 - geht die Initiative vom Werkstück beziehungsweise dem eingebetteten Chip aus. In diesem ist das Fertigungsprogramm für die Maschine nebst virtuellen Zeichnungen gespeichert. Das Produkt dient als Informationsträger, auf dem alle Prozessparameter niedergelegt sind. So wird auch die von der Norm ISO 9001 geforderte Rückverfolgbarkeit von Produkten bestens gewährleistet. Das Werkstück steuert sich selbst durch die Produktion - wir steuern in das Zeitalter dezentraler Fabrikation.
In der "integrierten 4.0-Fabrik" wird nicht mehr sequentiell, also der Reihe nach, gearbeitet, wie man es vom Fließband kennt, sondern entkoppelt, flexibel und integriert. Die Fabrik der Zukunft besteht aus Fertigungsinseln, Anlagen oder Robotern, die eine Vielzahl von Operationen ausführen können. Die Kommunikation erfolgt funk-gesteuert über das Internet, da eine Verkabelung der Fabriksysteme angesichts der Menge kaum praktikabel wäre. Der Materialtransport funktioniert über funk- und sensorgesteuerte Transportsysteme.
Diese Beschreibung zeigt deutlich einen Paradigmenwechsel. Hierfür hat sich mittlerweile der Begriff Industrie 4.0 in der Branche durchgesetzt. Die IT-affine Nummerierung weist auch auf den Charakter der 4.0-Version industrieller Fertigung hin. Sie wird nicht durch Wasser- und Dampfkraft oder Elektrizität getrieben, sondern durch Informations- und Kommunikationstechnik sowie das Internet.
- Internet der Dinge und M2M
Industrie 4.0, M2M und das Internet der Dinge sind unterschiedliche Themen mit gleichem Hintergrund: Bessere Vernetzung, zunehmende Miniaturisierung und fallende Hardwarekosten bereiten den Boden für sich selbst verwaltende Systeme. - Internet der Dinge und M2M in Gartners Hype Cycle:
Während die Umsetzung des „Internet der Dinge“ nach Gartner-Einschätzung noch weit entfernt erscheint, könnte die M2M-Kommunikation in fünf bis zehn Jahren zum praktischen Einsatz kommen. Erste Projekte gibt es heute bereits, wie in Blick auf Beispielen aus verschiedenen Branchen zeigt. - Call a Bike:
Wer ein Fahrrad der Deutschen Bahn am Wegesrand sieht und es ausleihen möchte, wählt die darauf angegebene Nummer und bekommt eine Öffnungsnummer mitgeteilt. Schon kann man losradeln, einmalige Anmeldung vorausgesetzt. - John Deere:
In seine Mähdrescher packt der Landmaschinenhersteller die Rechen-Power von acht PCs. Via GPS lassen sich Geräte spurgenau steuern. Eine Vielzahl von Sensoren sollen drohende Probleme frühzeitig melden, damit die Maschinen nicht während der Erntezeit ausfallen. - GAP:
Die Modekette GAP begrüßt in einigen Warenhäusern auf Bildschirmen im Ein- und Ausgangsbereichen Kunden mit persönlichen Nachrichten. Erkennungsmerkmal ist das mitgeführte Smartphone. - Telemedizin:
Vitalparameter werden mittels Körperscanner gemessen und dem behandelnden Arzt übermittelt. So können beispielsweise Krankenhauszeiten verkürzt werden. - DriveNow:
BMW hat das Geschäftsmodell Autoverkauf und die Autovermietung erweitert. In einigen deutschen Städten gibt es BMW-Fahrzeugflotten die registrierte Nutzer über Smartphone-App orten, reservieren und mieten können. - Smart Energy:
Das intelligente Energie-Management beschränkt sich nicht auf die Energiemessung, sondern steuert den Energieverbrauch je nach Angebot.
Die ITK als Auslöser und Treiber der Industrie 4.0
Die Fertigungssysteme und Produkte der "Smart Factory", so eine der Bezeichnungen für die zukünftige Produktionsweise, sind mit eingebetteten Systemen ausgestattet, die vernetzt funktionieren. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Cyber-Physical Systems (CPS). Da diese aus mehreren, oft autonomen Einzelteilen bestehen, werden sie auch als "System of Systems" charakterisiert. Hier gilt die aristotelische Erkenntnis, nach der das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist.
Heute dringen immer mehr drahtlose ITK-Komponenten in den Alltag der Menschen und die Berufswelt ein. Diese sind als Bestandteil von "Dingen" (Produkte, Gegenstände, Objekte) drahtlos vernetzt und in der Lage, ihre Umwelt zu erfassen und interaktiv zu reagieren.
Das Internet besteht also nicht mehr nur aus Menschen, die im Netz agieren, sondern auch aus Dingen - darum der Begriff "Internet der Dinge".
Im klassischen Computing waren reale und virtuelle Welt strikt getrennt. Das dingliche Internet hat den Prozess der Verschmelzung beider Welten in Gang gesetzt. Die Fusion wird über die beschriebenen CPS forciert, durch das Zusammenspiel von eingebetteten Systemen, Anwendungsgeräten und ITK-Infrastrukturen. Um zweckorientiert zusammenzuwirken, erhalten Gegenstände eine "persönliche" Internet-Adresse, die für die Interaktion auf der Basis von Internet-Protokollen notwendig ist. Die Voraussetzungen hierfür sind durch die neue Internet-Version IPv6 gegeben. Waren bis vor Kurzem im alten Adressraum IPv4 4,3 Milliarden Internet-Adressen möglich, sind es jetzt 340 Sextillionen (340 mit 36 Nullen). Damit ließen sich jedem Sandkorn auf der Erde theoretisch mehrere IP-Adressen zuteilen.