Wenn Sie bisher in Sachen Business noch nichts mit Digital Twins zu tun hatten, basiert ihr Bild von der Technologie eventuell auf den Matrix-Filmen oder der Sims-Videospielreihe. Allerdings gelten digitale Zwillinge dank der Fortschritte in den Bereichen Edge Computing, Internet of Things, verteilte Datenmanagement-Plattformen und Machine Learning längst nicht mehr als Science Fiction, sondern haben sich zu einer bewährten Business-Funktion entwickelt.
Damit Unternehmen das Potenzial von digitalen Zwillingen voll ausschöpfen können, gilt es, die Kluft zwischen IT und OT zu überbrücken, wie Jens Beck, Partner für Data Management und Innovation beim Serviceanbieter Syntax, konstatiert: "CIOs und IT-Führungskräfte müssen verstehen, dass OT eine andere Welt ist als IT. Ein perfekter digitaler Zwilling ist die Verschmelzung beider Welten."
Lange Jahre konnten sich Unternehmen eine Trennung von OT und IT leisten. Das gilt für diverse Branchen inzwischen nicht mehr - etwa die Fertigungsindustrie, das Baugewerbe, den Einzelhandel und andere Sektoren, in denen physische und digitale Welt miteinander verschmelzen müssen. Ein Digital Twin ermöglicht diese Verbindung und damit auch die Optimierung von Produktion und Qualität.
Wir haben - gemeinsam mit Experten aus diversen Bereichen - ermittelt, wie IT-Entscheider und -Führungskräfte vorgehen sollten, die sich gerade erstmals mit dem Thema Digital Twin auseinandersetzen oder eine Entwicklung in Erwägung ziehen.
Digital Twins entwickeln: 7 Schritte zum Erfolg
Die folgenden sieben Schritte unterstützen Sie dabei, digitale Zwillinge erfolgreich in Ihrem Unternehmen einzuführen.
1. Erfolgreiche Deployments recherchieren
Vor dem eigentlichen Brainstorming über einen neuen Technologiebereich empfiehlt es sich, die Use Cases und Benefits von Early-Adopter-Unternehmen zu recherchieren. Geht es um Digital Twins, gibt es zahlreiche Beispiele aus den Bereichen:
Healthcare sowie
diversen weiteren.
Um die Akzeptanz neuer Technologien zu fördern, sollten Führungskräfte stets nach guten Stories Ausschau halten. Die sollten einerseits insprierend sein und veranschaulichen, was möglich ist - andererseits aber auch Business Outcomes aufweisen. Sollten Ihre direkten Konkurrenten erfolgreich Digital Twins entwickelt und eingesetzt haben, kann es ein Gefühl der Dringlichkeit schaffen, diesen Use Case zu präsentieren.
2. Gamechanger erkennen
Die Entwicklung eines digitalen Zwillings ist teuer. Expertenschätzungen zufolge liegen die Kosten für den Digital Twin eines durchschnittlichen Bürogebäudes zwischen 1,2 und 1,7 Millionen Dollar. Bevor Sie also damit beginnen, einen digitalen Zwilling zu entwickeln, sollten Sie:
eine Produktvision dokumentieren,
die geschäftlichen Beweggründe analysieren und
die finanziellen Benefits abschätzen.
Manchmal kann dabei eine bahnbrechende Zielsetzung zum Treiber für die Investition werden, wie Abhijit Mazumder, CIO von Tata Consultancy Services (TCS), anhand eines Beispiels illustriert: "Im Jahr 2020 arbeitete TCS mit einer lokalen Nichtregierungsorganisation zusammen, um das Problem der damals gerade entstehenden COVID-19-Hotspots zu adressieren. Mithilfe des Digital Twin einer Stadt wurden Prozesse simuliert und Faktoren modelliert, die die Ausbreitung des Virus beeinflussten. Das war ein Mittel, um wirksame Interventionen zu erforschen, ohne die öffentliche Gesundheit und Sicherheit zu gefährden."
3. Lifecycle Management berücksichtigen
Nicht nur die Entwicklung eines digitalen Zwillings ist zeit- und kostenintensiv, es fallen auch laufende Supportkosten an. Die sind nötig, damit die zugrundeliegenden Modelle akkurate Ergebnisse liefern. Ein Grund mehr für gute Vorbereitung. Geht es nach David Talby, CTO beim KI-Dienstleister John Snow Labs, sollten Sie insbesondere folgende drei Aspekte bedenken, bevor Sie mit Digital Twins experimentieren:
Ein klarer Business Use Case ist Pflicht. Experimentieren Sie nicht mit der Technologie um ihrer selbst willen.
Vergewissern Sie sich, dass die Population der digitalen Zwillinge, die Sie verwenden, um Ihre Modelle, Services oder Simulation zu erstellen, die Menschen in der realen Welt repräsentiert.
Setzen Sie auf ein MLops-Toolset, um schnell und zuverlässig zu entwickeln und zu deployen.
Der CTO ergänzt: "Versuchen Sie, Elemente des gesamten Lifecycle im Voraus zu berücksichtigen - insbesondere Funktionen, die Machine-Learning-Modelle und automatisierte Deployments unterstützen."
4. Systemdesign-Tools nutzen
Stehen Business Case und Lifecycle, stellt sich die Frage, welche Tools Sie in Erwägung ziehen sollten, um die Planungs- und Experimentierphase zu starten. Arjun Chandar, CEO des Tool-Anbieters IndustrialML, empfiehlt: "Nutzen Sie CAD-Software oder Simulations-Tools, um mit digitalen Zwillingen auf Konstruktionsseite zu experimentieren und die Auswirkungen der physischen Umgebung auf neu entworfene Produkte abzuschätzen."
Im Folgenden einige Beispiele für kommerzielle Anbieter von Systemdesign-Tools, die für spezifische Zwecke zum Einsatz kommen:
Autodesk (Bau- und Ingenieurwesen; Architektur)
Bentley Infrastructure (Wassersysteme; Mobilfunkmasten)
General Electric (Equipment; Netzwerke; Fertigungsprozesse)
Siemens (Konsumgüter)
Bosch (Smart Buildings, inklusive Space Management und Predictive Maintenance)
Das sind nur einige von vielen Beispielen - wesentlich ist, sich mit den industriellen Plattformen vertraut zu machen, die von den operativen Teams eingesetzt werden.
While experts invest in life extension, @sonyelectronics has developed a 70-camera 3D photo booth to being the process of transforming you into a digital twin. With #AI modeling and training, your avatar could learn to become…you online.
— Brian Solis (@briansolis) April 20, 2023
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5. Nutzungsmöglichkeiten definieren
Wenn ein Technologieprogramm in Angriff genommen wird, ist es essenziell, die Endbenutzer beziehungsweise User Personas zu identifizieren. IT-Führungskräfte sollten definieren, wer am meisten vom digitalen Zwilling profitiert - das sind im Regelfall die Mitarbeiter im operativen Bereich. "Die Hauptfunktion eines Digital Twin besteht darin, OT- und IT-Daten zusammenzuführen und diese Datensätze bei Bedarf durch Datenanalyse oder KI/ML in einen Kontext zu setzen", erklärt Innovationsexperte Beck. "Sein eigentlicher Vorteil liegt allerdings darin, dass er OT-Mitarbeitern wie Ingenieuren oder Technikern ermöglicht, Datenpunkte abzurufen."
Die User Personas zu verstehen, ist der erste Schritt - der nächste besteht darin, zu ermitteln, welche Teile ihrer Workflows und Prozesse von einem digitalen Zwilling am meisten profitieren können. Wie CEO Chandar weiß, sind die Möglichkeiten vielfältig - auch durch das Aufkommen generativer künstlicher Intelligenz: "Aus Manufacturing-Perspektive können IT-Verantwortliche ihren physischen Produktionsbereich modellieren, um den Produktfluss zu simulieren. Eine andere Möglichkeit wäre, die Montage- oder Logistikschritte für die Zusammenstellung eines neuen Produkts zu modellieren. All diese Anwendungsfälle lassen sich skalieren, und Generative AI kann traditionelle Finite-Elemente-Analysen ergänzen, um neue Produkte virtuell zu testen. Produktionsanlagen können digitalisiert und für neue Produkte simuliert werden, bevor sie physisch aufgebaut werden und digitale Abbildungen von Workflows können für alle Produkte in einer Fabrik entwickelt werden."
6. Datenplattform aufbauen
Digitale Zwillinge erzeugen Datenmassen (mindestens) im Petabyte-Bereich. Diese müssen abgesichert und analysiert werden, um anschließend Machine-Learning-Modelle damit warten zu können. Wichtige Aspekte sind dabei:
die Gestaltung von Datenmodell und -flüssen, um IoT-Echtzeitdatenströme zu erfassen sowie
die Data-Management-Architektur des Digital Twin.
Viele Data-Management-Plattformen unterstützen Echtzeit-Analysen und großangelegte ML-Modelle. Aber digitale Zwillinge, die das Verhalten von Tausenden (oder mehr) Objekten simulieren, etwa im Fall von Fertigungsanlagen oder intelligenten Gebäuden, benötigen ein Datenmodell, das die Abfrage von Objekten und deren Beziehungen ermöglicht.
Harry Powell, Head of Industry Solutions beim Datenbankanbieter TigerGraph, ergänzt nicht ganz uneigennützig: "Heute erstellen Unternehmen digitale Zwillinge mit Graph-Datenbanken, um verschiedene betriebliche Analysen zu unterstützen und verwertbare und zeitnahe Geschäftsinformationen zu erhalten. Der Aufbau eines detaillierten digitalen Modells kann auf hoher Ebene erfolgen und nur die größten Komponenten des Unternehmens enthalten. Er kann aber auch um ein Vielfaches granularer ausfallen und einzelne Maschinen, Lagerregale und Lieferwagen modellieren."
7. Kompetenzen entwickeln
Plattformen für digitale Zwillinge zu installieren, die Daten aus Tausenden von IoT-Sensoren zu integrieren und skalierbare Datenplattformen einzurichten, fordert die IT-Abteilung. Zu deren Kernkompetenzen sollte deswegen unter anderem gehören, eine skalierbare, technologische Infrastruktur auszurollen. Während die IT-Teams Anwendungsfälle erörtern und mit Plattformfunktionen experimentieren, ist es Aufgabe der IT-Führungskräfte, sich Gedanken um Cloud, Infrastruktur, Integration und die nötigen Devices zu machen, die für einen produktionsreifen Digital Twin nötig sind.
Neben Infrastruktur-Skills empfiehlt TCS-CIO Mazumder, Kompetenzen zu entwickeln, um neue Devices und Analysen zu unterstützen: "Digital-Twin-Erfolg beginnt mit einem starken digitalen Kern, der durch Cloud-native Anwendungen wie KI/ML und AR/VR entsteht und Organisationen dabei unterstützt, Daten und Anwendungen unabhängig von der Infrastruktur zu verarbeiten." (fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.