Mit großer Euphorie hatten IBM und die Maersk-Abteilung GTD Solution am 9. August 2018 die TradeLens-Plattform vorgestellt. Sie galt als idealer Use Case für Blockchain-Technologie. Ein Digital Ledger für die Container-Schifffahrt sollte globale Lieferketten digital nachvollziehbar machen und langwierige bürokratische Prozesse beseitigen. Dazu wurden Versanddaten, Frachtinformationen, wichtige Handelsdokumente, Sensormessungen, Zolldokumente und andere Daten der beteiligten Instanzen auf der Plattform - als "Single Point of Truth" - zentral bereitgestellt und von allen Beteiligten weltweit genutzt.
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Doch nun haben IBM und Maersk angekündigt, die Supply-Chain-Plattform für den Seefrachtverkehr wieder einzustellen. TradeLens soll bis zum Ende des ersten Quartals 2023 vom Netz gehen. TradeLens hat offensichtlich nicht genügend Nutzer begeistert, um sich zu rechnen. Rotem Hershko, Leiter der Geschäftsplattformen bei A.P. Moller - Maersk, schreibt in einer Erklärung, man habe zusammen mit IBM die Vision einer offenen, neutralen weltweiten Plattform umgesetzt. "Das ist zwar gelungen, aber die notwendige weltweite Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen konnte nicht erreicht werden." TradeLens habe nicht den notwendigen "Grad an kommerzieller Lebensfähigkeit" erreicht, um die Arbeit erfolgreich fortzusetzen.
This Maersk TradeLens project was widely heralded as the biggest "blockchain" success story. And in reality it was an abysmal failure. The emperor has no clothes.https://t.co/iTJ8VbEZSt
— Stephen Diehl (@smdiehl) November 30, 2022
TradeLens sollte Bürokratie beseitigen
In der Container-Schifffahrt wird oft noch auf traditionellen Informationsaustausch via EDI, E-Mail, Fax oder Kurierdiensten gesetzt. TradeLens sollte das Problem inkonsistenter Daten und zahlreicher manueller und damit teurer Prozesse beseitigen. Alle Beteiligten in der Lieferkette sollten über einen Blockchain-Ledger Informationen zur Sendungsverfolgung in Realtime erhalten und so beispielsweise über Ankunftszeiten, Zollfreigaben, Rechnungen und Konnossemente informiert werden. Derzeit tummeln sich den Anbietern zufolge aber nur rund 300 Mitglieder auf der Plattform, darunter Logistiker, Terminals in verschiedenen Häfen, Zollbehörden und intermodale Anbieter.
Trotz der Schließung will Maersk "seine Bemühungen um die Digitalisierung der Lieferkette fortsetzen", wie es auf der Website heißt. Man wolle weiter Innovationen in der Branche vorantreiben, um Reibungsverluste zu verringern und den globalen Handel zu fördern. "Wir werden die Arbeit rund um TradeLens als Sprungbrett nutzen, um unsere Digitalisierungsagenda weiter voranzutreiben", lässt sich Hershko zitieren.
TradeLens galt als perfekter Anwendungsfall für die Blockchain-Technologie, weil weltweite Transaktionen im Seefrachtverkehr fälschungssicher und transparent für alle Beteiligten nachvollzogen werden konnten. Die Copenhagen Business School beschrieb in einem Forschungspapier von 2018 das Geschäftsmodell als einen Mix aus kostenlosen Angeboten sowie Abo- und Transaktionsgebühren. So sollen IBM und Maersk mit einer Pauschale von 25 Dollar pro transportiertem Container kalkuliert haben, was in etwa einem Prozent der gesamten Transportgebühren entspricht.
Der Nachrichtendienst "The Register" vermutet, dass viele Seefracht-Logistiker sich dem Projekt nicht angeschlossen haben, weil mit Maersk einer ihrer größten Rivalen Mitinitiator war. Schon 2018 ließ sich der damals verantwortliche IBM-Manager Marvin Erdly dort mit den Worten zitieren: "Die Tatsache, dass Maersk die Initiative mit vorantreibt, ist sowohl positiv als auch besorgniserregend, weil sie ein großer Player in dieser Industrie sind." Offensichtlich hat der TradeLens-Botschafter mit seinem ungewöhnlichen Anflug von Skepsis richtig gelegen.