Schon mindestens drei Jahre rauscht der Begriff Hybrid Cloud mächtig durch die PR-Kampagnen der Anbieter. Sie preisen das Konzept als goldene Brücke in die schöne neue IT-Servicewelt. Das Versprechen: Mehr Flexibilität, sinkende IT-Kosten und eine nahtlose Integration externer und interner IT-Ressourcen. Anwender könnten darauf bequem über Selbstbedienungs-Portale zugreifen.
Idealerweise lassen sich Lasten oder Services in einer solchen Hybrid-Cloud-Infrastruktur rasch automatisiert von innen nach außen verlagern und umgekehrt. Darin liegt ein wichtiger Unterschied zum altbekannten Outsourcing. Ein zweiter besteht darin, dass beim Hybrid-Cloud-Computing die Ressourcen, die "draußen" liegen, auf einer zwischen mehreren Kunden geteilten Infrastruktur laufen sollten oder zumindest können - jedenfalls dann, wenn es sich um die Idealform der hybriden Cloud mit Public- und Private-Anteilen handelt.
In gemischten Infrastrukturen gibt es viele Ebenen der Hybridisierung: Der Begriff Hybrid Cloud ist beispielsweise relativ eindeutigs anwendbar, wenn ein Unternehmen seine Hardware-Infrastruktur teils im eigenen RZ, teils im fremden, über Internet angebundenen Public-Cloud-RZ hält. Doch greift die schwammige Bezeichnung auch, wenn zur eigenen Hardware-Infrastruktur nur einige Software-Services aus der Public Cloud hinzukommen? In diesem Artikel wird auch für diesen Fall der Begriff Hybrid Cloud verwendet, obwohl sich darüber streiten lässt.
Dass es in Sachen Hybrid Clouds in den meisten Unternehmen zumindest offiziell eher langsam vorangeht, beobachtet Carlo Velten, Senior Advisor beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Experton Group: "In den vergangenen zwei Jahren ist in vielen Unternehmen über Hybrid Cloud viel geredet worden - aber nur ein gutes Zehntel der Unternehmen, die darüber nachdenken, hat sie umgesetzt."
Daten von IDC (Umfrage unter 254 deutschen Führungskräften zu Cloud Computing) zeigen, dass eine Hybrid Cloud in 54 Prozent der befragten Firmen geplant ist. 41 Prozent wollen von dieser Infrastrukturvariante nichts wissen. Viel beliebter sind reine SaaS-Dienste: 77 Prozent der Unternehmen planen, Public SaaS-Services zu nutzen oder tun es bereits. "Auffällig ist außerdem, dass das Thema Kontrolle über die Daten als Hinderungsgrund gegenüber Cloud-Implementierungen zurückgegangen ist - Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit spielen heute eine wichtigere Rolle", sagt Matthias Zacher, Senior Consultant bei IDC.
- Einige Ergebnisses des Cloud Vendor Benchmark
Die Experton Group hat die Dienste von insgesamt 109 Anbieter in 16 Kategorien analysiert und in ihrem Bewertungsquandranten zugordnet: Oben rechts sind die Marktführer platziert, unten links die unausgereiften Angebote. Anbieter in der oberen rechten Ecke verfügen über gute Produkte aber wenig Durchschlagskraft im Markt, Hersteller, die sich unten rechts wieder finden, sind wettbewerksstark, ihre Lösungen könnten aber besser sein. - Public Infrastructure as a Service (IaaS)
Die Amazon Web Services (AWS) sind unangefochtener Marktführer im Bereich Public IaaS. Amazon baut die Plattform weiter n Richtung Enterprise-IT aus, hält aber auch gegenüber den Geschäftskunden am Vertriebskonzept der Self-Services fest. IBM bietet ein deutsches RZ sowie geschäftskundenorientierte SLAs und Serviceangebote. Die Google App Engine und Microsofts Azure liefern zwar gute Usability und hohe Skalierbarkeit, der integrierte PaaS-Ansatz bietet nicht die gewünschte Auswahlfreiheit und Kombinationsmöglichkeiten. - Managed Infrastructure as a Service (IaaS=
Das Geschäft mit IaaS Managed Cloud wird von solchen etablierten Service Providern dominiert, die früh in Cloud-Infrastrukturen und das Know-how ihrer Mitarbeiter investiert haben. T-Systems führt das Feld vor Schwergewichten wie IBM, BT Germany und Fujitsu an. Auch Telco-Töchter warten mit interessanten Paketen aus Managed-IaaS- und Netzdienste auf (etwa Telefonica, Claranet und NTT). - ERP aus der Cloud
Das Angebot an SaaS-Lösungen für ERP ist überschaubar, es gibt nur sechs Angebote. SAP liefert m it Business byDesign die SaaS-Lösung mit dem größten Funktionsumfang und der Option, auf größere Lösungen zu migrieren. Dahinter gibt es interessante Alternativen von jungen Firmen in Deutschland, etwa Weclapp aus Marburg. - Infrastruktur-Technologien für Cloud-Installationen
Der Markt für Cloud-Technologien wird von wenigen Konzernen dominiert, die als Komplettanbieter nahezu das gesamte Spektrum an Server-, Storage- und Netzkomponenten abdecken. IBM, HP, Fujitsu, Oracle und Dell zählen zu dieser Gruppe. Cisco konnte sein Unified Computing System (UCS) im Feld der dominierenden Hardware-Plattformen etablieren. - Cloud-Management-Plattformen
An der Spitze der Anbieter von Cloud-Management-Plattformen hält sich weiter VMware. Doch der Platzhirsch muss sich ständig im Wettbewerb mit einer Vielzahl junger Softwarefirmen sowie mit den etablierten, globalen Technologielieferanten beweisen. Zudem ist der Markt geprägt von einer Vielzahl unterschiedlicher Kooperationen und Allianzen. Insgesamt haben sich die Lösungen binnen Jahresfrist funktional deutlich weiter entwickelt. - Deutliche Umsatzsteigerung
Der Cloud-Umsatz im deutschen B2B-Markt wird sich von knapp über drei Milliarden Euro in diesem Jahr auf 10,6 Milliarden Euro im Jahr 2016 verdreifachen. In die Erhebung fließen alle Umsätze mit Cloud-Diensten (etwa SaaS, IaaS, PaaS), mit Integrations- und Beratungsprojekten sowie mit Cloud-Technologien ein. Die Entwicklung der einzelnen Einnahmenblöcke zeigt, dass sich der Schwerpunkt mehr und mehr zu den Cloud-Diensten verlagert. Hier wird sich das Marktvolumen in den Jahren 2012 bis 2016 vervierfachen.
Cloud Computing bei Autoscout24
Wie sieht es in der Praxis tatsächlich aus? Einer der Pioniere, die über ihre Hybrid-Cloud-Erfahrungen reden, ist Autoscout24, europaweit der größte Online-Automarkt. Er bietet Privatkunden, Händlern und Herstellern seit 1998 eine umfassende Plattform für den Autohandel im Internet mit rund 2 Millionen Neu- und Gebrauchtwagen. Das System wird derzeit um weitere Serviceangebote erweitert. Autoscout24 zählt im Monat bis zu drei Milliarden Requests von menschlichen Nutzern. Hinzu kommen mehrere Milliarden Anfragen durch Bots, gehäuft in den Abendstunden und mittags. Unerwartete Lastspitzen sind nicht selten, berichtet Joachim Rath, Head of IT Production. "Am Jahresanfang 2012 hatten wir beispielweise wegen des schlechten Wetters plötzlich 30 Prozent mehr Requests als üblich." Die eigene Infrastruktur sei zu 60 bis 70 Prozent ausgelastet.
Cloud-Services erprobt Autoscout24 seit rund zwei Jahren. Das Unternehmen plant unter anderem, Salesforce.com zum Management der Kundenbeziehungen einzusetzen, betreibt Test-Server in Microsofts Azure-Cloud und auch "einiges bei Amazon", wie Rath formuliert. In einem Erweiterungsprojekt erprobt das IT-Management zum ersten Mal den Hybridansatz auf der Infrastrukturebene mithilfe von VMwares vConnect und vCloud. Nach Beratungen mit dem Hersteller wird die Verarbeitung der Taxonomiedaten des neuen Werkstattportals als Pilot-IaaS-Lösung zusammen mit dem Cloud-Anbieter Wusys aufgebaut.
Diese Daten, die AutoScout24 von einem Drittanbieter bezieht, erfassen genau, welche Ersatzteile und Serviceleistungen für welche Autotypen benötigt werden. Bei diesem Projekt zeigt sich, wo die Haken des Hybrid-Ansatzes liegen: "Die größte Herausforderung ist, dass alle Infrastrukturkomponenten auf beiden Seiten hundertprozentig stabil zusammenarbeiten müssen", weiß Michael Schwarze, Projektleiter Cloud. "Das bedeutet: Man muss extrem akribisch und unglaublich tief in die Treiber und die Firmware einsteigen, um Versionsfehler oder unpassende Konfigurationen zu finden."
Manchmal, so Schwarze, habe selbst der Hersteller der betroffenen Komponenten nicht weitergewusst, so dass seine Mitarbeiter auf Instinkt und Improvisationstalent angewiesen waren. "Einige Komponenten mussten wir sogar austauschen", sagt er - in diesem Fall traf es die bis dahin verwendeten Blade-Server, die durch HP-Server-Blades ersetzt wurden. Generell komme man bei Hybrid Cloud mit einem One-Vendor-Ansatz nicht weiter, meint IT-Chef Rath. Die Infrastruktur jedenfalls ist komplex und besteht neben HP-Blades unter anderem auch aus Cisco-, IBM- und F5-Komponenten.
Eine der größten Herausforderungen war das Thema Connectivity. Gerade das Zusammenspiel verschachtelter Netzwerkelemente wie Loadbalancer und mehrstufige Firewalls erfordert beim Aufbau einer Hybrid Cloud sehr kleinteilige Konfigurationsarbeiten. Darüber hinaus musste beispielsweise selbst der vCloud Connector an einigen Stellen feinjustiert werden. "Beim Verschieben einer Maschine in die Public Cloud hat vConnect anfangs die Konfigurationen überschrieben, die Maschinen wussten also beispielsweise nicht mehr, wie sie heißen", berichtet Schwarze.
Trotz der Schwierigkeiten ist IT-Manager Rath optimistisch: Als nächstes soll die gesamte Web-Plattform "hybridisiert" werden. "Wir orchestrieren bereits die Applikationen", sagt er. Der Kostenaspekt, von IaaS-Providern gern als Argument für ihre Angebote angeführt, stellt sich aus seiner Sicht so dar: "Der komplette Betrieb einer Webplattform unserer Dimension in der Public Cloud ist derzeit wirtschaftlich nicht sinnvoll." Ein hybrider Ansatz rechne sich, wo nicht langfristig investiert werden soll, aber kurzfristig Lastspitzen abzufangen sind, weil man sonst schlechte Performance zu Spitzenzeiten befürchten müsse. Nur durchgehend schnelle Antwortzeiten auch bei Spitzenlasten könnten garantierten, dass man keine Kunden verliere.