Cloud Computing in der Praxis

Hybrid Cloud kommt durch die Hintertür

14.12.2012
Von 
Ariane Rüdiger ist freie Autorin und lebt in München.
Die Hybrid Cloud gilt vielen als Königsweg, um die Potenziale des Cloud Computing zu nutzen. Doch in der Praxis verlaufen Projekte oft ungesteuert.

Schon mindestens drei Jahre rauscht der Begriff Hybrid Cloud mächtig durch die PR-Kampagnen der Anbieter. Sie preisen das Konzept als goldene Brücke in die schöne neue IT-Servicewelt. Das Versprechen: Mehr Flexibilität, sinkende IT-Kosten und eine nahtlose Integration externer und interner IT-Ressourcen. Anwender könnten darauf bequem über Selbstbedienungs-Portale zugreifen.

Idealerweise lassen sich Lasten oder Services in einer solchen Hybrid-Cloud-Infrastruktur rasch automatisiert von innen nach außen verlagern und umgekehrt. Darin liegt ein wichtiger Unterschied zum altbekannten Outsourcing. Ein zweiter besteht darin, dass beim Hybrid-Cloud-Computing die Ressourcen, die "draußen" liegen, auf einer zwischen mehreren Kunden geteilten Infrastruktur laufen sollten oder zumindest können - jedenfalls dann, wenn es sich um die Idealform der hybriden Cloud mit Public- und Private-Anteilen handelt.

„Viel geplant, wenig implementiert.“ Carlo Velten, Senior Advisor beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Experton Group, zum Thema Hybrid Cloud.
„Viel geplant, wenig implementiert.“ Carlo Velten, Senior Advisor beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Experton Group, zum Thema Hybrid Cloud.
Foto: Experton Group

In gemischten Infrastrukturen gibt es viele Ebenen der Hybridisierung: Der Begriff Hybrid Cloud ist beispielsweise relativ eindeutigs anwendbar, wenn ein Unternehmen seine Hardware-Infrastruktur teils im eigenen RZ, teils im fremden, über Internet angebundenen Public-Cloud-RZ hält. Doch greift die schwammige Bezeichnung auch, wenn zur eigenen Hardware-Infrastruktur nur einige Software-Services aus der Public Cloud hinzukommen? In diesem Artikel wird auch für diesen Fall der Begriff Hybrid Cloud verwendet, obwohl sich darüber streiten lässt.

Dass es in Sachen Hybrid Clouds in den meisten Unternehmen zumindest offiziell eher langsam vorangeht, beobachtet Carlo Velten, Senior Advisor beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Experton Group: "In den vergangenen zwei Jahren ist in vielen Unternehmen über Hybrid Cloud viel geredet worden - aber nur ein gutes Zehntel der Unternehmen, die darüber nachdenken, hat sie umgesetzt."

„Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit spielen heute eine wichtigere Rolle als die Angst, die Kontrolle über Daten zu verlieren“, sagt Matthias Zacher, Senior Consultant, IDC.
„Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit spielen heute eine wichtigere Rolle als die Angst, die Kontrolle über Daten zu verlieren“, sagt Matthias Zacher, Senior Consultant, IDC.
Foto: IDC

Daten von IDC (Umfrage unter 254 deutschen Führungskräften zu Cloud Computing) zeigen, dass eine Hybrid Cloud in 54 Prozent der befragten Firmen geplant ist. 41 Prozent wollen von dieser Infrastrukturvariante nichts wissen. Viel beliebter sind reine SaaS-Dienste: 77 Prozent der Unternehmen planen, Public SaaS-Services zu nutzen oder tun es bereits. "Auffällig ist außerdem, dass das Thema Kontrolle über die Daten als Hinderungsgrund gegenüber Cloud-Implementierungen zurückgegangen ist - Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit spielen heute eine wichtigere Rolle", sagt Matthias Zacher, Senior Consultant bei IDC.

Cloud Computing bei Autoscout24

Auch die KFZ-Plattform Autoscout24 nutzt Services aus der Cloud.
Auch die KFZ-Plattform Autoscout24 nutzt Services aus der Cloud.
Foto: Autoscout24

Wie sieht es in der Praxis tatsächlich aus? Einer der Pioniere, die über ihre Hybrid-Cloud-Erfahrungen reden, ist Autoscout24, europaweit der größte Online-Automarkt. Er bietet Privatkunden, Händlern und Herstellern seit 1998 eine umfassende Plattform für den Autohandel im Internet mit rund 2 Millionen Neu- und Gebrauchtwagen. Das System wird derzeit um weitere Serviceangebote erweitert. Autoscout24 zählt im Monat bis zu drei Milliarden Requests von menschlichen Nutzern. Hinzu kommen mehrere Milliarden Anfragen durch Bots, gehäuft in den Abendstunden und mittags. Unerwartete Lastspitzen sind nicht selten, berichtet Joachim Rath, Head of IT Production. "Am Jahresanfang 2012 hatten wir beispielweise wegen des schlechten Wetters plötzlich 30 Prozent mehr Requests als üblich." Die eigene Infrastruktur sei zu 60 bis 70 Prozent ausgelastet.

Cloud-Services erprobt Autoscout24 seit rund zwei Jahren. Das Unternehmen plant unter anderem, Salesforce.com zum Management der Kundenbeziehungen einzusetzen, betreibt Test-Server in Microsofts Azure-Cloud und auch "einiges bei Amazon", wie Rath formuliert. In einem Erweiterungsprojekt erprobt das IT-Management zum ersten Mal den Hybridansatz auf der Infrastrukturebene mithilfe von VMwares vConnect und vCloud. Nach Beratungen mit dem Hersteller wird die Verarbeitung der Taxonomiedaten des neuen Werkstattportals als Pilot-IaaS-Lösung zusammen mit dem Cloud-Anbieter Wusys aufgebaut.

Auf dem Diagramm ist alles ganz einfach, wenn zwei Clouds mit vCloud Director verbunden werden sollen. Die Realität ist nicht ganz so simpel.
Auf dem Diagramm ist alles ganz einfach, wenn zwei Clouds mit vCloud Director verbunden werden sollen. Die Realität ist nicht ganz so simpel.
Foto: Autoscout24

Diese Daten, die AutoScout24 von einem Drittanbieter bezieht, erfassen genau, welche Ersatzteile und Serviceleistungen für welche Autotypen benötigt werden. Bei diesem Projekt zeigt sich, wo die Haken des Hybrid-Ansatzes liegen: "Die größte Herausforderung ist, dass alle Infrastrukturkomponenten auf beiden Seiten hundertprozentig stabil zusammenarbeiten müssen", weiß Michael Schwarze, Projektleiter Cloud. "Das bedeutet: Man muss extrem akribisch und unglaublich tief in die Treiber und die Firmware einsteigen, um Versionsfehler oder unpassende Konfigurationen zu finden."

Manchmal, so Schwarze, habe selbst der Hersteller der betroffenen Komponenten nicht weitergewusst, so dass seine Mitarbeiter auf Instinkt und Improvisationstalent angewiesen waren. "Einige Komponenten mussten wir sogar austauschen", sagt er - in diesem Fall traf es die bis dahin verwendeten Blade-Server, die durch HP-Server-Blades ersetzt wurden. Generell komme man bei Hybrid Cloud mit einem One-Vendor-Ansatz nicht weiter, meint IT-Chef Rath. Die Infrastruktur jedenfalls ist komplex und besteht neben HP-Blades unter anderem auch aus Cisco-, IBM- und F5-Komponenten.

Eine der größten Herausforderungen war das Thema Connectivity. Gerade das Zusammenspiel verschachtelter Netzwerkelemente wie Loadbalancer und mehrstufige Firewalls erfordert beim Aufbau einer Hybrid Cloud sehr kleinteilige Konfigurationsarbeiten. Darüber hinaus musste beispielsweise selbst der vCloud Connector an einigen Stellen feinjustiert werden. "Beim Verschieben einer Maschine in die Public Cloud hat vConnect anfangs die Konfigurationen überschrieben, die Maschinen wussten also beispielsweise nicht mehr, wie sie heißen", berichtet Schwarze.

Rund 57 Prozent der Anwender nutzen eine Hybrid Cloud oder planen das in der nächsten Zeit.
Rund 57 Prozent der Anwender nutzen eine Hybrid Cloud oder planen das in der nächsten Zeit.
Foto: IDC

Trotz der Schwierigkeiten ist IT-Manager Rath optimistisch: Als nächstes soll die gesamte Web-Plattform "hybridisiert" werden. "Wir orchestrieren bereits die Applikationen", sagt er. Der Kostenaspekt, von IaaS-Providern gern als Argument für ihre Angebote angeführt, stellt sich aus seiner Sicht so dar: "Der komplette Betrieb einer Webplattform unserer Dimension in der Public Cloud ist derzeit wirtschaftlich nicht sinnvoll." Ein hybrider Ansatz rechne sich, wo nicht langfristig investiert werden soll, aber kurzfristig Lastspitzen abzufangen sind, weil man sonst schlechte Performance zu Spitzenzeiten befürchten müsse. Nur durchgehend schnelle Antwortzeiten auch bei Spitzenlasten könnten garantierten, dass man keine Kunden verliere.