Zunächst zu den Äußerlichkeiten: Bei der Eröffnungsfeier am Freitag in Essen fehlen Bier, ein Kicker und die obligatorischen Schlabbersäcke, auf denen Vollbärtige mit Nerd-Brillen fläzen. Stattdessen beäugen jede Menge Anzugträger die riesigen Schalter der ehemaligen Steuerhalle auf Zeche Zollverein. Mit beiden Händen ist hier früher die Stromzufuhr zu den einzelnen Werkseinheiten umgelegt worden. In Zukunft sollen hier digitale Geschäftsmodelle entstehen, das hofft jedenfalls Franz M. Haniel, Aufsichtsratsvorsitzender Franz Haniel & Cie., um nur einen der Anzugträger zu nennen.
Stephan Gemkow, Anzugträger 2, hat sich dafür schon Spott eingefangen. In seiner Eröffnungsrede verkündet der Haniel-Vorstand vollmundig: "Uns ist kein Beteiligungs-Unternehmen bekannt, dass sich eine digitale Werkbank leistet." Naja. Irgendwie feilen natürlich alle Konzernholdings an digitalen Geschäftsmodellen. In Innovationszentren, Data-Labs oder klassischen R&D Departments grübeln Forscher und Ingenieure nun schon länger, wie Industrie 4.0 aussehen könnte. Im Jahre 2016 fällt es Haniel schwer, sich mit Schacht One als First Mover der Digitalisierung zu positionieren. Das Modell ist in dreifacher Hinsicht jedoch trotzdem bemerkenswert:
Standort (im Pott)
Projekte (nix für Dritte)
Berater (keine Accenture)
1. Der Standort Zeche Zollverein
Zum Standort: Schon bei der Anreise durch Gelsenkirchen fühlt der Besucher, dass er nicht über die Golden Gate oder "Unter den Linden" entlangfährt. Auch Halle 2 in Areal A der Zeche, gleich gegenüber vom Förderturm, müht sich nicht sonderlich, inspirierend chic zu wirken. Sicher, ein paar Glaswände hat Dirk Müller einziehen lassen. "Alles keine großen Kosten", sagt der neue Geschäftsführer von Schacht One und CIO von Haniel. Abgesehen davon gibt der Denkmalschutz vor, hier keine exklusiven Lofts einzuziehen - nicht mal eine Terrasse war drin.
Auf einigen geglätteten Flächen können die Besucher immerhin ihre Gedanken malen. Wenn hier jemand vor 30 Jahren mit Kohle auf dem roten Backstein rumgeschmiert hätte, wäre er nicht für seine Innovationskraft gelobt worden. Zeche Zollverein fördert seit 1986 nicht mehr. Wenn auch kein Kohlestaub, so doch der Hauch von Arbeit klebt hier noch in jeder Ritze.
Anzugträger 3 findet das großartig: NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) lobt in seiner Rede überschwänglich, wie schlau es sei, sich hier auf der Zeche anzusiedeln. Die Landesregierung will im Juni fünf "Hubs" ausrufen, in denen die Zukunftsfähigkeit Nordrhein-Westfalens auch finanziell gefördert wird. Essen scheint keine schlechten Chancen zu haben. Doch auch ohne die Hubs sind die Bedingungen gut. "Keine andere Region hat mehr Produktion und mehr Hochschulen gleichzeitig", betont Duin.
Innovationen brauchen einen "druidenhaften Mix"
Die drei entscheidenden "K" seien hier gegeben: Köpfe, Kapital und Kooperationen. Anders als beim Bau eines Autowerks ("falls überhaupt noch jemand so etwas bauen will", so Duin) sei es bei der Digitalisierung nicht damit getan, einen Autobahnanschluss und ein bisschen Infrastruktur zu schaffen. Es bedürfe eines "druidenhaften Mix", um Innovation voran zu treiben.
Anzugträger 4 bestätigt ihm, dass für diesen Mix schon mal genügend Köpfe da sein sollten: Jochen Kienbaum, Vorsitzender der Geschäftsführung der Kienbaum Consultants International, erkennt als Zaungast auf der Eröffnungsfeier großzügig an, dass es auch außerhalb des Großraums Köln gute Leute gebe. Am Buffet mäkelt er allerdings an: "Gute Leute wollen unternehmerisch beteiligt sein. Das ist hier noch nicht gegeben." Was in der Natur der Sache liegt, denn anders als bei den Startups aus Berlin oder dem Valley, verfolgt Schacht One einen anderen Ansatz.
2. Projekte nicht für den Drittmarkt
Zu den Projekten: Was Schacht One zu Tage fördert, ist nicht für den Drittmarkt gedacht. Drei Millionen Euro lässt sich Haniel das Projekt jährlich kosten. Insofern ist keine "Kickstarter-Finanzierung" mehr nötig. Allerdings sollen die Ergebnisse auch nur dem Konzern zur Verfügung stehen. Damit unterscheidet sich Schacht One zum Beispiel von "Kloeckner.i" Das Center of Competence für Digitalisierung von Klöckner & Co hat sich zum Ziel gesetzt, die gesamte Lieferkette im Konzern zu digitalisieren. Seit Ende 2014 haben 20 Mitarbeiter des Duisburger Nachbarn mittlerweile einen Webshop, ein Kontraktportal sowie eine Serviceplattform fertiggestellt. Und sie werkeln weiter am Rosenthaler Platz. In Berlin.