Aus drei mach eins – das war die Situation, die Bodo Deutschmann vor vier Jahren vorfand, als er seinen Posten als Bereichsleiter IT & Organisation (CIO) bei der Handtmann Service GmbH & Co.KG antrat. Der Handtmann-Konzern, der fast 70 Prozent seines Umsatzes als Automobilzulieferer mit Aluminium-Druckgussteilen für Motoren und Getriebe sowie Fahrzeugsystemen verdient, wollte innerhalb seiner heterogenen Firmenstruktur verschiedene IT-Abteilungen zusammenführen. Deutschmann musste also erst einmal aufräumen.
Jeder IT-Bereich hatte eine eigene Strategie und Mitarbeiter, die teilweise parallel dasselbe taten wie ihre Kollegen in den anderen IT-Abteilungen, berichtet der CIO. Aufgrund der heterogenen Struktur hat der Konzern außerdem unterschiedliche Geschäftsführungen mit voneinander abweichenden Strategien und Vorgaben. Mitte 2019 war es Deutschmann gelungen, die zentrale IT neu aufzustellen und themenorientiert zu strukturieren. Dabei galt es, nicht nur fachlich zusammenzuarbeiten, sondern auch die unterschiedlichen Mentalitäten zusammenzubringen. "Alle Mitarbeiter der IT mussten lernen, dass ihre Arbeit einen Wertbeitrag für das Unternehmen bringen muss."
Umstieg auf SAP S/4HANA
Doch mit der neuen Organisation waren die Aufräumarbeiten noch lange nicht beendet. Als nächstes kam das SAP-System an die Reihe. Bei Handtmann Service lief seit zehn Jahren SAP ECC 6.0 - genug Zeit also, um jede Menge Sonderlocken auszuprägen. Deutschmann zählte mehr als 1.500 undokumentierte Anpassungen und sah sich mit einem nicht mehr beherrschbaren Kontenplan für 26 Unternehmen konfrontiert. "Viele Anforderungen wie schnellere Konsolidierung, mehr Auswertungen im Business Warehouse oder eine bessere Verarbeitung der Eingangsrechnung für alle Unternehmen waren im bestehenden System nicht zu gewährleisten", lautete das Fazit des CIO.
Deutschmann entschied sich, auf SAP S/4HANA umzusteigen. Sein Greenfield-Ansatz, also das SAP-System von Grund auf neu aufzusetzen, funktionierte - und das sogar schnell. Mitte 2019 ging S/4HANA bei Handtmann Service live. Das machte Lust auf mehr. Der Konzern entschied sich, auch in acht Druckguss-Firmen das neue SAP-System einzuführen und XPERT, ein speziell auf Automobilzulieferer zugeschnittenes ERP-System von Infor, abzulösen. Über einen Template-Ansatz, so der Plan, soll bis 2025 in allen Werken S/4HANA ausgerollt werden.
Fabrikbegehung via Hololens
Eigentlich ein normaler Vorgang, sagt Deutschmann rückblickend. Doch dann kam alles anders. Der Kickoff im Januar 2020 ging noch wie geplant über die Bühne – und dann kam die Pandemie. Das SAP-Projekt weiter voranzutreiben, war eine große Herausforderung, berichtet der CIO. Es galt, ein Team aus Mitarbeitern aus der Slowakei, mehreren Werken in Deutschland, der IT und einem Beratungshaus dazu zu bringen, ein vollständiges SAP-Template mit fast allen Modulen zu erarbeiten. Dazu kam, dass ein Großteil der Fertigung in Kurzarbeit gegangen war. Doch gerade die "Blueworker" mit ihrem Prozess-Know-how sollten unbedingt mit einbezogen werden. Das Problem dabei: Die meisten dieser Mitarbeiter hatten SAP noch nie gesehen.
"Ich habe in meinem Leben noch nie einen Rollout begleitet, bei dem die Teammitglieder ausschließlich virtuell zusammengearbeitet haben", sagt Deutschmann. Dem CIO gelang es, trotz aller Schwierigkeiten, das Vorhaben richtig in die Spur zu setzen. Dabei auftretende Probleme hat er kreativ gelöst. Da Reisen nicht möglich waren und daher Lager und Produktion vor Ort nicht in Augenschein genommen werden konnten, setzte Deutschmann kurzerhand Microsofts MR-Brille Hololens mit seinem Team ein, damit sich die Beteiligten ein annähernd realistisches Bild von der Situation vor Ort machen konnten. (kf/rs)
Das sagt die Jury:
"Gerade die IT-Einführung in Fabriken ist herausfordernd." Das Problem während der Corona-Krise durch Mixed Reality in den Griff zu bekommen, sei ein besonders pragmatischer und hilfreicher Ansatz gewesen. |