Signale für die Tierwelt

Gestresste Pflanzen geben Geräusche von sich

31.03.2023
Von Redaktion Computerwoche
Durstige oder beschädigte Pflanzen geben hochfrequente Geräusche von sich, die aus mehr als einem Meter Entfernung wahrgenommen werden können. Machine Learning hilft bei deren Interpretation.
Diese Tomatenpflanzen sehen gesund aus, den Wissenschaftlern zufolge dürften sie keine lauten Geräusche abgeben.
Diese Tomatenpflanzen sehen gesund aus, den Wissenschaftlern zufolge dürften sie keine lauten Geräusche abgeben.
Foto: Digihelion - shutterstock.com

Israelische Forscher berichten in der Fachzeitschrift Cell (30. März 2023), dass Tomaten- und Tabakpflanzen, die zu wenig Wasser haben oder verletzt sind, Geräusche von sich geben. Wie hört sich eine gestresste Pflanze an? Offenbar ein bisschen wie eine Luftpolsterfolie, deren Bläschen nach und nach platzen. Die Frequenz dieser Geräusche liegt bei 40 bis 80 kHz und ist damit für menschliche Ohren zu hoch, um sie direkt wahrzunehmen. Wahrscheinlich kann der Schall aber von Insekten, manchen Säugetieren und möglicherweise auch von anderen Pflanzen gehört werden.

"Selbst in einem ruhigen Feld gibt es Geräusche, die wir nicht hören - und sie enthalten Informationen", behauptet die Hauptautorin der entsprechenden Studie, Lilach Hadany, Evolutionsbiologin und Theoretikerin an der Universität Tel Aviv, im Gespräch mit phys.org. Aus ihrer Sicht darf als sicher gelten, dass etliche Tiere diese Geräusche wahrnehmen. Wahrscheinlich finde im Umfeld von Feldern eine Menge akustischer Interaktion statt.

Pflanzen interagieren mit Insekten und Säugetieren

Dass Ultraschallschwingungen von Pflanzen aufgezeichnet werden, ist nicht neu. Doch erstmals konnte bewiesen werden, dass die Schallwellen über die Luft übertragen werden. "Pflanzen interagieren ständig mit Insekten und anderen Tieren", sagt Hadany. Zusammen mit ihrem Forscherteam verwendete sie besondere Mikrofone, um Geräusche von gesunden und gestressten Tomaten- und Tabakpflanzen aufzuzeichnen - zunächst in einer schallgedämmten Akustikkammer, später dann in einer "lauteren" Gewächshausumgebung.

Die Forscher setzen die Pflanzen auf zwei Arten unter Stress, indem sie sie mehrere Tage lang nicht bewässerten und ihre Stängel teilweise abschnitten. Nachdem sie die Geräusche aufgezeichnet hatten, trainierten sie einen Machine-Learning-(ML-)Algorithmus, um zwischen nicht gestressten, durstigen und abgeschnittenen Pflanzen unterscheiden zu können.

Das Team fand heraus, dass gestresste Pflanzen mehr Geräusche von sich geben als ungestresste. Die Geräusche ähneln Knall- oder Klickgeräuschen. Eine einzelne gestresste Pflanze stößt davon in scheinbar zufälligen Abständen 30 bis 50 pro Stunde aus, während ungestresste Pflanzen weit weniger Geräusche von sich geben. "Wenn Tomaten überhaupt nicht gestresst sind, sind sie sehr leise", sagt Hadany.

Wenn durstige Tomaten rebellieren...

Bei durstenden Pflanzen erreichte die Frequenz der Knall- oder Klickgeräusche ihren Höhepunkt nach fünf Tagen ohne Wasser. Danach nahm der Pflanzenlärm kontinuierlich ab, bis die Pflanzen vollständig ausgetrocknet waren. Der ML-Algorithmus war in der Lage, genau zwischen Austrocknung und Stress durch Schneiden zu unterscheiden. Er konnte auch feststellen, ob die Geräusche von einer Tomaten- oder Tabakpflanze stammten.

Obwohl sich die Studie auf Tomaten- und Tabakpflanzen konzentrierte, weil sich diese im Labor unkompliziert verhalten, nahm das Forschungsteam auch eine Reihe anderer Pflanzenarten auf. "Wir haben festgestellt, dass beispielsweise auch Mais-, Weizen-, Weintrauben- und Kaktuspflanzen Geräusche von sich geben, wenn sie gestresst sind", sagt Hadany.

Der genaue Mechanismus, der hinter diesen Geräuschen steckt, ist unklar, aber die Forscher vermuten, dass er auf die Bildung und das Zerplatzen von Luftblasen im Gefäßsystem der Pflanze zurückzuführen sein könnte, ein Prozess, der als Kavitation bezeichnet wird. Ob die Pflanzen diese Geräusche erzeugen, um mit anderen Organismen zu kommunizieren, ist unklar, aber die Tatsache, dass diese Geräusche existieren, dürfte große ökologische und evolutionäre Auswirkungen haben.

Lassen sich Tiere von Pflanzengeräuschen leiten?

Hadany vermutet, dass sich andere Organismen im Laufe der Evolution so entwickelt haben, dass sie solche Töne wahrnehmen und darauf reagieren. "Eine Motte, die ihre Eier auf einer Pflanze ablegen will, oder ein Tier, das eine Pflanze fressen will, könnten sich bei der Auswahl von den Geräuschen leiten lassen."

Hadany und andere Mitglieder ihres Teams hatten zuvor bereits nachgewiesen, dass Pflanzen die Zuckerkonzentration in ihrem Nektar erhöhen, wenn sie die Geräusche von Bestäubern wahrnehmen. Andere Studien geben Hinweise darauf, dass Pflanzen ihre Genexpression (Biosynthese von Proteinen auf Grund spezifischer und genetischer Information) als Reaktion auf Geräusche verändern. "Wenn Pflanzen Informationen über Stress haben, bevor er tatsächlich auftritt, könnten sie sich darauf vorbereiten", sagt Hadany.

Die Frage ist nun, ob und inwieweit diese Forschungsergebnisse in der Landwirtschaft und auch für den Arten- und Insektenschutz genutzt werden können. Beispielsweise könnten die Tonaufnahmen zur Steuerung von Bewässerungssystemen eingesetzt werden, um Pflanzen gezielter zu versorgen und das Wasser effizienter zu verteilen, so die Autoren.

Brauchbare Informationen für Bewässerungssysteme

Yossi Yovel, Neuroökologe an der Universität Tel Aviv und Co-Autor der Studie stellt fest: "Wir wissen, dass es da draußen eine Menge Ultraschall gibt - jedes Mal, wenn man ein Mikrofon benutzt, stellt man fest, dass viele Dinge Geräusche erzeugen, die wir Menschen nicht hören können. Aber die Tatsache, dass Pflanzen diese Geräusche erzeugen, eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Kommunikation, des Abhörens und der Nutzung dieser Geräusche."

Hadany interessiert sich nun vor allem für die Frage, welche Lebewesen die pflanzlichen Geräusche wahrnehmen. Die israelischen Forscher untersuchen bereits die Reaktionen anderer Organismen, sowohl von Tieren als auch von Pflanzen. Sie erforschen auch, welche Möglichkeiten es gibt, solche Geräusche nicht nur unter Laborbedingungen, sondern in natürlichen Umgebungen zu identifizieren und zu interpretieren. (hv)