Digitale Souveränität ist ein wichtiges Thema deutscher wie auch europäischer Politiker und Unternehmen. Aktuell beschränkt sich die öffentliche Diskussion auf die Frage: Huawei-Technologien in den 5G-Netzen - ja oder nein? Doch auch die zunehmend genutzten Cloud-Technologien, insbesondere der MAG-Hyperscaler Microsoft, Amazon und Google, schafft neue Abhängigkeitsverhältnisse.
Mit Gaia-X hat die Bundesregierung eine Initiative gestartet, um eine europäische Alternative zu schaffen. Das Interesse - über ganz Europa hinweg - ist groß, die Ambitionen sind gewaltig, konkrete Konzepte fehlen aber noch. Investitionsbedarf und Innovations-Vorsprung der Hyperscaler schließen den Aufbau eines vergleichbaren deutschen oder europäischen Konkurrenz-Players so gut wie aus. Intelligente Cloud-Nutzungsmodelle und regulatorische Vorgaben zur Öffnung der Cloud-Plattformen scheinen besser geeignet, um jetzt zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität der Unternehmen, Industrien und Länder Europas beizutragen.
Digitale Souveränität adé?
Venezuelanische Nutzer von Adobe-Services wie "Creative Cloud" erhielten im Oktober 2019 ein Schreiben von Anbieter. Es bezieht sich auf eine Executive Order des amerikanischen Präsidenten, welche die Zusammenarbeit von US-Unternehmen mit Individuen und Unternehmen in Venezuela einschränkt. Den Kunden blieben nur wenige Tage Zeit, ihre Daten aus der Cloud herunter zu laden und anderweitige Lösungen zu finden, bevor Adobe den Zugang sperrt. Nach der Auslieferungs-Blockade von Android-Betriebssystemkomponenten für Huawei ist das ein weiterer Fall, in dem politischer Druck aufgebaut wird, indem der Zugriff auf IT-Technologien plötzlich entzogen wird.
So ein Bedrohungsszenario ist politisch auch in Deutschland und Europa vorstellbar. Dennoch ersetzen viele Unternehmen derzeit weitgehend eigene Datacenter-Hardware amerikanischer Hersteller durch Cloud-basierte Rechenzentrumsleistung aus den USA. Ist Gaia-X also eine große Aufregung um nichts? Auf keinen Fall. Deutschland und Europa müssen aber erst verstehen, was sich wirklich mit der flächendeckenden Nutzung der Cloud ändert und in welchen Bereichen möglicherweise ein neuer Souveränitätsverlust droht.
Digitalisierung bedeutet eine neue Art der Differenzierung. Produkte und Services, der Markterfolg von Unternehmen und die Wettbewerbsfähigkeit von Ökonomien werden zunehmend durch Daten, Software und deren Beherrschung bestimmt.
Cloud-Technologien bilden die Basis für eine neue IT. Software wird mit neuen Verfahren (Agile, DevOps, Site Reliability Engineering) und neuen Architekturen (KI, Big Data, Micro-Services, Tool-Chains) entwickelt beziehungsweise betrieben, die die Digitalisierung der Unternehmen ermöglichen und den Markterfolg sicherstellten soll. Hierfür stellen die Hyperscaler Plattformen bereit, die mit bisher unvorstellbar großem Investitionsvolumen kontinuierlich ausgebaut und weiterentwickelt werden.
- Robin Parr, Neos
"Wie stark der Impact von Cloud-native ist, sieht man auch an Themen wie DevOps: Während Entwicklung und Betrieb in traditionellen Umgebungen möglichst nah zusammenwachsen, existiert diese Trennung bei Cloud-native schon gar nicht mehr: „Dev" und „Ops" sind dort ein und dieselbe Person." - Heinz Bruhn, Rackspace
"Cloud-native bedeutet mehr Freiheit, die gleichzeitig mit gestiegenen Ängsten bei den Unternehmen einher geht – auf prozessualer, auf technologischer und nicht zuletzt auf organisatorischer Ebene. Um diese zu adressieren, braucht es die Bereitschaft der Geschäftsführung, auf jeder dieser Ebenen die notwendigen Veränderungen anzustoßen." - Matthias Kranz, Red Hat
"In der Diskussion mit Kunden treten wir häufig ganz bewusst einen Schritt zurück und fragen: Warum soll es überhaupt die Cloud sein? Auf der Basis dieser Frage gilt es dann, eine klare Strategie zu formulieren und nicht einfach „Lift and Shift” zu betreiben. Das gilt auch und vor allem für die kulturelle Ebene: Gerade in großen Unternehmen führt eine allzu schnelle Migration zu Unsicherheit und auch zu Widerstand. Erst wenn der Nutzen klar wird, verschwinden die Ängste." - Rene Funk, Maturity
"DevOps ist grundsätzlich der richtige Ansatz, wenn es von der Organisation entsprechend konsequent umgesetzt wird –- strukturell und kulturell. Vergleiche mit traditionellen Methoden belegen, dass dann die Abstimmung zwischen Angebot und Nachfrage schneller läuft, Fehlerquoten sinken und unter dem Strich die Applikations-TCO reduziert wird." - Marcus Flohr, Delphix
"Wir können uns Prozesse und Technologien ausdenken, wie wir wollen: Wenn die richtige kulturelle Basis nicht da ist, dann laufen wir gegen Wände. Diese Voraussetzungen schaffen wir aber nur in einem kontinuierlichen Prozess, der die gesamte Organisation betrifft. Eine Ausgründung in Form eines Start-ups kann oft auch ein Entwicklungshemmer sein, da die generierten Innovationen es nicht in die Mitte des Unternehmens schaffen." - Simon Fleischer, ConSol
"An die Stelle von technischem Know-how tritt in Cloud-native-Umgebungen das Business-Know-how, das den Nutzen einer Technologie in den Vordergrund stellt. Vor allem mit Blick auf den Fachkräftemangel ergeben sich für viele Unternehmen so auch Chancen. Sie können sich fragen, welches Wissen sie wirklich im Haus benötigen." - Benjamin Treichel, Brockhaus
"Die gewissenhafte Analyse von Prozessen ist ein wesentliches Erfolgskriterium bei der Überführung von Unternehmensinfrastrukturen in die Cloud. Wenn von oben einfach nur die Ansage „Wir machen ab jetzt Cloud” kommt, dann kommt lediglich „Lift and Shift“ dabei heraus. Erst wenn Unternehmen verstehen, dass die Migration ein langwieriger, aber lohnenswerter Prozess ist, schaffen sie den Sprung. Ein großer Hemmschuh ist außerdem nach wie vor die Security. - Dominic Lindner, ownCloud
"Gerade in mittelständischen Unternehmen besteht häufig eine hohe Unsicherheit, ob sich die hohen Kosten und Aufwendungen der Integration von Daten in die Cloud lohnen und wo man genau ansetzen kann. Hier gilt es, mithilfe von klaren Use-Cases, erste Ansätze der Nutzung von Cloud kostengünstig zu erproben."
Das Technologie-Dilemma
Der Markt nimmt diese Cloud-Dienste gerne an. Deutschland liegt beim Einsatz von Public-Cloud-Technologien zwar international zurück, holt aber stark auf. Während bei uns im Land momentan etwas weniger als 10 Prozent der Unternehmens-IT auf öffentlichen IaaS-, PaaS- und SaaS-Plattformen läuft, gehen Marktforscher von mehr als einer Verdopplung der Nutzung von Public Cloud-Diensten in Drei-Jahres-Schritten aus. In sechs Jahren könnten somit bereits nahezu 50 Prozent der deutschen Unternehmens-IT in den Public Clouds der Hyperscaler laufen. In den USA und in einigen anderen Ländern wird dieser Zustand bereits in drei Jahren oder sogar früher erwartet. Dann würden auch die damit verbundenen Wettbewerbsvorteile für diese Unternehmen deutlich früher realisiert.
Allerdings gilt dann auch: Ein Szenario wie in Venezuela könnte einem "Kill Switch" für die deutsche Wirtschaft nahekommen. Die Cloud wird somit zur kritischen Infrastruktur.
Es gilt, Alternativen zu finden, um einen gefühlten Kontrollverlust zu verhindern. Gaia-X wurde von Wirtschaftsminister Altmaier als Initiative verkündet, mit der bestehende Infrastrukturen und Datenplattformen vernetzt, die Ressourcen europäischer Firmen gebündelt und eine "leistungs- und wettbewerbsfähige, sichere und vertrauenswürdige Dateninfrastruktur für Europa" geschaffen werden soll. Einen zweistelligen Millionenbetrag will die deutsche Politik zunächst in das Projekt investieren. Mehr als 60 Akteure aus deutscher Wirtschaft sowie von Institutionen - von SAP und Bosch über die Deutsche Telekom bis hin zur Berliner Charité - wollen dabei unterstützen.