Bundesarbeitsgericht zu Arbeitszeiterfassung

"Für Unternehmen hat das weitreichende Folgen"

14.09.2022
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Arbeitgeber sind verpflichtet, die Arbeitszeit zu erfassen. Das betont das Bundesarbeitsgericht in einer aktuellen Entscheidung, die weitreichende Folgen für Beschäftigte und Unternehmen in Deutschland haben dürfte.
Mit seinem aktuellen Urteil zwingt das Bundesarbeitsgericht die Politik, ein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung zu verabschieden.
Mit seinem aktuellen Urteil zwingt das Bundesarbeitsgericht die Politik, ein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung zu verabschieden.
Foto: DoorZone - shutterstock.com

Dem gerichtlichen Ausgangsfall lag eine Streitigkeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber einer vollstationären Wohneinrichtung zugrunde. Nachdem der Arbeitgeber dort zunächst eine Zeiterfassung einführen wollte und mit dem Betriebsrat darüber verhandelte, brach der Arbeitgeber später die Verhandlungen ab. Damit war der Betriebsrat aber nicht einverstanden: Er beharrte auf der Einführung einer Zeiterfassung und wollte diese - nun auch gegen den Willen des Arbeitgebers - durchsetzen.

In rechtlicher Hinsicht ging es dabei um die Reichweite der Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Denn das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sieht ein abgestuftes System der Mitbestimmung vor. Danach dürfen Betriebsräte etwa bei der Einführung technischer Überwachungseinrichtungen wie der Einführung einer Zeiterfassung deren konkrete Ausgestaltung mitbestimmen (Paragraf 87, Absatz 1, Nr. 6 BetrVG).

Mitbestimmung bei der Arbeitszeiterfassung?

"Dass ein System zur Arbeitszeiterfassung eine technische Überwachungseinrichtung darstellt, liegt auf der Hand. Denn damit kann der Arbeitgeber ohne weiteres nachhalten, wann und wie lange ein Arbeitnehmer gearbeitet hat", so Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott, Professor an der Fresenius Hochschule in Hamburg.

Daher ist im Grundsatz auch gar nicht umstritten, dass die Einführung eines solchen Systems der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Allerdings stand nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 1989 (Beschluss vom 28.11.1989, Az.: 1 ABR 97/88) bislang fest, dass der Betriebsrat nur bei der Ausgestaltung eines solchen Systems mitbestimmen darf. "Damit war kein Recht des Betriebsrats verbunden, initiativ die Einführung eines solchen Systems fordern zu können", fasst Arbeitsrechtler Fuhlrott die bisherige Rechtsprechung zusammen. Ein solches Initiativrecht forderte der Betriebsrat aber ein.

Michael Fuhlrott, Arbeitsrechtsprofessor: "Das aktuelle Urteil stärkt die Rechte der Beschäftigten massiv."
Michael Fuhlrott, Arbeitsrechtsprofessor: "Das aktuelle Urteil stärkt die Rechte der Beschäftigten massiv."
Foto: Hochschule Fresenius

Bundesarbeitsgericht entscheidet: Arbeitszeiterfassung verpflichtend

Das Bundesarbeitsgericht bewertete die Rechtslage in seiner aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 13.09.2022, Az.: 1 ABR 22/21 = PM Nr. 35/22) jetzt anders: Ein Recht zur Mitbestimmung des Betriebsrats bestehe nur dann, wenn es keine gesetzliche Regelung zur Arbeitszeiterfassung gebe. Eine solche sei aber bereits in Deutschland vorhanden. Denn Paragraf 3 Arbeitsschutzgesetz verlange, dass Arbeitgeber notwendige Organisationsmaßnahmen träfen, um die Gesundheit ihrer Beschäftigten sicherzustellen. Darunter falle auch die Arbeitszeiterfassung. Sprich: Unternehmen sind nach dem BAG bereits nach geltendem Recht verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu erfassen. Und: Das gilt unabhängig davon, ob im Betrieb ein Betriebsrat vorhanden ist oder nicht.

Dazu berief sich das BAG auch auf das sogenannte Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2019 (vom 14.5.2019, Az.: C-55/18). Mit dieser Entscheidung hatte der EuGH entschieden, dass das europäische Arbeitszeitrecht es verlange, ein System zur objektiven Arbeitszeiterfassung einzuführen. Eine Umsetzung dieser Entscheidung durch den deutschen Gesetzgeber in nationales Recht war aber bislang nicht erfolgt.

Arbeitszeiterfassung - künftig für jeden Mitarbeiter?

"Die aktuelle Entscheidung stärkt die Rechte von Beschäftigten massiv", so Arbeitsrechtler Fuhlrott. Für Unternehmen habe diese Entscheidung weitreichende Folgen. Den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts stuft er als die "wichtigste arbeitsrechtliche Entscheidung des gesamten Jahres" ein. "Wie die Vorgaben der höchsten deutschen Arbeitsrichterinnen und Arbeitsrichter zur Zeiterfassung im Einzelnen aussehen, ist der bislang vorliegenden Entscheidung nicht zu entnehmen", so Fuhlrott.

Für den Arbeitsrechtler ist aber klar: "Mit der Entscheidung überholt das Bundesarbeitsgericht auch den Gesetzgeber, der bislang noch keine gesetzliche Regelung zur Umsetzung der europäischen Vorgaben geschaffen hat." Es sei davon auszugehen, dass die Entscheidung neuen Schwung in das Gesetzgebungsverfahren bringen werde und der Gesetzgeber durch die aktuelle Entscheidung in großen Zugzwang gerate.