Work-Life-Balance in der Personalpolitik

Führungskräfte mit Kontrollzwang sind out

17.05.2015
Von 
Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.
Nach wie vor gilt die Binsenweisheit, Mitarbeiter zu binden, hängt von der Qualität der Führungskräfte ab. Doch bei der Umsetzung erfolgreicher Personalpolitik liegt offenbar noch einiges im Argen.

Bei der Förderung von Führungskarrieren, Personalentwicklung oder Frauenförderung klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander - so zumindest lautet das Fazit des Hays-HR-Reports 2014/2015 "Schwerpunkt Führung". Die Studie basiert auf Angaben von 665 Entscheidern in Deutschland, Österreich und Schweiz und wurde vom Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) der Hochschule Ludwigshafen betrieben.

Hays-Manager Frank Schabel beschreibt, wie unterschiedlich die Beurteilungen der befragten Entscheider ausfallen: "Legen die Führungskräfte laut ihrer eigenen Einschätzung großen Wert auf Wertschätzung, Weiterbildung und Work-Life-Balance, sehen die Mitarbeiter ohne Führungsrolle diese Maßnahmen noch längst nicht umgesetzt.

Führungskraft durch Zufall

Ein gutes Beispiel für die unterschiedliche Sichtweise ist seiner Meinung nach die Frage nach der Förderung von Führungskarrieren. Während Geschäftsführung und HR-Abteilung hier etwa auf Talent-Management und systematische Planung verweisen, sagen diejenigen ohne Führungsverantwortung kurz und bündig "durch Zufall". "Das heißt letztlich, dass viele Themen nur verbal besetzt sind, aber nicht gelebt werden", betont Schabel. Dasselbe gilt seiner Erfahrung nach für das Thema Frauenförderung. In puncto Mitarbeiterbindung spricht sich fast jeder der Befragten für eine wertschätzende Unternehmenskultur aus. Dass sie in ihrem Betrieb auch praktiziert wird, daran glauben aber nur 53 Prozent der Führungskräfte.

Zunehmend wichtig ist laut Studie der Wunsch der Beschäftigten, in "Bewegung" und "in Balance" zu bleiben. Tatsächlich wollen die Entscheider die Beschäftigten besser motivieren, mehr für ihre Fortbildung tun und ihnen ihre Entwicklungsmöglichkeiten besser aufzeigen. Hinzu kommen noch Themen wie Gesundheitsförderung sowie die Führungskraft als Personalentwickler. "Schaut man sich die Zahlen der Studie an, sind die dafür erforderlichen Personalinstrumente jedoch noch nicht hinreichend umgesetzt", meint Schabel. Dies gelte besonders für die Realisierung der Work-Life-Balance sowie die Modelle von Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

IT-Unternehmen haben Vorreiterrolle inne

Auch wenn sich die Befragten einig sind, dass diese Themen vorangetrieben werden müssen, ist es laut Schabel nicht so einfach, alte Strukturen aufzulösen. Und je weniger das Topmanagement entsprechende Flexibilität vorlebe, desto länger dauere die Umsetzung. Viele IT-Unternehmen, IT-Dienstleister und Beratungshäuser könnten hier durchaus als Vorbild für andere Branchen dienen. Sie hätten in puncto Personalentwicklung schon immer eine Art Vorreiterrolle eingenommen. Schließlich gehörten mobile Jobs und die Nutzung innovativer Techniken in der IT schon längst zum Alltag.

Auch bei dem Thema Fach- und Führungskarriere sieht Schabel die IT weiter als die Industrie: "In der IT hat ein guter Entwickler, auch wenn er keine Führungskraft ist, mittlerweile eine relativ gute Karriereoption, auch was das Gehalt betrifft." Die IT habe hier zum Teil bereits moderne Karriere- und Bezahlungsmodelle zu bieten.

Zeitmangel und Angst vor Kontrollverlust

Welche Hindernisse stehen laut Studie guter Personalführung vorrangig im Wege? Fast acht von zehn befragten Managern sagen, sie hätten zu wenig Zeit dafür. Jeder zweite wiederum behauptet, er könne Mitarbeitern nur schwer Freiraum zur Selbstgestaltung bieten. "Mit anderen Worten, die Führungskräfte wollen die Kontrolle nicht verlieren", interpretiert Schabel. Hier sieht er eine große Gefahr: "Die Anforderungen an das Führungspersonal steigen ständig und können nur dann bewältigt werden, wenn sie ihr Verhältnis zu den Beschäftigten verändern - das heißt loslassen, vertrauen und ihnen mehr Eigenverantwortung geben." Die Zukunft gehöre auf jeden Fall der Ergebnisorientierung und nicht der Anwesenheitskontrolle.

Darüber hinaus sei es für die Führungskraft an der Zeit, ihre eigene Rolle zu hinterfragen. Sieht sie sich als Coach, als Ideengeber oder gar als Sinnstifter? Schabels Fazit: "Egal wie der Manager sich entscheidet, der große, omnipotente Macher und Kontrolleur ist ein Modell der Vergangenheit." Sein Rat an die Unternehmen: Endlich die Lücken zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu schließen, sonst bestehe die Gefahr, sowohl bei der Rekrutierung als auch bei der Mitarbeiterbindung den Anschluss zu verlieren.

Wie aber sieht Führungsverantwortung in der Realität aus? Harald Berger, Group CIO bei Freudenberg in Weinheim, begreift jedenfalls nicht, dass Führungskräfte die Kontrolle ungern abgeben: "Eine gute Führungskraft ist an der Überwachung von Beschäftigten nicht interessiert. Sie versucht stattdessen nur Mitarbeiter einzustellen, denen sie ein Maximum an Freiheit und Handlungsspielraum zutraut." Seine Kritik lautet: "Kontrolle ausüben zu wollen, heißt nichts anderes, als die falschen Mitarbeiter am falschen Platz zu haben."

Harald Berger, Group CIO bei Freudenberg in Weinheim: "Eine gute Führungskraft ist an der Überwachung von Beschäftigten nicht interessiert."
Harald Berger, Group CIO bei Freudenberg in Weinheim: "Eine gute Führungskraft ist an der Überwachung von Beschäftigten nicht interessiert."
Foto: Privat

Berger erwartet, dass der konstant zunehmende Fachkräftemangel, gerade in der IT, die Führungskräfte zwingen wird "loszulassen" und die Kontrollinstrumente auf das Nötigste zu beschränken. Die Verantwortlichen in den Unternehmen, so der CIO, könnten nicht auf Veranstaltungen über die digitale Arbeitswelt, mitsamt mobilen Mitarbeitern, diskutieren und in der eigenen Firma den Beschäftigen kein oder zu wenig Vertrauen entgegenbringen. Die Zukunft werde den Unternehmen gehören, deren Beschäftigte die Freiräume zu schätzen wissen und das ihnen entgegengebrachte Vertrauen auch rechtfertigen würden.

Feedback-Kultur fördert Personalentwicklung

Dass sich die Befragten zunehmend die Etablierung einer Feedback-Kultur wünschen, bestätigt der Group CIO. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es für ihn war, bei einem Unternehmen zu beginnen, in dem die Feedback-Kultur durch den CEO im Führungsprozess etabliert war. "Später habe ich sie meinen Mitarbeitern vorgelebt", erklärt Berger. Wenn das Feedback vernachlässigt werde, fehlt seiner Meinung nach in puncto Personalentwicklung ein wichtiges Element.

Eine gute Personalentwicklung ist laut Berger auch entscheidend, ob mittelständische Unternehmen qualifizierte Leute einstellen können: "Nicht der Standort ist vielfach der Grund, dass die Rekrutierung neuer Mitarbeiter klappt, sondern eine moderne Rekrutierungs- und Personalpolitik." (pg)