CIO des Jahres

Bezirksklinken Schwaben

Fit für die digitale Zukunft im Gesundheitswesen

31.10.2023
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
E-Medikation und digitale Akten – dank IT-Leiter Jochen Kaiser werden sie bei den Bezirkskliniken Schwaben Realität.
  • CIO des Jahres 2023
  • Finalist, Kategorie Public Sector
Jochen Kaiser, IT-Leiter und Leitung Digitale Transformation bei den Bezirkskliniken Schwaben.
Jochen Kaiser, IT-Leiter und Leitung Digitale Transformation bei den Bezirkskliniken Schwaben.
Foto: Privat

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist nicht nur eine technologische Herausforderung. Wenn gesetzliche Rahmenbedingungen wie das Krankenhauszukunftsgesetz zu berücksichtigen sind, gilt es auch organisatorische und regulatorische Hürden zu nehmen.

Zudem droht ab 2026 pro Patient ein Malus von zwei Prozent der Behandlungskosten, wenn eine Klinik nicht digitalisiert ist. Unabhängig davon laufen Ärzte und Pflege aufgrund der wachsenden Dokumentationspflichten Gefahr, unter Papierbergen zu ersticken - egal, ob es die Patientenakte selbst betrifft oder den Nachweis der richtigen Medikation.

Challenge Krankenhauszukunftsgesetz

Also Gründe genug, um bei den Bezirkskliniken Schwaben - ein Verbund aus acht psychiatrischen Krankenhäusern im Regierungsbezirk Bayerisch-Schwaben - über eine digitale Transformation nachzudenken. Die Zielsetzungen dabei: eine elektronische Medikation umzusetzen sowie eine prozessorientierte volldigitale Patientenakte für die rund 2.400 Pflegekräfte und die 400 Ärzte zu schaffen.

Unter der Federführung der IT entstand daraus ein ambitioniertes Projekt mit einem Budget im knapp zweistelligen Millionenbereich. Mit einer Laufzeit bis Dezember 2024 ist das Projekt laut Jochen Kaiser, IT-Leiter und Leitung Digitale Transformation, wie dort der Chief Digital Officer (CDO) heißt, bei den Bezirkskliniken, ein Meilenstein in der Digitalisierungsstrategie des Unternehmens.

Am Anfang stand die Standardisierung

Das Bezirkskrankenhaus Augsburg (im Bild) ist eines von acht Krankenhäusern des Verbunds der Bezirkskliniken Schwaben.
Das Bezirkskrankenhaus Augsburg (im Bild) ist eines von acht Krankenhäusern des Verbunds der Bezirkskliniken Schwaben.
Foto: Ulrich Wagner

Kaiser und sein Team sahen sich im Rahmen des Projekts nicht nur mit technologischen, sondern auch organisatorischen Herausforderungen konfrontiert. So fehlte es nicht nur an einer standardisierten IT, sondern auch an einheitlichen Prozessen. Jede Klinik hat ihre eigene Leitung und Qualitätsmanagement-Systeme, was eine Standardisierung der medizinischen Akten erschwerte.

Das bisherige, erfolgreiche Paradigma war mit dem Slogan "mehr Nähe" eine Wohnortnahe Platzierung der Psychiatrie zur Entstigmatisierung gewesen. Dies stelle jahrelang die dezentralen Strukturen in den Vordergrund.

Schnell zeigte sich, dass diese Digitalisierungsherausforderungen von der IT nicht alleine im Alltagsbetrieb zu meistern waren. Unter der Federführung Kaisers wurde die Idee eines zentralen Projekt-Management-Offices (PMO) geboren. Unter Führung des CDO sollte dieses die Digitalisierung koordinieren.

Eigenes Projekt-Management-Office

Wichtig war für IT-Leiter Kaiser dabei von Anfang an, dass das 2022 gegründete PMO interdisziplinär arbeiten kann. Deshalb wurde es nicht nur mit IT-Experten besetzt, sondern auch mit Know-how-Trägern aus der Wirtschaftsinformatik und Pflegebereich, um so die Fachbereiche direkt adressieren zu können. Dabei zeigte sich allerdings auch, dass die Organisation eines PMO keine einfache Angelegenheit ist, vor allem, wenn ein Projekt aus dem Boden gestampft wird und dann weitere Projektleitungen an Bord geholt werden sollen.

Dem PMO unterstützend zur Seite standen noch 16 Mitarbeitende aus den Kliniken aus den Bereichen Pflege, Ärzte, IT sowie Medizinische Dokumentation. Zudem wurden noch 180 Key User benannt, um Feedback aus der Praxis zu erhalten.

Startschuss fiel 2022

Mit der Einführung einer elektronischen Medikation wollen die Bezirksklinken die Patientensicherheit verbessern.
Mit der Einführung einer elektronischen Medikation wollen die Bezirksklinken die Patientensicherheit verbessern.
Foto: Gail imgc - shutterstock.com

Der Startschuss für die Digitalisierungsprojekte fiel im Februar 2022 mit der E-Medikation. Derzeit sind über 50 von 96 Stationen bereits mit der E-Medikation ausgestattet. Im ersten Quartal 2024 soll die Umstellung abgeschlossen sein.

Mit der Standardisierung der elektronischen Akte und des Pflegeprozessmanagements begannen Kaiser und sein Team im April 2022. Der Ausrollprozess startete auf einer Musterstation. Die erste komplette Klinik soll im November 2023 migriert sein. Mit allen acht Kliniken will man im Dezember 2024 fertig sein.

Umsetzung der E-Medikation

Die Einführung der elektronischen Medikation war ein kritischer Schritt zur Verbesserung der Patientensicherheit. Um sowohl Pflegekräfte und Ärzte an Bord zu holen, wurde eine Lösung entwickelt, die sowohl Präparate als auch Wirkstoffe anzeigte. Zusätzlich wurde ein umfassendes Schulungsprogramm eingeführt und vom Vorstand die Anzahl der Schulungsbeauftragten von drei auf acht Vollzeitkräfte erhöht, was allen die Ängste nahm. Zu Randzeiten unterstützt eine spezielle e-Medikations-Hotline und eine aktive vor-Ort-Präsenz während der Einführungsphase. Als erstes Projekt der Digitalisierung sollte hier ein hoher Standard vor allem in der Projektbegleitung erzielt werden, um alle mitzunehmen.

Einführung der Digitalen Patientenakte

Eine noch größere Herausforderung war die Digitalisierung der Patientenakten mit dem Ziel einer volldigitalen Akte. Zu Beginn des Prozesses stand eine gründliche Überprüfung der vorhandenen Dokumente. Es galt festzulegen, welche Daten in die Akte müssen und welche überflüssig sind.

Digitale Patientenakten sollen die Effizienz erhöhen und den Pflegeprozess verbessern.
Digitale Patientenakten sollen die Effizienz erhöhen und den Pflegeprozess verbessern.
Foto: SmartPhotoLab - shutterstock.com

Um nur die wirklich erforderlichen Informationen zu behalten, wurde ein Algorithmus entwickelt, der diese möglichst objektiv bewertet. Dabei orientiert sich der Algorithmus an drei Kernkriterien: Wird eine Information aus rechtlichen oder medizinischen Gründen benötigt? Ist sie zur Erstellung von Abrechnungen gegenüber dem Kostenträger erforderlich? Trägt sie zur Stationsorganisation, etwa Checklisten oder Pflegplanung, bei?

Akzeptanzprobleme lösen

Auf diese Weise konnten und können die Akten erheblich verschlankt werden, was zu einer deutlich höheren Effizienz führt. Zudem wurde für die Stationsorganisation eine workflowbasierte Pflegeprozess-Planungssoftware eingeführt.

Allerdings stieß diese anfangs auf Akzeptanzprobleme. Um diese zu beseitigen, baute die IT ein eigenes Kompetenzzentrum auf und erarbeitete mit freigestellten Pflegekräften und Stationsleitungen nun die Software in einer Testumgebung, um so die Vorteile selbst zu erleben.

Des Weiteren wurde zur Erhöhung der Akzeptanz eine iPad-basierte Lösung für Pflegekräfte konzipiert. Damit können diese die Checklisten für das Pflegeprozessmanagement einfach auf dem Tablet ohne viel Aufwand abhaken.

So profitieren die Patientinnen und Patienten

Bei allen Herausforderungen ist das Projekt der Bezirkskliniken Schwaben ein lehrreiches Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung eines umfassenden Digitalisierungsprojekts im Gesundheitswesen. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen IT, Vorstand und medizinischem Personal konnte ein System geschaffen werden, das nicht nur die Effizienz durch schlankere Akten steigert, sondern von dem auch die Patienten profitieren.

Das tun sie in doppelter Hinsicht: Dank E-Medikation fühle sich Pflege und Ärzteschaft bei der Betreuung sicherer und Fehler würden vermieden. Die gesteuerte Planung der Pflegeprozesse hat noch einen Effekt: Es bleibt mehr Zeit für die Patienten. Dank der während des Projekts eingeführten Schulungsmaßnahmen kommen künftig neue Pflegemitarbeiter zudem ausgebildet auf die Stationen und können gleich loslegen.

Das sagt die Jury vom "CIO des Jahres 2023"

Mit seiner Bewerbung ergatterten Kaiser und sein IT-Team einen Platz unter den Finalistinnen und Finalisten in der Kategorie Public Sector beim CIO des Jahres 2023. Juror und Kollege Jens Schulze, CIO vom Universitätsklinikum Frankfurt, lobt: "Ein ganzheitliches Programm, das sich durch eine hohe Komplexität mit Auswirkung auf relevanter Kernprozesse auszeichnet." Christina Raab, Accenture und Bitkom, sagt: "Jochen Kaiser hat ein Programm umgesetzt, das die Abläufe verbessert hat, was zu einer geringeren Arbeitsbelastung des Pflegepersonals und einer verbesserten Pflegequalität für die Patienten geführt hat."

Besonders hervorzuheben sei die große Aufmerksamkeit, die dem menschlichen Aspekt der IT-Integration gewidmet wird - die Einbeziehung von Krankenschwestern und -pflegern und die Aufmerksamkeit für Schulungen. "Dies trägt dazu bei, dass die IT-Lösungen eine echte Veränderung in der Organisation bewirken." Sandra Rauch, CIO und CDO von Omnicare, sieht in diesem Projekt ein "sehr plastisches Beispiel für unsinnige Dokumentation im Rahmen der Behandlungsprozesse, die konsequent abgeschafft wurden." Sie hebt besonders hervor: "Toller Einsatz für New Work mit IT als 'Vormacher' in einem nicht leichten Umfeld." (kf)