Fachkräftemangel ist hausgemacht

05.10.2007
Von 
Winfried Gertz ist Journalist in München. Er arbeitet in einem Netzwerk von zahlreichen Anbietern kreativer Dienstleistungen. Das Spektrum reicht von redaktioneller Hörfunk- und Fernsehproduktion über professionelle Fotografie bis zu Werbetexten für Industrieunternehmen und Non-Profit-Organisationen.
Arbeitgeber beklagen, sie könnten keine Informatiker auftreiben. Richtig ist: Am Hochschulsystem können sie nichts ändern. Wahr ist aber auch: Wer nicht in seine Mitarbeiter investiert, wird Schiffbruch erleiden.

Die gute Nachricht zuerst: Nie spuckten Hochschulen mehr Informatiker aus: Die Zahl der Absolventen stieg in den vergangenen sieben Jahren von fast 6000 auf 15.000. Und nun die schlechte: Etwas Technisches wie Informatik wollen immer weniger Abiturienten studieren, die Zahl derjenigen, die ein IT-Studium beginnen, sank seit dem Jahr 2000 von 38.000 auf 28.000.

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welche Ursachen für den Mangel an IT-Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich sind;

wie kleine Unternehmen ihre Mitarbeiter an sich binden;

was Professoren an der Diskussion zum Thema Fachkräftemangel besonders verärgert.

Hire und Fire im Chip-Markt

Es spricht sich herum, dass viele Absolventen keinen Job ergatterten oder ihnen als Young Professional übel mitgespielt wurde. Beispiel Qimonda: Die Chip-Tochter von Infineon kann 400 Stellen in Forschung und Entwicklung nicht besetzen. "Wir stehen an einem Scheideweg", klagt Firmenboss Loh Kin Wah. Würden die technischen Studiengänge in Deutschland nicht schnell attraktiver, "drohen wir international zu verlieren". Kann der Malaysier, zuvor Asien-Chef von Infineon, nicht zwischen Ursache und Wirkung unterscheiden? Ist ihm entgangen, wie rücksichtslos die Münchner nach dem Börsengang ihre kurz zuvor angeheuerten Beschäftigten in Scharen vor die Tür setzten?

Noch steigt die Zahl der Informatikabsolventen, aber es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie ähnlich zurückgehen wird wie die Anmeldungen für dieses Studium.
Noch steigt die Zahl der Informatikabsolventen, aber es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie ähnlich zurückgehen wird wie die Anmeldungen für dieses Studium.

Nicht vor der eigenen Tür zu kehren, auch das gehört zum Bild, das viele Unternehmen derzeit abgeben. Unter dem Druck, Finanzmärkte immer wieder mit positiven Nachrichten zu beliefern, blenden börsennotierte Konzerne und Großunternehmen die Mitarbeiterperspektive aus. Wie anders ist zu erklären, dass sich Firmen teuer gegen Wechselkursschwankungen versichern, eine langfristige Personalplanung hingegen einer Tabuzone gleicht.

Wie Berater von Arbeitsagenturen berichten, werden jeden Tag Unternehmer vorstellig, die unbedingt osteuropäische Fachkräfte einstellen wollen, nach deutschen Spezialisten aber erst gar nicht fragen. Mittelständler beklagen, keine geeigneten Leute zu finden, obwohl sie nachweislich in den vergangenen Jahren kaum Lehrlinge ausgebildet haben. 52 Prozent aller Betriebe in Bayern bilden nicht mehr aus. "Keine Zeit", heißt der am meisten genannte Grund.

Mehr in Weiterbildung investieren

Gegen die selbst verschuldete Blindheit empfiehlt das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ein ganzes Bündel an heilsamen Mitteln. Um dem drohenden Fachkräftemangel an Ingenieuren, Mathematikern und Informatikern wirksam zu begegnen, sollten "ältere Bewerber und Frauen eingestellt und mehr in die betriebliche Weiterbildung investiert werden", empfiehlt die IAB-Forscherin Franziska Schreyer. Kein leichtes Unterfangen: In der IT-Welt sind Nine-to-five-Jobs die Ausnahme. Work-Life-Balance-Konzepte existieren eher in der Theorie als in der betrieblichen Realität. Erfahrungswissen sowie Loyalität zum Arbeitgeber werden in den Betrieben nachrangig gewichtet, Weiterbildung eher als Aufwand denn als Investition betrachtet.

Klingt wie eine Sisyphusaufgabe, von der sich einige Firmen aber nicht einschüchtern lassen. Vodafone etwa schaffte in diesem Jahr wieder rund 100 Ausbildungsplätze, legte ein neues Trainee-Programm auf und ermöglicht Nachwuchskräften durch vorübergehenden Wechsel ins Ausland attraktive Entwicklungsperspektiven. Zudem will Personalchef Thomas Neumann den Anteil weiblicher Führungskräfte "in den nächsten drei Jahren signifikant erhöhen".

Ähnlich ermutigende Botschaften sendet Eon IS, IT-Dienstleister des Düsseldorfer Energieriesen, der mit über 1600 Mitarbeitern rund 100 Kunden an über 30 Standorten betreut. "Besonderes Potenzial liegt für uns im dualen System", sagt Thomas Schafft, Leiter Recruiting. "Ausbildungsinhalte müssen entsprechend der Dynamik der IT-Branche ständig angepasst und vorausschauend konzipiert werden."

Auch kleine Firmen brauchen langfristige Personalplanung

Doch Firmen in der "zweiten Reihe", ja selbst Anwenderunternehmen, müssen nicht zwangsläufig in die Röhre schauen, sagt Christoph Beck, Professor für Personal-Management an der Fachhochschule Koblenz. Selbst kleine Firmen mit "wenig Spielraum" könnten sich durch langfristige Personalplanung als attraktive Arbeitgeber aus der Masse hervorheben. Und so funktioniere das Fitness-Programm: Unternehmen sollten das Personal-Marketing professionalisieren und die Aus- und Weiterbildung sowie die Personalentwicklung mit der Personalbeschaffung synchronisieren. "Arbeitgeber müssen heute mit ihren Personalkonzepten anfangen, damit sie in vier bis fünf Jahren davon profitieren", empfiehlt Beck.

Paul Lütke Wissing ärgert sich über die Personalpolitik der Konkurrenz. "Mit hohen Weiterbildungsinvestitionen in Hochschulabsolventen sorgen wir dafür, dass ein Mitarbeiter über Jahre erst zur Fachkraft reift. Dann kommt ein anderer Arbeitgeber und lockt den Informatiker mit höheren Gehältern von uns weg." Trotzdem wächst das von Lütke Wissing vor fünf Jahren gegründete und geführte Kölner Software- und Beratungshaus Sepago jährlich um zehn Prozent.

34 Mitarbeiter hat Lütke Wissing an Bord, davon 80 Prozent Akademiker. Viele erfuhren in Newsgroups, dass Sepago auf Windows-basierende Server-Systeme spezialisiert ist und mit Microsoft und Citrix an einem Strang zieht. Doch Sepago ist nicht das einzige Software- und Beratungshaus, das sich in aussichtsreichen Nischen einquartiert hat und beharrlich an einer starken Arbeitgebermarke feilt. Auch die Lünener Itemis AG sowie das Hamburger Software- und Trainingshaus Oose sind gute Beispiele für erfolgreiches Branding.

Vier Tage arbeiten, ein Tag lernen

Christian Weiss, Oose: "Jede Überstunde wird bezahlt, auch jede Stunde Fahrzeit."
Christian Weiss, Oose: "Jede Überstunde wird bezahlt, auch jede Stunde Fahrzeit."

Itemis wie Oose sind spezialisiert auf modellgetriebene Softwareentwicklung. Itemis heimste wiederholt den Innovationspreis des Landes Nordrhein-Westfalen ein und wurde erst jüngst zum Sieger des Top-100-Mittelstandswettbewerbs in der Kategorie "Innovatives Management" gekürt. Vorstand Wegener kennt die Fehler, die IT-Firmen unterlaufen. Gerieten Märkte in Schieflage, sei die Vorgabe, um jeden Preis zu sparen, völlig falsch. "Mitarbeiter zu behalten ist unter dem Strich preiswerter als sie später mit dem Headhunter zu rekrutieren." Gerade wenn die Konjunktur kippe, fragten Kunden nach hoher Qualität.

Bei Itemis und Oose wird an vier Tagen gearbeitet, der Freitag ist für Weiterbildung reserviert. Dennoch wird ein höheres Gehalt bezahlt, als die Branche durchschnittlich bereit ist, für eine Fünftagewoche auszugeben. Zusätzlich beteiligen die Firmen ihre Belegschaft auch am Erfolg und zeigen sich beim Gehalt großzügig. Oose-Chef Weiß: "Jede Überstunde wird bezahlt, auch jede Stunde Fahrzeit." Während alle Mitarbeiter von einer Prämie profitieren, erhält einen zusätzlichen Bonus, wer neue Ideen für Schulungsprojekte entwickelt oder wer oft auswärts Seminare abhält. (hk)