Kunden gewinnen und Kunden behalten - rein wissenschaftlich betrachtet
Warum aber funktioniert auf der unternehmenseigenen Plattform, was sich bei Facebook ganz offensichtlich mehr und mehr als leeres Versprechen entpuppt? Was steckt dahinter, dass die "Likes" von Usern, die die Facebook-Seite einer Firmen oft nur ein einziges Mal besuchen, im Grunde gar keinen unternehmerischen Wert haben und in den Communities hingegen Kunden erfolgreich und langfristig an den Brand gebunden werden können?
Michael Wu, Chief-Scientist bei Lithium und Autor des Buches "The Science of Social", erklärt dieses Phänomen gerne mit der "Facebook-Irony". Sein Ausgangspunkt sind dabei die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Evolutionspsychologen Robin Dunbar, der herausfand, dass das menschliche Gehirn darauf ausgelegt ist, rund 150 Beziehungen im Laufe des Lebens aufzubauen und zu erhalten - eine evolutionäre Notwenigkeit, da das Agieren in der Gruppe das Überleben sichert - sei es als urzeitlicher Stamm oder mittelalterliche Dorfgemeinschaft.
Zum Überleben braucht der moderne Mensch sein Beziehungsgeflecht sicherlich nicht mehr, dennoch gilt, dass er nach wie vor ein soziales Wesen ist - und nicht umsonst spricht man ja auch von den "sozialen" Medien, mittels derer heute zunehmend Beziehungen gepflegt werden. Das menschliche Gehirn hat sich seit Jahrtausenden nicht mehr verändert - weswegen Wu davon ausgeht, dass das Dunbar-Limit (wie die meisten wissenschaftlichen Erkenntnisse über das menschliche Verhalten) noch heute seine Berechtigung hat.
Über die Art und den Aufbau von Beziehungen hat wiederum Mark Granovetter, ein US-amerikanischer Soziologe, geforscht und die sinnfällige Aufteilung in strong ties und weak ties getroffen. Erstere erfordern aufwändige Pflege, Zeit und gegenseitiges Vertrauen, bei letzteren gilt, dass für die Aufnahme einer neuen, noch schwachen Beziehung ein freundliches "Hallo" genügt. Damit aus einem solchen unverbindlichen (=schwachen) Erstkontakt aber eine starke, langfristige Beziehung wird, muss investiert werden - von beiden Seiten. Und genau das leistet Facebook eben nicht.
Die Ironie liegt laut Wu gerade darin, dass Facebooks Erfolg hauptsächlich darauf beruht, dass die Mitglieder es nutzen, um ihre bereits bestehenden starken und somit vorwiegend privaten Beziehungen zu pflegen - nämlich die zu Freunden, Familienmitgliedern, Kollegen. Und hier gibt es, wie Dunbar uns lehrt, kapazitive Grenzen.
Zwar haben wir heute vielleicht nicht unbedingt 150 strong ties, sondern eher weniger, aber dafür ungleich mehr schwächere Beziehungen, was unter anderem der deutlich erhöhten Effizienz der Kommunikation über die digitalen Kanäle geschuldet ist. Wer nun aber auf Facebook damit beschäftigt ist, seine starken Beziehungen zu pflegen, empfindet den Versuch eines Unternehmens, auch nur eine per definitionem zunächst schwache Beziehung aufzunehmen, als ausgesprochen lästig.
So kommt es zu den eingangs erwähnten Zahlen von 60 Prozent genervter Benutzer und den für Firmen wenig einträglichen Einmal-Klicks. Es ist schlicht und einfach ur-menschliches Verhalten. Auf Facebook zu versuchen, eine längerdauernde Bindung zum Kunden aufzubauen und einen fortgesetzten Dialog mit ihm aufrecht zu erhalten um ihn so an sich zu binden, hat wenig Aussicht auf Erfolg.