Am 15. Juni war es endlich soweit. Mit einer Corona-bedingten Verspätung von einigen Monaten nahm die Fraunhofer-Gesellschaft in Ehningen bei Stuttgart den derzeit leistungsstärksten Quantencomputer Europas in Betrieb. Gebaut wurde das "Quantum System One" von IBM. Die Hoffnungen, die alle Beteiligten mit dem neuen System verbinden, sind groß. IBM erwartet sich von der neuen Compute-Technologie zusätzliches Geschäft, Industrieunternehmen wollen mit Hilfe von Quantenrechnern komplexe Probleme endlich schneller lösen können und die Politik setzt darauf, den Innovationsstandort Deutschland sowie die eigene digitale Souveränität zu stärken.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete den Startschuss für Quantum System One als "glänzendes Aushängeschild für den Technologie-Standort Deutschland" und beteuerte, man wolle in Sachen Quantentechnologie ein gewichtiges Wort in der Welt mitreden. Das ist der Regierung offenbar auch viel Geld wert. Rund zwei Milliarden Euro aus dem Konjunktur- und Zukunftspaket will Berlin in den kommenden Jahren für Forschung und Entwicklung rund um Quantentechnologien locker machen.
Konkret eingeplant dafür sind im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis 2025 bereits 1,2 Milliarden Euro. Damit sollen unter anderem verschiedene Forschungs-Hubs aufgebaut werden. Außerdem will man Konsortien aus Forschung und Industrie fördern. Eines soll sich um die Entwicklung von Hardware für Quantencomputer kümmern, ein anderes um die Software und Anwendungsentwicklung für die Quantentechnik. Koordinieren soll die Arbeit dieser Konsortien das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR).
"Ich will, dass die Entwicklung und Anwendung von Quantentechnologien in Deutschland und Europa unseren Wohlstand mehrt, unsere technologische Souveränität stärkt und der Hochtechnologie 'Made in Germany' zu einem echten Sprung verhilft", gab Bundesforschungsministerin Anja Karliczek ambitionierte Ziele vor. Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll in Deutschland selbst ein konkurrenzfähiger Quantencomputer gebaut werden sowie ein dazugehöriges Ökosystem mit potentiellen Anwenderunternehmen entstehen.
Bis dahin wird man sich mit Quantensystemen aus dem Ausland behelfen müssen und zusehen, so schnell wie möglich eigenes Knowhow aufzubauen. Wenn Deutschland dazugehören will, müssen Ressourcen aufgebaut werden", stellte Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, klar.
Dabei soll das Quantum System One eine wichtige Rolle spielen. Das System mit 27 supraleitenden Qubits und einem Quantenvolumen von 32 wird von Fraunhofer betrieben und auch exklusiv von der Forschungsgesellschaft und deren Partnern genutzt. Der Betrieb des Rechners stehe vollständig unter deutschem Recht, betonte Neugebauer. Es gelten europäische und deutsche Datenschutzregeln. Sämtliche Projekt- und Nutzerdaten verblieben in Deutschland, versichert der Betreiber. Wer möchte könne jedoch zusätzlich auf weitere Quantencomuting-Ressourcen von IBM in den USA zugreifen.
Wer als Fraunhofer-Partner das Quantum System One nutzen möchte, muss dafür ein personalisiertes Monatsticket erwerben. So ein Ticket kostet 11.621 Euro und darf Fraunhofer zufolge nicht geteilt oder übertragen werden. Mit inkludiert neben der Nutzung des Quantenrechners in Ehningen ist der Zugriff via Cloud auf weitere Quantensysteme IBMs in den USA.
Bei IBM spricht man von einem Meilenstein der IT-Geschichte. Zwei Teams in den USA und in Deutschland hätten an dem neuen Quantenrechner gearbeitet, berichtete IBM-CEO Arvand Krishna und verwies besonders auf einen neuen Chip und ein neues Kontrollsystem. Europa-Chef Martin Jetter betonte, dass IBM bereits ein weltweites Netzwerk für Quantencomputing aufgebaut habe. Dort hätten mehr als 300.000 Nutzer bereits viele Millionen Experimente mit der neuen Plattform ausprobiert. Der IBM-Manager bekräftigte zudem die eigenen Forschungsanstrengungen. Bis 2023 will der IT-Konzern einen Quantenrechner mit mehr als 1000 Qubits präsentieren.
Jetter zufolge handelt es sich bei Quantum System One zwar nicht um den schnellsten Qutenrechner, dafür laufe das System jedoch stabil genug, um Erkenntnisse für den industriellen Betrieb gewinnen zu können. Diese Praxistauglichkeit ist der Trumph, den IBM ausspielen will. Wettbewerber würden mehr auf Leistung und Rechenrekorde referenzieren. Das stehe jedoch meist nur auf dem Papier. "Nicht schwätze, mache", sagt Jetter.
Schneller von der Forschung in die Anwendung
Machen wollen tatsächlich viele Industrieunternehmen aus Deutschland. Ihnen geht es dabei allerdings weniger um den Quantencomputer an sich, als um die konkrete Anwendung. Doch dabei steht man meist noch ganz am Anfang. BMW-Chef Oliver Zipse sagte, man wolle Projekte ausloten. Es gebe jedoch noch viel Forschungsarbeit. Bis zum konkreten Einsatz von Quantencomputing sei noch ein weiter Weg zugehen. Jetzt müsse erst einmal eine Brücke zwischen Forschung und Industrie geschlagen werden.
"Wir müssen jetzt Tempo aufnehmen", forderte Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender von BASF. Der Manager geht davon aus, dass Quantenrechner seine Industrie grundlegend verändern werden, gerade was die Produktentwicklung und die Erforschung von Molekülstrukturen betrifft. "Was heute noch Wochen dauert, braucht bald nur Minuten." Auch Bosch-Geschäftsführer Volkmar Denner sieht viel Potenzial im Quantencomputing - aber: "Wir müssen schneller werden von der Forschung in die Anwendung."
Wer hat den Schnellsten?
Derzeit scheint ein regelrechtes Wettrennen entbrannt zu sein, wer den schnellsten Quantencomputer sein eigen nennen darf. Mit dabei: verschiedene Anbieter wie IBM, Google oder Microsoft, aber auch Länder, die die neue Compute-Technik ganz oben auf ihrer politischen Aganda haben. Im Dezember 2020 sorgte China für Schlagzeilen. Der Quantenrechner "Jiuzhang" soll Lösungen für ein mathematisches Problem (Gaußsche Bosonen-Probe) in 200 Sekunden gefunden haben. Klassische Supercomputer würden dafür rund 2,5 Milliarden Jahre brauchen, so die chinesischen Wissenschaftler an der Hefei-Universität.
2019 hatte Googles Quantencomputer "Sycamore" eine Rechnung gelöst, an der andere Rechner gescheitert wären, und damit aus Sicht des Anbieter, die ultimative Überlegenheit (Supremacy) des Quantencomputings bewiesen. Kritiker wenden jedoch ein, dass diese Systeme auf ein spezielles Problem hin optimiert seien. Würde man die Algorithmen für Supercomputer ähnlich tunen, wären die Unterschiede nicht so gewaltig.
Nichtsdestotrotz investiert China viel Geld in die Quantentechnik. Zehn Milliarden Dollar sollen in den Aufbau des Zentrums in Hefei fließen. Das macht offenbar auch die Politik in Deutschland nervös. Man will den Anschluss nicht verpassen. "Der Rest der Welt schläft nicht", warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der Präsentation von IBM Quantum System One und machte eine klare Ansage an den Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft: "Herr Neugebauer, machen Sie was draus!"