Nach mehreren Jahren Arbeit und Investitionen von etlichen Millionen Euro hat es die EU immer noch nicht geschafft, ein eigenes System für Videokonferenzen zu entwickeln. Das Tool sollte dazu dienen, dem Rat der EU-Staaten eine interne Kommunikationsplattform für Konferenzen und Gespräche mit hoher Geheimhaltungsstufe zu bieten. Doch daraus wird bis auf weiteres nichts. Wie das Portal netzpolitik.org unter Berufung auf interne EU-Dokumente berichtet, kann von einem einsatzbereiten System noch lange keine Rede sein.
Den Beschluss, eine eigene Videokonferenzlösung zu bauen, hatte der Rat der EU-Staaten im September 2020 gefasst, ein gutes halbes Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Weil physische Treffen meist nicht möglich waren, die EU-Politik aber weitergehen musste, griff man auch zwischen Brüssel, Straßburg und den Mitgliedsstaaten auf Tools wie Zoom und Teams zurück. Das Problem dabei: Von einer sicheren Kommunikation konnte bei den Kommunikationswerkzeugen der zumeist US-amerikanischen Anbieter keine Rede sein.
Journalist entert Konferenz der Verteidigungsminister
Offensichtlich wurde die Sicherheitsproblematik, als Mitte November 2020 der niederländische Journalist Daniel Verlaan in eine virtuelle Konferenz der europäischen Verteidigungsminister platzte. Der Minister aus den Niederlanden hatte versehentlich wesentliche Login-Details zu der Sitzung via Twitter geteilt. "Sie wissen schon, dass Sie hier in einer geheimen Sitzung gelandet sind", begrüßte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell den ungebetenen Gast. Der verabschiedete sich unter Entschuldigungen und dem Gelächter der Teilnehmer aus der vertraulichen Konferenz.
Den Sicherheitsverantwortlichen der EU dürfte angesichts dieses Vorfalls allerdings nicht zum Lachen zumute gewesen sein. Die Vorbereitungen für ein eigenes System wurden forciert. Mitte Januar 2021 standen Plan wie Budget. Das Generalsekretariat des Rates gab grünes Licht für das Coordination Committee for Communication and Information Systems (CCCIS). Dieses sollte das secure Videoteleconferencing System (sVTC) entwickeln. Rund 2,4 Millionen Euro sollte das System kosten plus etwa 400.000 Euro Wartung pro Jahr. Der Rollout war für Anfang März vergangenen Jahres angesetzt, Mitte 2022 sollte sVTC an den Start gehen. Zehn Jahre sollte die Lösung in Betrieb bleiben.
EU-Rat zeigt sich redlich bemüht
Derzeit hat es nicht den Anschein, dass die Videokonferenzlösung für die EU-Politiker überhaupt ins Laufen kommt. Netzpolitik.org zitiert eine namentlich nicht genannte EU-Beamtin: "Der Zeitplan für das Projekt hängt von einer Reihe von Faktoren ab, die derzeit in den Vorbereitungsgremien des Rates erörtert werden."
In einem EU-Dokument an die ständigen Vertreter der EU-Staaten, das Anfang Juni 2023 allerdings nur in Teilen öffentlich gemacht wurde, heißt es, dass es technische und funktionale Tests einer Lösung gegeben habe. Darüber hinaus habe das Generalsekretariat des Rates (GSC) die Anforderungen für das Ausrollen des Systems intern wie in den Mitgliedsstaaten weiter untersucht.
Warum alle Entwicklungsbemühungen bis jetzt gescheitert sind und wie viel Steuergeld letztlich verschwendet wurde, verrät das weitestgehend geschwärzte Papier nicht. Dort heißt es lediglich: "Das Generalsekretariat des Rates hat sich stets bemüht, für die Mitgliedstaaten das beste Preis-Leistungs-Verhältnis zu erzielen." In Anbetracht der jüngsten Änderungen bei den Projektanforderungen, den Kosten und der Dauer sei man der Auffassung, dass eine Prüfung des Stands des Projekts zum richtigen Zeitpunkt erfolgen sollte.