Studie Erfolgsfaktoren IT & Innovation

ESG wird nicht zu Ende gedacht

11.05.2023
Von 
Der Diplom-Physiker Oliver Schonschek ist freier IT-Fachjournalist und IT-Analyst in Bad Ems.
Das Thema Nachhaltigkeit hält bislang kaum Einzug in die Unternehmenssteuerung, obwohl Konzepte durchaus vorhanden sind.
Eine aktuelle Studie zeigt: Nachhaltigkeitskonzepte sind vorhanden - trotzdem klappt's mit der Umsetzung bislang nicht so gut.
Eine aktuelle Studie zeigt: Nachhaltigkeitskonzepte sind vorhanden - trotzdem klappt's mit der Umsetzung bislang nicht so gut.
Foto: Blue Planet Studio - shutterstock.com

In 47 Prozent der Unternehmen gehört der Aspekt der Nachhaltigkeit mit in die Grundlage der Unternehmenssteuerung - "voll und ganz" dort verankert ist sie bei 19 Prozent -, "überwiegend" bei 28 Prozent. 31 Prozent der Unternehmen haben sie immerhin noch teilweise verankert, wie die Studie "Erfolgsfaktoren IT und Innovation 2023 - Lösungen für Energieeffizienz und Nachhaltigkeit" von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE in Zusammenarbeit mit All for One und Materna ergab.

Gleichzeitig haben 63 Prozent der Unternehmen ein Nachhaltigkeitskonzept implementiert, eines für ESG (Environmental, Social, Governance) dagegen 58 Prozent. Dafür ist in 80 Prozent der befragten Unternehmen eine Digitalisierungsstrategie vorhanden, eine Cloud-Strategie bei 75 Prozent.

Unternehmenssteuerung versus Strategie

Die Diskrepanzen sollten nachdenklich machen: Offensichtlich haben nicht wenige Unternehmen ein Konzept für Nachhaltigkeit, berücksichtigen es aber nicht oder nur teilweise in der Unternehmenssteuerung. Zudem gibt es eine Reihe von Digitalisierungs- und Cloud-Strategien, ohne Nachhaltigkeitsziele definiert zu haben.

Auch die Unterschiede bei den Konzepten zu Daten und zu ESG sind bemerkenswert. "Mich hat insbesondere das Ergebnis in Bezug auf die Datenstrategie überrascht: 69 Prozent der Unternehmen geben an, eine Datenstrategie zu haben, nur 20 Prozent geben jedoch an, auch über ein detailliertes und umfassendes ESG-Konzept zu verfügen", kommentiert Dinah Erdmann, VP Digital Strategy Consultant, Materna Information & Communications SE, die Studienergebnisse. Die Digitalexpertin fügt hinzu: "Dabei ist beides aus meiner Sicht nicht voneinander zu trennen. ESG ist mehr als nur ein reines Nachhaltigkeitsthema, technisch betrachtet ist es vor allem ein Daten- und Architekturthema. Daten sind für das ESG-Reporting essenziell und müssen aus unterschiedlichsten Systemen zentral verfügbar gemacht werden, bevor überhaupt reportet werden kann."

„Standardlösungen für das ESG-Reporting greifen hier unserer Erfahrung nach häufig zu kurz und decken genau diese Anforderung nicht ab. Umso wichtiger ist es, der Realität beim Kunden Rechnung zu tragen und darauf abgestimmt eine intelligente Solution Architektur aufzubauen – als vorgelagerte Basis für das eigentliche Reporting“, sagt Dinah Erdmann, VP Digital Strategy Consultant, Materna Information & Communications SE
„Standardlösungen für das ESG-Reporting greifen hier unserer Erfahrung nach häufig zu kurz und decken genau diese Anforderung nicht ab. Umso wichtiger ist es, der Realität beim Kunden Rechnung zu tragen und darauf abgestimmt eine intelligente Solution Architektur aufzubauen – als vorgelagerte Basis für das eigentliche Reporting“, sagt Dinah Erdmann, VP Digital Strategy Consultant, Materna Information & Communications SE
Foto: Materna Information & Communications SE

ESG und Nachhaltigkeit zwischen Druck und Nachdruck

Die Studie hat auch untersucht, warum die Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit und Energiesparen noch nicht so weit sind, beziehungsweise welche Hürden dabei noch gesehen werden. Es fehlt demnach an Nachdruck im Management (37 Prozent), es regiert Angst um die Wettbewerbsfähigkeit (35 Prozent), und es mangelt an Nachhaltigkeitskultur (23 Prozent) sowie Innovationsfreude (17 Prozent).

Da es an Rückenwind aus dem Management fehlt, wird Druck von außen durchaus als sinnvoll erachtet. 49 Prozent der befragten Unternehmen sind bereits teilweise oder vollständig berichtspflichtig, wenn es um EU-Richtlinien zu nachhaltigem Wirtschaften geht. Weitere 20 Prozent setzen die Richtlinien sogar freiwillig um. Vom deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) betroffen sind 80 Prozent. Dabei sind solche rechtlichen Verpflichtungen mehr Antrieb als Last, wie sich zeigt.

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ESG ist aber auch eine Frage des Geldes

Neben gesetzlichen Verpflichtungen hat die neue Studie weitere Faktoren identifiziert, die Nachhaltigkeit und ESG-Strategien voranbringen. So zeigt sich: Ob ein Unternehmen ein Konzept zur Nachhaltigkeit oder für das ESG-Reporting hat, hängt stark vom jährlichen IT-Budget ab. Konzepte für Nachhaltigkeit, Corporate Social Responsibility oder Green IT haben 79 Prozent der Unternehmen mit jährlichen IT-Ausgaben von zehn Millionen Euro und mehr, bei einem geringeren IT-Budget sinkt der Anteil auf 58 Prozent.

Ähnlich ist dies beim ESG-Konzept: Bei einem höheren IT-Budget existiert ein solches bei 74 Prozent der Unternehmen. Liegen die jährlichen IT-Ausgaben unter zehn Millionen Euro, sind es nur noch 52 Prozent. Wer also mehr für IT investieren kann, scheint sich auch eher mit Nachhaltigkeit und ESG zu befassen.

Digitalisierungsstrategien sind in den Unternehmen noch stärker verbreitet als Konzepte für Nachhaltigkeit oder ESG.
Digitalisierungsstrategien sind in den Unternehmen noch stärker verbreitet als Konzepte für Nachhaltigkeit oder ESG.

Gemischte Bedeutung der IT für ESG

Obwohl höhere IT-Investitionen die Offenheit für ESG, Nachhaltigkeit und Energiesparen positiv beeinflussen, zeigt die Studie "Erfolgsfaktoren IT und Innovation 2023", dass die entsprechenden Möglichkeiten, die in verschiedenen IT-Lösungen gesehen werden, eher als gering eingestuft werden. Nur vier Prozent der befragten Unternehmen glauben daran, dass sich durch den Einsatz mobiler Endgeräte Energie sparen lässt. Die Werte für ERP-Systeme (acht Prozent), Desktop-Rechner (13 Prozent), das eigene Data Center (15 Prozent) und Datenbanken (21 Prozent) sehen nicht viel besser aus. Anders verhält es sich bei den Cloud-Services.

Das Potenzial, Energie durch den Cloud-Einsatz einzusparen, sehen die Unternehmen unabhängig von ihrer Größe. Jedes dritte kleine, mittlere oder große Unternehmen ist der Ansicht, dass dies möglich ist. "Unternehmen, die zur Public Cloud tendieren, sind vor allem aus Branchen, die starken Veränderungen unterliegen und mehr in Richtung Standardisierung denken müssen, um schnell und automatisiert ihre ERP-Architektur an neue Situationen im Business anzupassen und Innovationen sofort nutzen zu können", weiß Horst Lambauer, Senior Director Cloud ERP bei Studienpartner All for One, zu berichten.

Während aber zum Beispiel ERP-Systeme kaum als Weg gesehen werden, mehr Energie einzusparen, planen ganze 67 Prozent der Unternehmen, auf ein ERP-System zu wechseln, das in der Lage ist, Emissionsschwachstellen zu identifizieren und automatisiert zu verbessern - oder sie wären zumindest (unter Umständen) dazu bereit.

Dagegen sagen nur 16 Prozent der Unternehmen, dass sie nicht auf ein ERP-System setzen wollen, um Emissionsschwachstellen erkennen und minimieren zu können.

„Auch im ERP-Umfeld beobachten wir seit längerem einen klaren Trend in Richtung Cloud. Die Treiber sind neben einer Reihe an geopolitischen und ökonomischen Faktoren, die Notwendigkeit der Anwendungsmodernisierung, um auf die daraus entstehenden Veränderungen und Herausforderungen reagieren zu können. Grundsätzlich würde ich die Aussage der Studie nur unterstreichen, der Weg Richtung Cloud ist unumkehrbar“, so Horst Lambauer, Senior Director Cloud ERP bei der All for One
„Auch im ERP-Umfeld beobachten wir seit längerem einen klaren Trend in Richtung Cloud. Die Treiber sind neben einer Reihe an geopolitischen und ökonomischen Faktoren, die Notwendigkeit der Anwendungsmodernisierung, um auf die daraus entstehenden Veränderungen und Herausforderungen reagieren zu können. Grundsätzlich würde ich die Aussage der Studie nur unterstreichen, der Weg Richtung Cloud ist unumkehrbar“, so Horst Lambauer, Senior Director Cloud ERP bei der All for One
Foto: All for One Group AG

Fazit: ESG braucht ganzheitliches Denken

Die Studienergebnisse zeigen: Es gibt Diskrepanzen zwischen den Grundlagen für die Unternehmenssteuerung und den Strategien, zwischen dem Nachdruck für Nachhaltigkeit und ESG im Inneren und von außen, zwischen Investitionsbereitschaft und Bewertung der eingekauften Möglichkeiten sowie beispielhaft zwischen dem erkannten Wert von ERP-Systemen für das Energiesparen und für die Identifikation von Emissionsschwachstellen.

Immer dann, wenn nur eine Seite gesehen wird und andere Facetten übersehen werden, muss man davon ausgehen, dass sich noch kein richtiges Bild der Zusammenhänge gebildet hat. So scheint es auch bei ESG, Nachhaltigkeit, Energiesparen, Daten und Digitalisierung zu sein. Hier bestehen Verknüpfungen, die bislang noch nicht vollständig gesehen oder zumindest nicht in die Unternehmenspraxis übernommen wurden.

Es ist aber höchste Zeit, aus den Bruchstücken von Nachhaltigkeit und ESG in den Unternehmen ein Ganzes werden zu lassen. Komplexe Systeme wie Umwelt und Klima, aber auch wirtschaftliches Handeln lassen sich nicht punktuell optimieren, durch die vielfältigen Zusammenhänge werden sonst Auswirkungen möglich, die den eigentlichen Zielen entgegenlaufen.

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Studiensteckbrief

Herausgeber: CIO, CSO und COMPUTERWOCHE

Studienpartner: All for One Group SE (Platin), Materna Information & Communications SE

Grundgesamtheit: Oberste (IT-)Verantwortliche in Unternehmen der DACH-Region: Beteiligte an strategischen (IT-)Entscheidungsprozessen im C-Level-Bereich und in den Fachbereichen (LoBs); Entscheidungsbefugte sowie Experten und Expertinnen aus dem IT-Bereich

Teilnehmergenerierung: Persönliche E-Mail-Einladung über die exklusive Unternehmensdatenbank von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE sowie - zur Erfüllung von Quotenvorgaben - über externe Online-Access-Panels

Gesamtstichprobe: 322 abgeschlossene und qualifizierte Interviews

Untersuchungszeitraum: 9. bis 16. Februar 2023

Methode: Online-Umfrage (CAWI)

Fragebogenentwicklung und Durchführung: Custom Research Team von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE in Abstimmung mit den Studienpartnern