Frau Hahn, Sie sind seit 2020 Geschäftsführerin und Chief Resources Officer bei der BWI GmbH, dem IT-Systemhaus der Bundeswehr. Mit welchen Vorurteilen haben Arbeitgeber im öffentlichen Sektor zu kämpfen?
Katrin Hahn: Die Schublade, in die man gesteckt wird, ist sehr schnell: "Amt" und alles was damit verbunden ist: die Arbeitsweise, die Gehaltsstruktur, die gerade im Vergleich zur IT-Branche oft als eher unattraktiv empfunden wird, und die Flexibilität. Doch da hört es noch nicht auf. Es gibt auch Vorurteile gegenüber der inhaltlichen Aufgabe. Mein Eindruck ist, dass einige vermuten, man würde dort den ganzen Tag nur Papiere abstempeln.
Wie viel Wahrheit steckt in diesen Annahmen und was können Arbeitgeber im öffentlichen Umfeld tun, um diese aus der Welt zu schaffen?
Hahn: Wo wir als BWI in meiner Wahrnehmung weit weg von "Amt" und nah dran an Unternehmen aus der freien Wirtschaft sind, sind: Vergütung, Arbeitszeitmodelle, Flexibilität, Benefits und die Arbeitsplatzausstattung. Natürlich sind wir gleichzeitig durch unseren Auftraggeber, die Bundeswehr, an bestimmte prozessuale Vorgaben und Formalien gebunden, an denen nicht zu rütteln ist. Das fühlt sich gelegentlich auch mal eher nach "Amt" an.
"Wir haben eine sehr Purpose-orientierte Aufgabe"
Aber: wir als Arbeitgeber im öffentlichen Umfeld haben eine Aufgabe, die sehr Purpose-orientiert ist: Die BWI erbringt zum Beispiel wesentliche Anteile der IT-Services im In- und Ausland für die Streitkräfte - auch unter den aktuellen, sehr herausfordernden Rahmenbedingungen des Ukraine-Kriegs. Damit leisten wir einen gesellschaftlichen Beitrag und arbeiten an einer wichtigen Aufgabe, die essentiell für die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr ist.
Warum also zur Bundeswehr-IT als Arbeitgeber?
Hahn: Es geht bei uns nicht um Gewinnmaximierung, sondern darum, die Fähigkeiten der Bundeswehr im Bereich Digitalisierung voranzutreiben und sicherzustellen. Das ist ein wesentlicher Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit und damit Sicherheit unseres Landes. Das zeichnet meines Erachtens die Arbeitgeber im öffentlichen Sektor aus: wir helfen, Grundlagen unserer Demokratie zu sichern und bieten elementare Dienstleistungen für die Bürger und unser Land. Und das können und sollten wir auch hervorheben.
Wichtig ist, dass Arbeitgeber im öffentlichen Sektor versuchen, die Unternehmenskultur und das Arbeitsumfeld authentisch nach außen zu tragen. Nicht alle werden mit einem Job im öffentlichen Sektor glücklich - genauso wenig ist ein Startup das richtige Umfeld für jeden. Wir brauchen Menschen, die einerseits mit gegebenen Prozessen und Strukturen und auch besonderen Verantwortlichkeiten umgehen können und trotzdem die Energie aufbringen, Dinge zu ändern und Neues voranbringen wollen. Das ist ein Balanceakt - ein sehr spannender Balanceakt, um Dinge nachhaltig voranzubringen.
Sind Unternehmen durch den Fachkräftemangel im Zugzwang, immer mehr Geld und immer umfangreichere Benefits anzubieten?
Hahn: Tatsächlich nehmen wir hier gerade inflationäre Tendenzen am Arbeitsmarkt wahr. Gleichzeitig bin ich überzeugt: Bei Benefits kommt es schnell zu einem Abnutzungseffekt. Das, was einen heute als Arbeitgeber auszeichnet - wie das Fitnessstudio oder das JobRad - wird im nächsten Moment von vielen angeboten und dann auch teilweise vorausgesetzt. Gehalt und Benefits sind natürlich "Hygienefaktoren". Aber, wenn man sich als Unternehmen nur dadurch abgrenzt, sind Mitarbeiter im Zweifel auch schnell wieder weg, sobald ein anderer Arbeitgeber mehr anbietet.
"Hygienefaktoren" sollten selbstverständlich sein
Nichtsdestotrotz sind alle Arbeitgeber, natürlich auch im öffentlichen Sektor, in einer Art Zugzwang, und man darf die "Hygienefaktoren" nicht außer Acht lassen. Benefits und Gehalt alleine, davon bin ich überzeugt, sind am Ende des Tages jedoch nicht der Grund, wieso Mitarbeiter sich für ein Unternehmen entscheiden und auch dortbleiben, sondern die Mischung aus Gehalt, Entwicklungsoptionen, Aufgaben, das Arbeitsumfeld, die Unternehmenskultur und der Teamgedanke.
Wie hat die BWI es trotz aller Widrigkeiten des Arbeitsmarktes in den letzten Jahren geschafft, um den Faktor 4,2 zu wachsen?
Hahn: In der Tat haben wir ein stetig wachsendes Auftragsvolumen und daher auch Bedarf an neuen Kollegen und Kolleginnen. Insbesondere in den Corona-Jahren haben wir es dabei geschafft, mehr Menschen einzustellen als viele andere Unternehmen. Wir konnten die Bewerber unter anderem deshalb für uns gewinnen, weil der Arbeitsmarkt sehr unsicher war und viele nach der Arbeitsplatzsicherheit gesucht haben, die wir dank des kontinuierlich wachsenden Bedarfs, den wir für die Bundeswehr decken, bieten können. Hinzu kommt, dass wir im Arbeitgebermarketing und beim Thema Sichtbarkeit einen guten Job gemacht haben. Wir waren außerdem in der Lage, digital zu rekrutieren und auf Grund der guten technischen Ausstattung auch deutschlandweit im Home-Office einzustellen.
Online-Onboarding ist sehr herausfordernd
Ehrlicherweise spüren wir aber gerade auch die Kehrseite der Medaille: Das Onboarding und die Bindung von Kollegen in dezentralen Setups ist sehr herausfordernd und auch uns nicht überall gelungen. Die Erfahrung zeigt, wie wichtig der direkte und persönliche Austausch vor Ort ist, um Kultur und ein Wir-Gefühl aufzubauen, deshalb setzen wir in der BWI heute auf hybride Arbeitsformen, die sowohl Flexibilität als auch einen direkten, persönlichen Austausch ermöglichen und fördern.
Im Arbeitsalltag kann es schnell passieren, dass die Relevanz der eigenen Tätigkeit in den Hintergrund rückt. Wie kann es gelingen, den Mitarbeitern das regelmäßig vor Augen zu führen?
Hahn: Das ist eine echte Daueraufgabe und es gibt dafür - glaube ich - auch kein Patentrezept. Letztlich hat es viel mit Kommunikation zu tun. Es ist wichtig, allen Mitarbeitern diese Relevanz immer wieder aufzuzeigen. Dabei hilft es, zum Beispiel Unternehmensziele klar und vor allem verständlich zu definieren und zu kommunizieren. Das klingt einfacher, als es in der Praxis ist. Wir bei der BWI bemühen uns darüber hinaus auch, im Verwaltungsbereich Berührungspunkte mit unserem Kunden der Bundeswehr zu ermöglichen. Schon auf unseren Welcome Days, ist es uns wichtig, dass wir neben Einblicken in unser Unternehmen auch Informationen und Eindrücke in die Bundeswehr vermitteln.
In Unternehmen treffen in der Regel verschiedene Generationen aufeinander - welche Probleme und welches Potenzial steckt dahinter?
Hahn: Das hat meines Erachtens nicht nur etwas mit dem Geburtsjahrgang zu tun, sondern auch wie die Menschen sozialisiert sind und besonders in welcher Lebensphase sie sich befinden. Natürlich haben junge Mitarbeiter, die frisch von der Schule oder dem Studium kommen und ungebunden sind, andere Prioritäten in Bezug auf Arbeitsumfeld und Anforderungen an den Arbeitgeber als jemand, der Kinder hat oder sich in Richtung Ruhestand bewegt. Aber diese Bandbreite an Erfahrung, Alter und Herkunft zeichnet ein vielfältiges Unternehmen erst aus. Alle haben eigene Stärken und tragen ihren Teil zum großen Ganzen bei.
Führungskräfte werden zu Moderatoren und Vermittlern
Die Kunst ist es, die Themen so zusammenzubringen, dass es ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander wird. Damit unterschiedliche Perspektiven nicht zu Konflikten werden, haben Führungskräfte aus meiner Sicht eine ganz wichtige Funktion als Moderatoren. Diese Vermittlerkompetenz brauchen sie heutzutage viel stärker als in der Vergangenheit, um Vielfalt produktiv nutzen zu können.
Zum Beispiel haben auch Berufsanfänger keine Scheu eigene Ideen einzubringen, um das System zu optimieren und neue Impulse zu geben. Ältere Kollegen werden im Umkehrschluss auch kurz vor dem Ruhestand noch mit ganz neuen Herausforderungen konfrontiert, bei denen sie nicht auf ihr Erfahrungswissen zurückgreifen können. Den Austausch und die gegenseitige Unterstützung zwischen all diesen Mitarbeitergruppen hinzukriegen, ist ein Anspruch, den wir als Unternehmen und Gesellschaft haben müssen.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie sieht die BWI in fünf Jahren aus?
Hahn: Ich glaube, es ist nicht entscheidend, wie genau der Zustand dann ist. Was ich mir wünsche, ist, dass die BWI anpassungsfähig ist und bleibt. Es wird sich immer etwas verändern: die Anforderungen der Bundeswehr, die technologischen Voraussetzungen und die äußeren Einflüsse und Bedingungen. In jedem Veränderungsprozess ist es wichtig, vielfältig aufgestellt zu sein. Sich angemessen auf die neue Situation einstellen zu können, in Bezug auf Strukturen, auf Mitarbeiter und Technologie: das ist mein Wunsch.
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