Raum für flexible Projektstrukturen schaffen
Was bedeutet dieser ganzheitliche Ansatz für die Organisation des Entwicklungsbereichs?
MATTHIAS BULLIGK: Wenn der einzelne Entwickler über seinen Tellerrand hinausschauen und selbst gestalten soll, dann müssen Organisation und Umfeld dies auch unterstützen. Dafür müssen einerseits die nötigen Freiräume geschaffen werden, aber andererseits auch klare Rahmenbedingungen und Regeln vorhanden sein, die dafür sorgen, dass wir alle in die gleiche Richtung steuern. Der Anforderung, die Organisation flexibler zu gestalten, wurde ja schon mit der Schaffung flexibler Kapazitäten Rechnung getragen.
PETER KRUG: Ja, wir haben bereits im letzten Jahr begonnen, zehn Prozent der Kapazitäten im Entwicklungsbereich flexibel für unsere fünf Topthemen einzusetzen. Dadurch wird der Wechsel zwischen den Abteilungen gefördert, und die Mitarbeiter können ihr Wissen auch in anderen Einheiten einbringen. Im gesamten Entwicklungsbereich können wir von diesem Erfahrungsaustausch profitieren. Nur durch den flexiblen Ressourceneinsatz werden wir überhaupt in der Lage sein, die Herausforderungen der nächsten Jahre zu bewältigen. Klassische Teamstrukturen wird es zwar weiterhin geben, allerdings werden sie stärker durch flexible Projektstrukturen ergänzt und auch nicht mehr so "langlebig" sein.
Welche Rolle spielen bauliche Gegebenheiten und die Arbeitsplatzgestaltung angesichts der neuen Trends in der Softwareentwicklung?
PETER KRUG: Für die Datev gesprochen ist der IT-Campus 111 mehr als nur ein Bürogebäude. Durch seine offenen Strukturen bietet er den nötigen Raum für flexibles Arbeiten. Softwareentwicklung war schon immer ein Wechselspiel aus Gruppenarbeit und konzentriertem Arbeiten in Ruhe. Das Wort "Entwicklung" bedeutet Ideen haben, sie mit anderen zu erproben beziehungsweise sie allein oder mit mehreren weiterzuentwickeln, um daraus schließlich eine ausgereifte Lösung im Sinne des Kunden zu machen. Gibt es wenige Besprechungs- und Projekträume, kann die Gruppenarbeit zu kurz kommen. Das neue Konzept im IT-Campus 111 bietet Raum für beides. Die offenen Flächen erleichtern generell die Kommunikation, während Rückzugsräume schnell organisierte Besprechungen zur Klärung offener Fragen ermöglichen. Kollegen, die nicht involviert sind, werden so in ihrer Arbeit nicht gestört. Der Einsatz von agilen Methoden, die sehr stark von Kommunikation leben, wird durch die offene Struktur des Campus besser unterstützt als bisher.
- Schneller als Plan-Build-Run
Die Anforderungen an Software verändern sich im Laufe der Entwicklung oft erheblich - anders als bei einem Auto zum Beispiel. Dem tragen agile Methoden wie Scrum Rechnung. - Besseres Ineinandergreifen
Bei traditioneller Softwareentwicklung greifen Zahnräder oft nicht ineinander, sondern sie rotieren nebeneinander vor sich hin. Scrum sorgt für nahtlosere Prozesse. - Jeder spricht mit jedem
Bei vielen Softwareprojekten mangelt es an gelungener Kommunikation, bei Scrum ist regelmäßiges Feedback für alle Beteiligten Pflicht. - Mehr Qualität
Mit Hilfe von Scrum entwickelte Software ist in der Regel besser als andere, weil hier frühzeitig das Feedback der Kunden integriert wurde. - Chaos führt nicht zu Panik
Chaotisch ist Scrum insofern, als sich der damit verbundene Prozess nicht einfach mit einem Pfeil beschreiben lässt, der links auf dem Blatt Papier anfängt und irgendwo rechts aufhört. Sondern er ist mehrdimensional. Wenn sich alle an bestimmte Regeln halten, läuft trotzdem nichts aus dem Ruder. - Im Mittelpunkt: Der Mensch
Scrum heißt Gedränge. Und es bedeutet, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen in dem Sinne, dass ihm die Methode ermöglicht, effizient und gleichzeitig kreativ zu arbeiten. - Automatisierte Tools statt Selbstgestricktes
Oft verwendet jede Abteilung eigene Anwendungen, um Entwicklungsschritte zu dokumentieren, zum Beispiel Excel. Automatisierte, vor allem einheitliche Tools beschleunigen hier die Abläufe erheblich. - Nicht nur am Ende testen
Zeitgemäße Entwicklungsumgebungen erlauben es, auch einzelne Module zwischendurch zu testen, um immer auf dem neuesten Stand zu sein.
MATTHIAS BULLIGK: Die offenen Strukturen weisen in die richtige Richtung. Wir haben ja bereits in unserer Testzone "Innovum" die Erfahrung gemacht, dass dies zu einem erhöhtem Wissenstransfer unter den Kollegen führt. Der wichtigste Aspekt ist für mich, dass der komplette Entwicklungsbereich an einem Ort vereint ist. Dadurch wird die informelle Kommunikation über Abteilungsgrenzen hinaus wesentlich gestärkt.
Welche Überlegungen lagen der jetzt umgesetzten räumlichen Aufteilung zugrunde, und auf welchen Annahmen und Erfahrungen beruhten sie?
PETER KRUG: Das Konferenzzentrum und das Casino im Erdgeschoss nahe am Haupteingang zu platzieren, erleichtert die Nutzung bei externen Veranstaltungen und verringert den "Durchgangsverkehr" in den Bürozonen. Dasselbe gilt auch für die größeren dezentralen Besprechungsräume. Sie sind an der Magistrale angesiedelt, dem Hauptverkehrsweg durch den Campus. Im zweiten Stockwerk ist das Testcenter untergebracht, welches von nahezu allen Hauptabteilungen genutzt wird und daher auch "mitten" im Campus direkt an der Magistrale lokalisiert ist. Bei der Belegung der Bürozonen haben wir berücksichtigt, welche Hauptabteilungen die größten Schnittstellen bei ihrer täglichen Arbeit miteinander haben, so dass diese Einheiten dann entweder in nebeneinander liegenden Büroflächen angesiedelt werden oder in den jeweiligen Stockwerken übereinander. Zwischen den einzelnen Bürozonen beziehungsweise an deren Rändern sind flexible Arbeitsplätze eingerichtet, die nicht fest belegt sind. Dies erleichtert ebenfalls ein abteilungsübergreifendes Arbeiten.
MATTHIAS BULLIGK: Auch die Verprobung im bereits erwähnten Innovum hatte noch bauliche Konsequenzen. Beispielsweise wurden die Rückzugsräume neu konzipiert, weil sich gezeigt hat, dass sie in der Regel nicht von nur zwei bis vier Personen genutzt werden. Häufiger als gedacht zieht sich eine größere Zahl von Kollegen für Ad-hoc- Besprechungen zurück. Deshalb werden im IT-Campus 111 nun verschieden große Rückzugsräume angeboten.
PETER KRUG: Ja, von den Kolleginnen und Kollegen sind wichtige Erkenntnisse in den Neubau geflossen. So hatten wir die Möglichkeit, diverse Dinge auszuprobieren und zu prüfen. Im Innovum wurde beispielsweise die virtuelle Desktop-Infrastruktur getestet, so dass wir in den vergangenen Monaten zahlreiche "Kinderkrankheiten" beseitigen konnten.
Veränderungen werden immer auch kritisch betrachtet. Wie gelingt es, Akzeptanz für die neuen Arbeitsweisen zu schaffen?
MATTHIAS BULLIGK: Das Wichtigste ist, das Warum erklärt zu bekommen. Das Ziel ist ja nicht, unbedingt agile Entwicklungsmethoden einzuführen. Diese sind nur Werkzeuge, um die eigentlichen Ziele zu erreichen: Entwicklungszeiten zu verkürzen, Produktivität zu erhöhen, auf Veränderungen reagieren zu können und eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung zu schaffen.
PETER KRUG: Bereits seit Darwin wissen wir, dass nicht die Stärksten, sondern die Anpassungsfähigsten überleben. Wir müssen uns daher ständig fragen, ob unser Vorgehen und unsere bisherigen Methoden auch in Zukunft passend sind. In vielem werden wir feststellen, dass dem nicht so ist, und in manchen Fällen werden uns agile Entwicklungsmethoden, die bei uns seit einiger Zeit auch schon gelebt werden, eine Lösung bieten. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass diese Veränderung nicht nur die Mitarbeiterebene betrifft. Agil zu arbeiten ist eine Einstellung, eine Philosophie - und eine Arbeitsweise mit klar definierten Rollen und einfachen Regeln. Agile Teams führen sich selbst und reflektieren kontinuierlich ihren Erfolg. Entscheidungen werden damit dezentralisiert. Das ist eine Veränderung, die insbesondere unsere Führungsmannschaft beherzigen muss. (pg)