Aus für Palantir?

Einsatz von Schnüffelsoftware durch die Polizei verfassungswidrig

16.02.2023
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verletzen die Gesetze für den Einsatz von Analysesoftware durch die Polizei in Hessen und Hamburg persönliche Grundrechte.
Das Bundesverfassungsgericht will den Einsatz von Schnüffelsoftware bei der Polizei strengen Regeln unterwerfen.
Das Bundesverfassungsgericht will den Einsatz von Schnüffelsoftware bei der Polizei strengen Regeln unterwerfen.
Foto: Gorodenkoff - shutterstock.com

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Einsatz von Überwachungssoftware durch die Polizei in Hamburg und Hessen verfassungswidrig ist. Demnach verstoßen Teile des hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) sowie des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (HmbPolDVG) gegen geltendes Recht.

Die besagten Gesetzesregeln "ermächtigen die Polizei, gespeicherte personenbezogene Daten mittels automatisierter Anwendung im Rahmen einer Datenanalyse (Hessen) oder einer Datenauswertung (Hamburg) weiter zu verarbeiten", heißt es in einer Mitteilung des Gerichts. Doch das verstoße gegen die informelle Selbstbestimmung als Teil der im Grundgesetz verankerten Persönlichkeitsrechte von Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland. Der Grund: Die Eingriffsschwelle für die Erfassung und Analyse der Daten liege viel zu niedrig. Außerdem gebe es kaum Grenzen, welche und wie viele Daten von der Polizei erhoben werden.

Auch Unschuldige könnten überwacht werden

Die Richter bemängeln, dass durch die massenhafte und automatisierte Datenanalyse auch unschuldige und unbeteiligte Personen ins Fadenkreuz polizeilicher Ermittlungen geraten könnten. Darüber hinaus sei die Verknüpfung und Anreicherung der Datensätze mit weiteren Informationen beispielsweise aus dem Social Web bedenklich, weil sich damit detaillierte Profile erstellen ließen. Das greife in die informelle Selbstbestimmung und damit die Grundrechte jeder und jedes Einzelnen ein.

Der Gesetzgeber in Hessen hat nun bis Ende September 2023 Zeit, sein Polizeigesetz nachzubessern. Dort nutze die Polizei entsprechende Software bereits über die Analyseplattform HessenData, stellte das Verfassungsgericht fest. Für Hamburg hat das Urteil noch keine praktischen Auswirkungen, da die Gesetzesregeln in der täglichen Polizeiarbeit noch nicht angewendet würden. Aber auch die Hansestadt wird ihr Gesetz nach der Ansage aus Karlsruhe noch einmal überarbeiten müssen.

Ungehinderter Blick in die Glaskugel wird untersagt

Vertreter der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF), die neben anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Aktivisten und Rechtsvertretern die Beschwerde vor dem Verfassungsgericht eingereicht hatten, begrüßten das Urteil. Die Polizei dürfe zwar grundsätzlich mithilfe einer Software auf Knopfdruck Informationen und Querverbindungen zu Personen herstellen, um Straftaten vorzubeugen (Data Mining), heißt es in einer Mitteilung des Vereins. Dann müsse das Gesetz aber klare Vorgaben dazu machen, unter welchen Bedingungen dies zulässig sei. Sonst verstießen die Regelungen gegen das Recht, über die eigenen Daten zu bestimmen.

Bijan Moini, Leiter des Legal Teams der GFF, freut sich, dass die Karlsruher Richter strengere Vorgaben für den Einsatz von Analysesoftware bei der Polizei angemahnt haben.
Bijan Moini, Leiter des Legal Teams der GFF, freut sich, dass die Karlsruher Richter strengere Vorgaben für den Einsatz von Analysesoftware bei der Polizei angemahnt haben.
Foto: Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V.

Bijan Moini, Leiter des Legal Teams der GFF und Prozessbevollmächtigter, betonte die weitreichende Bedeutung der Entscheidung aus Karlsruhe: "Das Bundesverfassungsgericht hat der Polizei den ungehinderten Blick in die Glaskugel untersagt und strenge Vorgaben für den Einsatz von intelligenter Software in der Polizeiarbeit formuliert. Das war wichtig, weil die Automatisierung von Polizeiarbeit gerade erst begonnen hat."

Muss sich die Polizei von Palantir verabschieden?

Tatsächlich dürfte das Urteil aus Karlsruhe weitreichende Konsequenzen für die Polizeiarbeit in ganz Deutschland haben. HessenData basiert auf der Analysesoftware der Firma Palantir. Auch in anderen Bundesländern ist Palantir bereits im Einsatz beziehungsweise geplant. Die Behörden in Nordrhein-Westfalen arbeiten etwa mit der Software. Bayern hatte vor einem Jahr Palantir den Zuschlag für das "Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyse-System" (Vera) erteilt. Durch eine Rahmenvereinbarung könnte das System auch in anderen Bundesländern und bei Behörden des Bundes zum Einsatz kommen, hieß es damals.

Ob es dazu kommt, ist nach dem Urteil aus Karlsruhe mehr als fraglich. Zumal sich die Pläne zuletzt verzögert hatten. Anfang des Jahres berichtete die Frankfurter Rundschau, dass die Überprüfung der Palantir-Software durch das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT) auf mögliche Sicherheitslücken hin länger dauere als geplant. "Das Überprüfungsverfahren zum Quellcode ist noch nicht abgeschlossen", zitiert das Blatt einen Sprecher des bayerischen Landeskriminalamts.

Europol verstößt gegen Datenschutzgesetze

Ein Einführungstermin stehe noch nicht fest, verlautete aus dem bayerischen Innenministerium. Selbstverständlich würden alle "grundsätzlichen Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts" berücksichtigt. Auch in Bayern wäre eine Gesetzesänderung notwendig, um die Überwachungssoftware einzusetzen, hatte im Vorfeld bereits der bayerische Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri angemahnt.

Palantir arbeitet eng mit US-Geheimdiensten zusammen

Moini vom GFF kann nicht nachvollziehen, warum es die deutschen Polizeibehörden nicht schaffen, selbst erweiterte Suchfunktion für ihre Datenbanken zu programmieren, und stattdessen für viele Millionen Euro Software von einem zwielichtigen US-Konzern einkaufen. Palantir wurde als Startup unter anderem von der CIA finanziert und arbeitet eng mit US-amerikanischen Geheimdiensten zusammen.

Die Sympathisanten der Palantir-Software argumentieren dagegen, man müsse die Digitalisierung der Ermittlungsarbeit beschleunigen, zumal die Kriminellen technisch aufrüsteten und gegenüber den Behörden vielfach schon die Nase vorn hätten. Aus den hessischen Innenministerium verlautete, HessenData habe seit 2018 wertvolle Hilfe in der Aufklärung und der Verhinderung von Verbrechen geleistet. So sei ein Terroranschlag verhindert und ein Geldautomatensprenger festgenommen worden.