Getrieben von den Folgen der Coronakrise und den daraus resultierenden neuen Anforderungen in Sachen digitale Transformation sind viele Unternehmen regelrecht in die Cloud galoppiert. Wird in ein paar Monaten der große Katzenjammer folgen, weil dem offenbar keine Strategie zugrunde lag? Nicht wirklich. Denn Unternehmen, die jetzt in die Cloud gehen, sind keine Pioniere. Die Lektionen, die es zu lernen gab, sind schon gelernt.
So gehen Experten davon aus, dass sich in ein bis zwei Jahren eine Reihe von Unternehmen im Cloud-Umfeld stark emanzipiert haben werden. Diejenigen nämlich, die bereits verstanden haben, dass die Nutzung der Cloud nicht nur eine technologische, sondern auch eine organisatorische Transformation bedeutet. Warum? Weil die Automation in dem Betriebsmodell Cloud von der Selbstbefähigung des Nutzers lebt.
Diesen Schritt gehen deutsche Unternehmen nicht unüberlegt. Sie folgen dem analytischen Pfad in die Cloud, dem wirtschaftliche, funktionale sowie Vertrauens- und Sicherheitsbewertungen für die Anwendungen zugrunde liegen. Hinzu kommt, dass ihnen viel Regulatorik und Compliance-Blocker durch Gesetze in den Weg gelegt werden. Auf einem aus der Not heraus gegangenen experimentellen Pfad würden sie nur darüber stolpern, es braucht langfristige Strategien.
Denn sie wissen, was sie tun
Deutsche Unternehmen wissen also genau, was sie tun. Schließlich prüfen wir hierzulande sehr gern alle Eventualitäten im Vorfeld, schließen sämtliche Risiken aus und wagen den Schritt erst, wenn wir zu 100 Prozent sicher sind. Doch sollte man sich - im Hinblick auf die doch eher zurückhaltende Cloud-Adaption - in dieser Perfektion nicht etwas zurücknehmen und auch einmal mit einer achtzigprozentigen Lösung ein Experiment wagen?
Genügend Unternehmen tun dies bereits, indem sie den Applikations-Stack neu denken und nicht versuchen, Althergebrachtes über den Lift & Shift-Ansatz in die Cloud zu kopieren. Und: Ein Cloud-Modell basiert auf einem fertigen, vordefinierten integrierten Service oder Stack, der so konsumiert wird, wie er ist. In dem Moment also, wo ein Unternehmen in Richtung eines Cloud-Business-Modells blickt, hat es sich bereits dazu entschieden, von den 100 Prozent abzurücken. Der Vorteil der achtzigprozentigen Lösung: Sie ist sofort einsatzbereit und liefert unmittelbar den Return, den man möchte. Der Nachteil: Prozesse und Governance müssen an die vorgegebene Cloud-Schablone angepasst und vor allem die eigene Mannschaft mitgenommen werden. Und da hört die Experimentierfreude meistens auf.
- Christian Gehring, Google
„Man muss lernen, mit der neuen Technologie umzugehen. Das heißt, die Skills der Teams zu erweitern, mit der Cloud zu spielen und MVPs zu bauen, um frühzeitig auch die Limitierungen zu erkennen. Was das Lead betrifft: Brust raus und mit einem Top-down Approach nach vorne gehen. Dabei schauen, ob die crossfunktionalen Teams zusammenarbeiten, und vor allem viel Selbstmotivation an den Mann legen. Auch beim Thema Scale. Nach einem kleinen, erfolgreichen MVP soll man ruhig auch über große Dinge nachdenken und zum Beispiel einmal Cloud-native Services ausprobieren. Und – weil wir hier in Deutschland sind – muss auch immer sichergestellt sein, dass das Angebot aus der Cloud Datensouveränität, Schrems und Daten-Backup trägt, damit die Services beim Endkunden stabil laufen.“ - Martin Herrmann, HPE
„Cloud ist der Enabler schlechthin für die digitale Transformation der Unternehmen. Wichtig ist aber zu verstehen, dass Cloud keine Destination von irgendeinem zentralen Rechenzentrum ist. Cloud ist ein Erfahrungswert von Businessresultaten, die ich über ein Cloud-Modell erwarte. Für die Experience Cloud muss man also die richtigen Businesstreiber definieren, um erfolgreich zu sein. Doch für die Transformation in Richtung Serviceorientierung und Selbstbefähigung der User braucht es ein Management of Change. Und dieser kulturelle Wandel ist nicht zu unterschätzen.“ - Stefan Wendt, Microfin
„Für den Schritt in die Cloud braucht es zunächst einmal den Mut, Dinge auszuprobieren, um sich zu nähern. Dann sollte man diese Reise nicht nur als technologischen Wandel verstehen, sondern auch als organisatorischen und kulturellen Wandel. Dafür gilt es, die Möglichkeiten und einen Rahmen zu schaffen, das Ganze im Sinne eines übergeordneten Changes des Unternehmens zu begreifen. Cloud ist zwar Mittel zum Zweck, aber es ist wesentlich mehr als IT. Um den vollen Mehrwert rauszuziehen, müssen ganz unterschiedliche Unternehmensfunktionen zusammengebracht und mitgenommen werden. Das ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor, um eines der Kernziele in der Cloud zu erreichen: Die Selbstbefähigung des Nutzers.“ - Markus Zappolino, Pure Storage
„Die Cloud-Migration ist dann erfolgreich, wenn ich damit einen Business-Prozess unterstütze, der einen Mehrwert für das Unternehmen hat und auch wirtschaftlich wichtig ist. In diesem ganzen technischen Kosmos muss man immer wieder beachten: Was mache ich als Firma? Was stelle ich her und wie sind meine Vertriebskanäle? Die Pandemie hat klar gezeigt, dass diejenigen, die diesbezüglich nicht vorbereitet waren, katapultartig in die Situation befördert wurden, sich genau damit nun auseinandersetzen zu müssen.“ - Thomas Sandner, Veeam
„Meine drei Tipps für die Reise in die Cloud: Erstens genau überlegen, in welchen Bereichen eine Cloud-Migration sinnvoll ist und welches Modell – IaaS, PaaS oder SaaS – sich am besten dafür eignet. Zweitens: Wegen dem Fachkräftemangel in Deutschland ist es immer noch wichtig, den Nachwuchs zu fördern und vor allem auch den Bestand mitzunehmen. Ansonsten gehen viele in Abwehrhaltung und der Schritt wird nicht erfolgreich. Und das wichtigste zum Schluss: eine vernünftige Backup-Strategie. Denn wenn etwas schief geht, gilt wie immer: Kein Backup, kein Mitleid.“ - Robert Hinzer, Aviatrix
„Kunden müssen sich überlegen, wie sie zukünftig auch ihre On-Prem-Welt betrachten. Häufig ist das eigene Rechenzentrum noch der eine Hub, an den alles angebunden wird. Jede Cloud ist quasi ein Spoke, der mit dem Rechenzentrum kommuniziert. Wir sehen aber, dass hier sehr viele einen Shift of Gravity vollziehen, dass quasi die Cloud der neue Hub ist und das Datacenter nur ein Spoke, das in die Cloud hinein kommuniziert. Natürlich werden gewisse Applikationen weiterhin On-Prem betrieben werden, aber es ist nicht mehr das Zentrum der IT. Dieses verlagert sich zunehmend die Cloud.“
Standard statt goldener Wasserhahn
Vor allem im SAP-Umfeld, in dem Betriebe viel Arbeit und Mühe in das Customizing gesteckt haben, fehlt oft die Bereitschaft, alte Zöpfe abzuschneiden. Das Beispiel SAP zeigt aber auch sehr schön, worin die eigentliche Schwierigkeit der Cloud-Migration liegt: Die Kunden nutzen vielleicht noch zehn bis 20 Prozent des ausgelieferten Business-Standards und haben über Jahrzehnte eine technische Hypothek aufgebaut.
Bleibt der Anspruch, überall einzugreifen und individualisieren zu können, auch in der Cloud bestehen? Wer hier den hundertprozentigen Ansatz verfolgt, wird in der Cloud scheitern. Ist doch die Intention hinter der Cloud-Migration, über einen Trial-and-Error-Pfad das Business weiter zu befähigen, Cloud-Services zu konsumieren. An dieser Stelle herrscht in vielen Unternehmen noch eine Diskrepanz: Die Unternehmensführung will in die Cloud, die Organisation aber wird viel zu zögerlich dafür befähigt.
Damit Unternehmen nicht in der Denkweise des klassischen Outsourcings kleben bleiben, braucht es neben der technologischen auch eine organisatorische und kulturelle Transformation. Ein Change, den man nicht der IT aufs Auge drücken kann, da sich ihre Rolle ebenfalls ändern wird. Wettbewerbskraft von Unternehmen entsteht heute im Wesentlichen durch eine flexible IT, die in vielen Unternehmen bereits zum Kerngeschäft gehört.
Die IT-Organisation entwickelt sich auch immer mehr zu einem elementaren Teil des Go-to-Market statt wie bisher nur interner Service Provider zu sein. Die Fragen, die es sich zu stellen gilt, lauten: Wie weit ist das Unternehmen in der digitalen Transformation? Ist es Anwender oder generiert es auch eigene Services? Auch die Unternehmensgröße spielt eine Rolle. Sind überhaupt die notwendigen Ressourcen verfügbar? Gerade wenn man über Platform as a Service spricht, braucht es Spezialisten und Fachkräfte, die wissen, wie man sich in der Cloud bewegen kann.
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Zum Thema Cloud Migration führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384), René Krießan (rkriessan@idg.de, Telefon: 089 36086 322) und Bastian Wehner (bwehner@idg.de, Telefon: 089 36086 169) gerne weiter. Informationen zur der Studie Cloud Migration finden Sie auch hier zum Download (PDF). |
Cloud braucht einen Kulturwandel
Will man die Menschen mitnehmen, muss man auch in ihre Ausbildung investieren und das Skill-Level auf ein Niveau bringen, das die Mitarbeiter nicht überfordert. Niemand wird über Nacht zum Cloud-Experten. Häufig ist das Management selbst noch nicht auf der Ebene angelangt, auf der es akzeptiert, dass ein Unternehmen auch von den innovativen Ideen junger Mitarbeiter lernen kann. So haben die großen Unternehmen zwar mitunter schon ein junges und sogar internationales Team, das die Cloud-Umgebung betreiben soll. Die allerdings haben kein Verständnis dafür, dass ein Change Request zwei Wochen dauert.
Häufig passen also die Strukturen des Unternehmens nicht zur Geschwindigkeit der Cloud. Und so gilt es auf der einen Seite, die Mitarbeiter dazu zu befähigen, sich in der neuen Welt auch in dieser Geschwindigkeit fortbewegen zu können. Auf der anderen Seite müssen Unternehmen lernen, Strukturen zu bauen, die zu dieser Geschwindigkeit passen, um Mitarbeiter nicht zu frustrieren. Kulturwandel ist ein Balanceakt, bei dem niemand durch Überforderung oder Frustration verloren gehen darf. Um zu prüfen, wo sich neue Möglichkeiten durch die Cloud erschließen, braucht es Mitarbeiter vor Ort, die täglich das Portfolio der Hyperscaler scouten. So werden sich durch die kulturelle Transformation neue Rollen entwickeln, die nicht nur technisch orientiert sind, sondern auch unterschiedliche Disziplinen zusammenführen: crossfunktionale Teams, die sich wechselseitig ergänzen.
Wiedersehen mit den Silos
Die Ökosysteme wachsen mit einer unglaublichen Dynamik. Die Gefahr, dass durch die zunehmende Komplexität erneut Silos aufgebaut werden, besteht nun auf der Applikationsseite. Unter anderem deshalb, weil man sich für den größtmöglichen Benefit von Cloud-Computing zwangsläufig auf einen Anbieter festlegen muss. Genauer gesagt: Man muss sich bewusst einem Anbieter hingeben. Entscheidet man sich also zum Beispiel für einen Cloud-Anbieter aufgrund seiner KI-Services und entwickelt diese dann weiter, lässt sich die Anwendung nicht einfach in eine andere Cloud schieben.
Die Vision, Workloads einfach über Cloudgrenzen hinweg hin- und herschieben zu können, bleibt vorerst eine Illusion - in Wahrheit steckt sehr viel Aufwand dahinter, weil Multi-Cloud nicht vereinheitlicht wird im Sinne von Hybrid-Cloud. Dieses Ziel - Anwendungen managen, überwachen und über die Clouds verschieben zu können - sollte man aber nicht aus den Augen verlieren, da sich sonst die Frage nach dem Benefit stellt.
Eine Single-Cloud-Strategie hingegen kann manches vereinfachen. Allerdings entscheidet hier nicht mehr die IT, sondern das Business gibt die Cloud vor. Die IT muss sich danach richten. Doch die Selbstbefähigung, dort zu sourcen, wo das Businessmodell am besten reflektiert wird, haben bislang nur die wenigsten Unternehmen. Die Tatsache, dass fast alle Unternehmen Cloud Services, mehrere Hyperscaler und auch mehrere Cloud-Business-Modelle in der On-Prem-Welt nutzen, zeigt ganz klar: Die Welt ist hybrid. Und die Kunden wollen weiterhin die Auswahlmöglichkeit, die Flexibilität und die Skalierung über verschiedene Cloud-Liefermodelle hinweg haben und nicht nochmals einen Lock-in erfahren. Den hatten sie schon im Mainframe und später im Outsourcing.
Bei wie viel Prozent steht GAIA-X?
GAIA-X, das europäische Cloud-Projekt für mehr Standardisierung und Flexibilität, könnte hier helfen - falls es nicht wie Cloud Deutschland an der Kostenrealität scheitert. Darüber hinaus liegt das Risiko bei einem Sonderweg auch immer darin, ob die weltweiten Angebote dann auch in Deutschland zur Verfügung stehen. Der Grund: Durch die deutsche Regulatorik und die individuellen APIs, die bereitgestellt werden müssen, können viele Produkte der Hyperscaler, die für den US-Markt entwickelt wurden, in Deutschland entweder nicht so schnell oder gar nicht umgesetzt werden. Angebote individuell anzupassen, ist aufwendig - dafür ist auch der deutsche Markt einfach zu klein.
Datensouveränität ist den Kunden enorm wichtig. Das gilt ebenso für die Kostenkontrolle. Deshalb schauen sie genau darauf, ob GAIA-X dezentrale Cloud-Business-Modelle unter diesen Aspekten ermöglichen kann. Allerdings ist der aktuelle Projektstand für Anwender viel zu intransparent. Wird auch hier gewartet, bis alles zu 100 Prozent miteinander synchronisiert ist, anstatt einfach anzufangen und erste Lösungen anzubieten? Der starke, nachhaltige politische Wille hinter dem Projekt wird sicherlich dazu führen, dass GAIA-X anders ausgehen wird als die deutsche Cloud. Aber auch hier könnte man ein Experiment wagen: mit Kunden gemeinsam mögliche Business-Modelle eruieren und anhand eines MVP den angestrebten Return prüfen. Eine achtzigprozentige Lösung, mit der man durchaus schon einmal losgaloppieren könnte.
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