Der Begriff "Token Economy" findet in der Literatur in zweifacher Hinsicht Niederschlag. Zum einen bezeichnet er ein Verfahren aus der Verhaltenstherapie: Hierbei werden Wertmarken (englisch Token) zur Verhaltensänderung eingesetzt. In der freien Wirtschaft werden diese Wertmarken in Form von Eigentumsrechten, Zahlungsmitteln oder Nutzungsrechten zwischen Marktteilnehmern ausgetauscht. Dieser Artikel bezieht sich auf letzteren Zusammenhang und die potenziellen und realen Auswirkungen von Token-Systemen im Wirtschaftskreislauf.
Doch beginnen wir mit einem bildlichen Gleichnis für Token. Weder die Form, noch das Material oder der repräsentierte Wert einer Wertmarke sind vorgegeben. Das Prinzip machten sich die Eisenbahner bereits in den frühen Jahren des dampfenden Stahlrosses zu eigen: Damals gab es noch viele eingleisige Strecken, keine Fahrsignale oder gar Stellwerke. Stattdessen repräsentierte eine Münze einen eindeutigen Streckenabschnitt zwischen zwei Bahnhöfen. Vor der Abfahrt holte sich der Lokführer einfach die entsprechende Wertmarke und gab sie im nächsten Bahnhof wieder ab. Der Effekt ist so simpel wie sicher: Nur der Zug mit der Wertmarke durfte die Strecke befahren, um Kollisionen zu verhindern. Die Schlichtheit der Funktion ist bis heute gültig. Die Repräsentanz für einen genau spezifizierten Wert darf es nur einmal geben und sie kann auch nur von einer Person gehalten werden.
Token-Systeme in der Wirtschaft
In der Wirtschaft wird nicht selten für den Austausch von Vermögensgegenständen ein vertrauenswürdiger und unabhängiger Dritter benötigt, kurz TTP (Trusted Third Party). Dieser Umweg birgt jedoch nennenswerte Nachteile wie höhere Kosten, längere Verarbeitungszeiten und letztlich eine Bruchstelle im System. Innovative Konzepte drehen sich daher um eine höhere Automation und die Dezentralisierung dieser TTPs. Ein vielversprechendes Konzept bietet die Blockchain mit dem wohl bekanntesten Token Namens Bitcoin.
Ein Bitcoin ist eine Repräsentanz für - zum Beispiel - Euro. Wie im Beispiel mit dem Lokführer kann der Besitzer eines Bitcoins dessen Besitz nachweisen, ihn übertragen und gleichzeitig sicher sein, dass es seinen Bitcoin nicht irgendwo im System nochmal gibt. Die Blockchain funktioniert hier sowohl als Kontoführung, als auch TTP – mehr zur Funktionsweise lesen Sie hier.
Als Wertmarke besitzt der Bitcoin nur eine sehr limitierte Anwendung, ganz im Gegensatz zu den vielseitigen Möglichkeiten anderer Blockchain Tokens. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin definiert Tokens als digitalisierte Form von Vermögenswerten. Als Tokenisierung bezeichnet man die digitalisierte Abbildung eines (Vermögens-)Wertes, inklusive der in diesem Wert enthaltenen Rechte und Pflichten sowie deren hierdurch ermöglichte Übertragbarkeit. Die Bandbreite der Funktionalitäten unter den digitalen Tokens kann auf vier Sektoren subsummiert werden:
Token als digitale Entsprechungen eines Wirtschaftsguts oder Vermögenswertes
Token als Berechtigungsschlüssel in Netzwerken
Token als Entsprechungen für Dienstleistungen
Token für Authentifizierungszwecke
Letztlich identifiziert man mit Hilfe eines Tokens Rechte und Pflichten und kann sich gleichzeitig als der rechtmäßige Inhaber legitimieren. Es wird unterschieden zwischen fungiblen und nicht handelbaren Tokens:
Fungibilität bedeutet, dass ich einen 50 Euro Schein mit einem anderen 50 Euro Schein austauschen kann. Beide Tokens repräsentieren das Gleiche, sie sind austauschbar.
Das Gegenteil nennt sich NFT (Non-fungible Token) und erfährt in den letzten Wochen und Monaten einen kometenhaften und öffentlichkeitswirksamen Aufstieg. Kunststücke, exklusive Videoschnipsel aus Filmen oder Musikrechte können nun mit dieser Art von Wertmünzen verknüpft und somit rechtlich abgesichert werden.
Token-Use-Case NFT
Die Vorstufe der heutigen NFTs waren sicherlich die CryptoKitties. Im Oktober 2017 veröffentlichte das kanandische Unternehmen Dapper Labs eine Testversion. Die virtuellen Katzen konnten sich paaren und ihre 256-Bit-DNA entsprechend vererben. Die Attribute reichten von Augenfarbe bis Mundform. Bereits im Dezember desselben Jahres erzielte eine digitale Katze einen Verkaufspreis in Höhe von 117.000 US-Dollar.
Seitdem entwickelten sich an vielen Stellen digitale Sammlerstücke unterschiedlicher Art. Die NBA digitalisierte Sammlerkarten mit den schönsten „Dunks“ ihrer Athleten, Netflix versteigerte einmalige Filmszene ihrer Eigenproduktion oder Musiker wie Eminem und Kings of Leon veröffentlichten digitale Kunstwerke. Für die breite Öffentlichkeit wurden NFTs mit der Versteigerung des Kunstwerks "Everday: The first 500 days" ein Begriff. Die Arbeit des Künstlers Beeple wurde beim renommierten Auktionshaus Christie's in London für sage und schreibe 69 Millionen Dollar versteigert.
All das beweist nachdrücklich die Sicherheit des dezentralen Netzwerks gegen Hackerangriffe oder Manipulationen. Schließlich vertrauen die Künstler wie auch die Käufer darauf, dass die Besitzverhältnisse zuverlässig und unveränderbar dokumentiert sind.
Token Economy am Finanzmarkt?
Die Akquise von Fremdkapital am Finanzmarkt verläuft bis heute in Form eines sehr bürokratischen Aktes. Als im Jahr 2017 viele Krypto-Projekte Geld suchten, etablierten sich damals sogenannte ICOs (Initial Coin Offerings), direkt abgeleitet vom Börsenbegriff IPO für die Kapitalaufnahme über Aktien.
Dabei hat die digitale Variante Vorteile. Neben dem schnelleren Prozess und dem Transfer des eingezahlten Kapitals, können auch sogleich Stimmrechte an die Tokens geknüpft werden. Wer schon mal auf einer Aktiönärsversammlung war, ahnt, wie hoch der Bürokratieabbau dank dieser Technologie wäre. Bleiben wir beim Thema Aktien. Der Börsenhandel verläuft aktuell zwischen den Börsenplätzen und Banken mit der Clearingstelle als TTP. Diese Institution ist der vertrauensvolle Dritte, der über das Aktienregister wacht.
Blendet man alle Regulierung für eine Sekunde mal aus, dann geht es doch schlicht darum, eine verlässliche Datenbank zu führen, in der die Bewegungen der An- und Verkäufe der Aktien zuverlässig und transparent dokumentiert werden. Tokenisiert man Aktien und registriert deren Transaktionen auf einer Blockchain ist diesem Anspruch genüge getan. (bw/fm)