Cisco-Chef im Interview

Ein Jahr Pandemie – was haben wir daraus gelernt?

15.03.2021
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Wie hat sich die IT in einem Jahr Pandemie verändert? Und was haben wir daraus gelernt? Darüber diskutiert Cisco-Geschäftsführer Uwe Peter mit CW-Redakteur Jürgen Hill.
Ein Jahr Pandemie hat die IT zu einer der Lebensadern der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft gemacht.
Ein Jahr Pandemie hat die IT zu einer der Lebensadern der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft gemacht.
Foto: Corona Borealis Studio - shutterstock.com

Uwe Peter, Geschäftsführer und Vice President Cisco Deutschland, blickt im CW-Interview kritisch auf die Herausforderungen und Erfolge der letzten zwölf Monate zurück - und gibt einen Ausblick auf die (technologische) Zukunft. Welche Lehren können wir für die IT aus einem Jahr Pandemie ziehen?

"Dass Deutschland Krise kann, haben wir bewiesen"

Wir haben jetzt ein Jahr Pandemie hinter uns. Wo steht die IT nach einem Jahr Corona, beziehungsweise was haben wir gelernt?

Uwe Peter: Ich unterteile das letzte Jahr in zwei verschiedene Erlebnisphasen. Zuerst war die spontane Krisenbewältigung angesagt. Da hat in Deutschland die IT gefühlt wie die Feuerwehr losgelegt und auch viele Menschen in anderen Berufsgruppen sind über sich hinausgewachsen. Wir können zu Recht sagen, die IT wurde zur Lebensader für Wirtschaft und Gesellschaft. In der zweiten Phase, die für mich im Herbst begann, hatten wir Zeit zur Reflexion und zu überlegen, wo wir eigentlich mittel- bis langfristig hinwollen. Wir sollten uns nicht mit mittelmäßigen Pflasterlösungen zufriedengeben, zumal wir aus der Pandemie ja auch einige Lehren ziehen können.

Welche Lehren wären das?

Peter: Ich verweise hier gerne auf das, wie ich es nenne, "magische Dreieck der Digitalisierung", das aus Wohlstand, Nachhaltigkeit und Chancengleichheit besteht. In Sachen Wohlstand und der damit verbundenen Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit durch Digitalisierung haben wir im Schnitt wirklich einen guten Job gemacht. Die Wirtschaftsleistung ist unter den gegebenen Umständen überraschend stabil geblieben, das Bruttoinlandsprodukt hat nur eine vergleichsweise kleine Delle bekommen. Natürlich gibt es viele Berufsbereiche, die es hart getroffen hat - aber in Summe haben wir uns sehr gut geschlagen. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie es zu analogen Zeiten während eines monatelangen Lockdowns ausgesehen hätte.

Der zweite Eckpunkt des Dreiecks ist die Nachhaltigkeit, denn es ergibt keinen Sinn, wenn wir zwar wirtschaftlich erfolgreich sind, aber unsere Umwelt nicht erhalten. Ich erinnere nur daran, dass die Bundesregierung im Januar 2020 unser Klimaziel, den CO2-Austoß um 40 Prozent zu reduzieren, kassiert hat und sagte, dass lediglich 35 Prozent realistisch seien. Und was ist passiert? Wir haben sogar 42 Prozent geschafft. Dazu hat nicht nur der schonendere Umgang mit Ressourcen seinen Teil beigetragen, sondern auch die starke Nutzung von Heimarbeitsplätzen. Auch hier können wir uns ein gutes Zeugnis ausstellen.

Cisco-Geschäftsführer Uwe Peter.
Cisco-Geschäftsführer Uwe Peter.
Foto: Cisco

Schwierigkeiten sehe ich dagegen beim dritten Punkt, der Chancengleichheit. Nicht umsonst hat das Weltwirtschaftsforum in diesem Jahr zum ersten Mal die digitale Spaltung in seine Liste der fünf Kurzzeitrisiken für die Menschheit aufgenommen. Eine repräsentative Umfrage, die wir in Deutschland durchführten, kommt zu dem Ergebnis, dass zwar 13 Prozent glauben, die Chancengleichheit habe sich in den letzten zwölf Monaten verbessert. Umgekehrt sagen 66 Prozent, dass die neuen digitalen Möglichkeiten in den vergangenen Monaten zu ungleicheren Chancen geführt haben. Hier müssen wir also definitiv Dinge verbessern, um die digitale Spaltung zu verhindern. Oder anders formuliert: Dass Deutschland Krise kann, haben wir bewiesen - jetzt müssen wir für Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit sorgen.

Was schlagen Sie konkret vor?

Peter: Für mich gibt es zwei Ebenen: die IT und die Gesellschaft. In der ersten Phase lag bei der IT der Fokus ganz klar auf der Resilienz - es wurden neue Netzzugänge gebaut, Heimarbeitsplätze angelegt etc. In den letzten Monaten sehen wir im Investitionsverhalten der Anwender einen klaren Wandel der Ausrichtung auf Automatisierung. Dazu zählen Technologien wie Wi-Fi 6, der neue WLAN-Standard. Hier investiert die deutsche Industrie momentan massiv. Derzeit nehmen wir gemeinsam mit den Industriekunden zehntausende von diesen Access Points pro Quartal in Betrieb. Dieser Umschwung funktioniert, genauso wie Security-Initiativen. Zudem sind wir tief in der Diskussion zum Heimarbeitsplatz der Zukunft. Eine Verbindung zu schalten und einen Software-Client zu nutzen - reicht nicht aus, das ist mittelmäßiges Homeoffice, das wir nicht akzeptieren dürfen. Hier müssen wir den Krisenmodus verlassen.

Die digitale Spaltung droht

In Sachen Gesellschaft sprachen Sie von einer drohenden digitalen Spaltung. In welchen Punkten sehen die Teilnehmer Ihrer Umfrage den größten Handlungsbedarf?

Peter: Für 52 Prozent der Deutschen ist die Bildung der Bereich, in dem Technologie am meisten zur Chancengleichheit beizutragen hat. Die Bildung hinzubekommen, ist für die Deutschen also enorm wichtig. Die Angst, dass die eigenen Kinder abgehängt werden und damit auch wir unsere Zukunft ein Stück weit verspielen, ist greifbar. Schaut man sich im Detail an, was bemängelt wird, dann gibt es nach wie vor Probleme mit den Zugangsnetzen. Prozentual gesehen ist das kein riesengroßes Problem, da liegen wir bei den üblichen 30 Prozent im ländlichen Raum. Natürlich sind 30 Prozent zu viel, aber sechs von zehn Deutschen sagen, sie fühlen sich persönlich nicht auf dem neuesten Stand der Technik. Wir müssen also aufpassen, dass diejenigen, die nicht gut ausgestattet sind, den Anschluss nicht verlieren. Die größte Herausforderung ist jedoch, dass es kein einheitliches digitales Lernkonzept gibt, also keine einheitliche Plattform. Hier wird sehr viel improvisiert, weshalb die Unterschiede von Schule zu Schule und von Bundesland zu Bundesland sehr groß sind.

Also liegt der Fehler in der föderalen Struktur des Schulwesens, oder was ist zu tun?

Peter: Ich persönlich bin ein Freund der föderalen Struktur im Bildungswesen. Die Herausforderung ist, dass wir darunter eine einheitliche technische Grundlage brauchen. Jede deutsche Firma, die global agiert, macht sich Gedanken darüber, wie sie ihre Patente und ihr Entwicklungs-Know-how schützen kann. Dafür nutzen sie globale, industrielle Plattformen, die sehr gut gesichert sind. Nehmen Sie nur etwa Webex aus unserem Hause. Mit den Anwendern gehen wir genau durch, wie die Sicherheitstechnologie aussieht, wie es um DSGVO bestellt ist, wie der Datenschutz realisiert ist, etc.

Im Schulbetrieb werden in einigen Bundesländern genau diese global etablierten, in Sachen Sicherheit vom BSI testierten Plattformen, auch für die Bildung genutzt werden. Andere Bundesländer hingegen sind der Meinung, sichere Lösungen wären nur solche, die in einem heimischen Rechenzentrum als eine eigene Lösung gebaut wurden - und improvisieren. Die fangen dann mal an zu basteln. Hier frage ich: warum reicht es nicht, auf Lösungen zu setzen, die bereits von unzähligen Firmen vor dem Einsatz auf ihre Sicherheit untersucht wurden? Könnte eine Schule damit nicht auch einen sauberen Unterricht durchführen? Die Herausforderung in Deutschland ist, eine einheitliche Lösung zu entwickeln, die tragbar, zuverlässig und schnell ist.

Cisco Connect

Das magische Dreieck der Digitalisierung und die Frage, was IT in Deutschland zur Wettbewerbsfähigkeit, der Wahrung des Wohlstands und zur Chancengleichheit betragen kann, wird Cisco auch im Rahmen seiner digitalen Hausmesse „Cisco Connect“ am 16. März diskutieren. Mit von der Partie sind z.B. Siemens-Vorstand Digital Industries Cedrik Neike, oder Claudia Nemat, Vorstand Technik und Innovationen bei der Deutschen Telekom. Nemat wird zudem etwas in den Bereich Utopie hineinschauen und aufzeigen, was in den nächsten 20 Jahren passieren könnte. Außerdem im Programm zahlreiche Breakout-Sessions mit digitalen Machern, die über ihre praktischen Erfahrungen im Alltag berichten. Interessierte können sich hier kostenlos registrieren.

"Wir sollten keine Mittelmäßigkeit akzeptieren"

Sie sprachen in Sachen Homeoffice davon, dass es nicht mehr reicht, einfach für Access und einen Software-Client zu sorgen. Welchen anderen Weg schlagen Sie vor?

Peter: Der Riss in Deutschland geht nicht nur durch die Branchen - etwa dass die Unterhaltungsindustrie schließen muss, während die Automobilkonzerne normal weiterarbeiten. Der Riss geht vielmehr durch jede einzelne Firma. So arbeiten etwa die Marketingabteilung oder der Vertrieb einer Automobilfirma zu hundert Prozent anders als noch vor einem Jahr: Sie können keine Kunden mehr besuchen, keine Veranstaltung mehr ausrichten, müssen auf reale Events verzichten, benötigen andere Mailings mit veränderter Kundenansprache. Der Riss geht also durch jede Firma und wir sehen die Gefahr, dass sich in diesen Firmen eine Dreiklassen-Gesellschaft entwickelt.

Es gibt also Leute, die fahren immer noch ins Büro, weil es inzwischen Testkonzepte gibt und sie vor Ort sein sollen; dann gibt es Personen, die eine gute Ausstattung zu Hause am Heimarbeitsplatz mit hoher Bild- und Sprachqualität und eigenen Videoendpunkten haben. Gleichzeitig gibt es die dritte Klasse, die ganz schlecht angeschlossen ist - etwa nur über eine mehr oder weniger gute Handyverbindung. Nun nehmen alle an einem Meeting teil - hier wird schnell deutlich, wer Herausforderungen hat sich einzubringen oder die Inhalte mitzubekommen. Wir sollten hier keine Mittelmäßigkeit akzeptieren. Wenn wir sie dennoch akzeptieren, dann werden wir einen hohen Preis in Form von Produktivitätsverlusten, inneren Kündigungen etc. bezahlen.

Lag zu Beginn der Krise der Fokus auf der Resilienz, stehen nun Investitionen in die Automatisierung auf der Agenda.
Lag zu Beginn der Krise der Fokus auf der Resilienz, stehen nun Investitionen in die Automatisierung auf der Agenda.
Foto: Gorodenkoff - shutterstock.com

Sie sprachen vorher auch das Thema Automatisierung an, wo drückt die IT hier der Schuh im Frühjahr 2021?

Peter: Die IT ist aus meiner Sicht schon überwiegend sehr gut aufgestellt. Durch den hohen Automatisierungsgrad war sie im letzten Jahr sehr flexibel und konnte viele der Probleme schnell und gut lösen. Jetzt kommen aber auf die IT neue Herausforderungen zu. So gibt es eine Studie, die prognostiziert, dass in den nächsten drei Jahren global 500 Millionen neue Apps auf den Markt kommen. Die Schwellen, Apps zu programmieren, werden immer geringer. Cedrik Neike, Vorstand Digital Industries bei Siemens, wird dies bei der Cisco Connect Germany in Form von "Low Code" und "No Code" ansprechen. Die Firmen sollen in die Lage versetzt werden, ihr Kern-Know-how direkt in eine App zu gießen, ohne dass sie IT-Fachwissen haben. Wir sehen das heute klarer denn je, da in der Pandemie Dienstleistungs-Services von Firmen über Apps konsumiert werden - das wird so bleiben.

Letztlich werden Applikationen das Rückgrat von vielen Firmen. Es ist eine Riesenherausforderung, diese Fähigkeit, solche Apps schnell und sicher zu programmieren und stabil zum Laufen zu bekommen. Dann sehe ich die hybride Cloud, die jeder IT-Dienstleister, jede IT-Abteilung dem internen Geschäft zur Verfügung stellen muss, denn als Unternehmen brauche ich die globale Skalierung, die globale Verfügbarkeit und die globalen Tools. Gleichzeitig muss die IT dem Unternehmen drei Dinge garantieren können: Service, Sicherheit und das Kostenmanagement dafür. Hier gab es während Corona oft ein böses Erwachen, als Firmen feststellten, dass sie in neue Abhängigkeiten geraten sind und aus dem Hyperscaler ihrer Wahl nicht mehr herauskamen. Viele Firmen stellten beim Hochskalieren der Applikationen dann noch fest, dass es viel teurer wurde, als vorher geplant.

Was war denn in der Krise wichtiger - die IT- oder OT-Automatisierung voranzutreiben?

Peter: Wir haben gesehen, dass in Unternehmen, deren IT automatisiert war, die Anpassungen an Corona fast immer reibungslos funktioniert haben. Wir haben mit unseren Partnern vor Ort viele Nachtschichten geschoben. Immer dort, wo Netze noch manuell konfiguriert wurden, Rechenzentren manuell erweitert wurden, oder Security Policies manuell zu erweitern waren. Wenn wir unsere Daten über die Kundeninvestitionen betrachten, dann sehen wir einen klaren Wandel weg von den Ausgaben in die Erweiterung der Kapazitäten hin zur Automatisierung und dem Zukunftsausbau in der IT. Das wird die IT leisten, ein guter Teil des Marktes hat bereits automatisiert und Hersteller und Anwender wissen, wie es geht. Das ist keine Herausforderung.

Anders sieht es in der OT aus, eine Produktionsstraße lässt sich nicht von heute auf morgen automatisieren. Da gibt es viele Insellösungen, die heute für die Fernwartung einzelner Systeme oder einzelner Produktionszellen genutzt werden. Der Mehrwert unserer Datenschätze liegt genau darin, dass wir diese Inseln miteinander verbinden. Damit geraten wir aber in ganz neue, ungeahnte Sicherheitsherausforderungen, die in der Vergangenheit so in der OT nie berücksichtigt wurden. Es muss zur Verschmelzung von IT und OT kommen, denn die IT weiß, wie man große Netze baut, die automatisiert sind und inhärent von Tag Eins an sicher geplant sind.

"Ein unfassbarer Schatz an Möglichkeiten"

Sie sprachen viel von den Vorzügen der Automatisierung. Aber braucht es nicht vor den Hintergrund der 500 Millionen neuen Apps, die uns erwarten, neue KI-gestützte Tools, um eine Automatisierung überhaupt noch realisieren zu können?

Peter: KI-gestützte Algorithmen sind in fast allen Lösungen bereits integriert. In der Sicherheitstechnik setzen wir beispielsweise ganz klar auf KI, um Angriffsmuster weltweit zu analysieren, um Verteidigungspläne und -mechanismen zu entwickeln und automatisiert zur Verfügung zu stellen. Nehmen Sie nur unsere Cisco-IT. Als Unternehmen mit über 70.000 Mitarbeitern zählen wir pro Tag rund um die 500 Millionen Angriffe - ein typischer Wert für Unternehmen dieser Größenordnung. Dementsprechend ist unsere Angriffsanalyse hochautomatisiert und nur 20 Angriffe erfordern manuelle Eingriffe oder Analysen. Ohne künstliche Intelligenz funktioniert die Abwehr nicht. Zumal durch die Verlagerung der Arbeitsplätze ins Homeoffice neue Angriffsmuster entstanden sind. Hierzu brauchen Sie eine Anomalieerkennung des Verkehrsaufkommens - idealerweise im Edge und ergänzend, wenn die Anwender es wünschen, direkt auf den Endgeräten zuhause. Dies geht nur mit der Hilfe von künstlicher Intelligenz, also einer maschinellen Auswertung.

Sie erwähnten vorhin Siemens. Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser vertrat bei seinem Ausscheiden die Ansicht, dass Deutschland bei der Digitalisierung gescheitert sei. Teilen Sie seine Ansicht?

Peter: Digitalisierung ist ein Prozess. Aus meiner Sicht müssen wir uns in Deutschland immer wieder klar machen, was für einen riesigen Datenschatz wir besitzen. Sicher, wir haben in Deutschland das Business mit privaten Daten verschlafen und werden hierzulande kein zweites Facebook kreieren. Aber in Sachen Industriedaten sind wir führend. Wir haben SAP, wir haben eine Siemens Digital Industries, die heute jede dritte Maschine auf der Welt automatisiert und digitalisiert. Wir haben die Bosch-Gruppe, die wahrscheinlich mehr als jede andere Firma der Welt über Motoren weiß. Wir haben die drittgrößte Roboterdichte auf der Welt nach Singapur und Südkorea. Diese starke Position wird uns so schnell keiner nehmen - und damit haben wir einen unfassbaren Schatz an Möglichkeiten.

Aber es ist Eile geboten, denn am Ende ist auch entscheidend, wie man die App zum Kunden bringt, der diese Daten dann nutzt. Natürlich besteht die Gefahr, dass Firmen die viel weniger Daten haben, diese aber besser aufarbeiten, sich eine andere Weltmarktposition erobern und damit unsere Firmen in Bedrängnis bringen. So haben ja auch wir in unserem Digital Readiness Index 2019 darauf hingewiesen, dass Deutschland als international führendes Industrieland Gefahr läuft, abgehängt zu werden. So machen wir zwar Fortschritte, aber andere Länder sind schneller.

An dieser Stelle muss ich noch einmal die Digitalisierung der Schulen nennen. Es kann nicht sein, dass wir das nicht schaffen und zwei bis drei Jahre verlieren, während andere Länder die Digitalisierung des Bildungswesens mit Leichtigkeit stemmen. Ich sehe aber auch positive Dinge wie etwa den Digitalpakt, durch den Mittel von fünf Milliarden Euro zur Verfügung gestellt wurden. Wurden davon vor einem Jahr lediglich 20 Millionen abgegriffen, so sehen wir jetzt, dass die aufgestockten Mittel auch genutzt werden. Oder nehmen Sie das neue Zukunftsgesetz zur Digitalisierung der Krankenhäuser, für das drei Milliarden Euro bereitgestellt werden. Viele Krankenhäusern und Gesundheitsträger wollen jetzt nachrüsten und vorankommen. Wenn die Pandemie etwas Positives hat, dann die Hoffnung, dass wir nie wieder den Fokus auf die Digitalisierung verlieren. Nur mit Digitalisierung und IT können wir das magische Dreieck aus Wohlstand, Nachhaltigkeit und Chancengleichheit Realität werden lassen.

Deutschland hat zwar die drittgrößte Roboternutzung, doch bei der Nutzung der Daten ist Eile geboten.
Deutschland hat zwar die drittgrößte Roboternutzung, doch bei der Nutzung der Daten ist Eile geboten.
Foto: Jenson - shutterstock.com

Sie fordern von den Unternehmen mehr Geschwindigkeit bei der Digitalisierung. Wo genau müssen sie ansetzen?

Peter: In den Bereichen, in denen es darum geht, Prozesse zu digitalisieren, haben die deutschen Unternehmen Geschwindigkeit aufgenommen. Bei der linearen Digitalisierung sind wir gut aufgestellt. Anders sieht es bei der disruptiven Digitalisierung - etwa dem Thema Datenschätze - aus. Hier müssen wir aufholen. Wie können wir diese Daten nutzen, damit die Maschinen, die wir heute bauen, auch morgen noch ein Exportschlager sind? Nämlich weil sie diese Daten sinnvoll und gewinnbringend für den Nutzer verwenden. Aus diesen Daten müssen wir Informationen extrahieren und letztlich Entscheidungsoptionen für die Anwender entwickeln. Das muss für mich Deutschlands Digitalisierungsstrategie sein. Wir brauchen keine Firmen, die die nächsten Großrechner entwickeln oder Milliarden in die Grundlagenforschung investieren. Wir müssen das IT-Know-how fokussieren, um die Digitalisierung unserer heute erfolgreichen Kernindustrie voranzutreiben.

"Unsere Kernindustrien gehören digitalisiert"

Also nicht den vertanen Chancen im B2C-Bereich nachweinen, sondern sich auf das B2B-Geschäft konzentrieren?

Peter: Ich sehe auch im B2C-Bereich Chancen. Allerdings sollten wir in Deutschland zwei Dinge nicht tun. Das eine ist Grundlagenforschung an PCs, Prozessorchips, Routern, Switches oder ähnliches. Da werden wir den heutigen Stand der Technik nie aufholen. Und wir haben den Zug in Sachen Social-Media-Plattformen verschlafen. Auf der anderen Seite glaube ich, dass es im Bereich der Apps und Dienstleistungen im B2C-Bereich viele Möglichkeiten für uns gibt. Unter den 500 Millionen Apps, die in den nächsten drei Jahren geschrieben werden, wird es viele tolle Ideen aus der deutschen Lebenswirklichkeit heraus geben. Hier gibt es große Chancen für uns, weil wir Datenschutz besser verstehen als andere. Und unsere zum Teil andere Altersstruktur eröffnet ebenfalls Chancen, Dinge für unsere Bevölkerung zu entwickeln, die dann wiederum global sehr interessant sein können. Aber in der Tat, unsere Kernindustrien, die uns heute den Wohlstand sichern, die gehören alle digitalisiert.

Apropos Datenschutz, leisten wir uns im Gesundheitswesen teilweise nicht zu viel Datenschutz wie bei der Corona-App, die zwar die Daten schützt, aber nicht die Menschen?

Peter: Im Gesundheitswesen haben wir schon sehr kritische Daten. Wir sehen gerade während der Pandemie, dass über 90 Prozent der Attacken auf das Gesundheitswesen Ransomware-Angriffe auf die Krankenhäuser sind, um diese zu erpressen. Die Angreifer interessieren sich zwar nicht für die einzelnen Patientendaten, aber man sieht, wie verwundbar das System an sich ist. Und da es um Leben und Tod geht, sind das sehr lohnende Ziele für Cyberkriminelle. Deshalb sollten wir hier sehr vorsichtig sein und den Sicherheits-, Gesundheits- und Datenschutz oberste Priorität einräumen. Deshalb finde ich es gut, was die Regierung gemacht hat: Von den vier Milliarden, die den Krankenhäusern für Digitalisierung zur Verfügung gestellt werden, müssen in jedem Projekt 15 Prozent für IT-Sicherheit ausgegeben werden. Ich finde, das ist ein toller, innovativer Ansatz. Die größten Herausforderungen sind aber häufig kleinere Kliniken, weil hier das Know-how fehlt. Hier sollten wir keine Kompromisse machen, sonst verlieren wir die Bevölkerung ganz schnell.

Was schwebt Ihnen dann vor? Eine bundeseinheitliche Plattform oder, dass etwa größere Krankenhäuser eine IT-Patenschaft für kleinere Häuser übernehmen?

Peter: Zunächst fände ich es gut, wenn wir uns auf Prinzipien der Digitalisierung einigen würden. Aus meiner Sicht sind das drei Themen: Wir brauchen ein kontinuierliches Cyber- und Risikomanagement. Das muss in jeder Klinik etabliert sein, so wie es heute in jeder Firma einen Datenschützer gibt. Dann brauchen wir Automatisierung. Es kann nicht sein, dass in Krankenhäusern die schwächste IT aufgebaut ist, die zudem manuell ist. Wir verlieren dadurch Handlungsspielräume.

Die IT muss modern automatisiert werden, denn dann sind auch Security und Datenschutz kein Bremsklotz, sondern werden zu Enablern. Ich fände es gut, wenn wir hierzu eine bundesweite Initiative hätten. Dies sollte aber kein Beraterzyklus sein, der Jahre braucht, sondern eine Taskforce, ein Krisenstab, der schnell und pragmatisch handelt. Es ist offensichtlich, was IT im Gesundheitswesen leisten kann, da gibt es ja kein Erkenntnisproblem. Deshalb brauchen wir einen Krisenstab, der bei der Implementierung der notwendigen Schritte Vollgas gibt.