Intelligenz ist nicht so teuer
Auch Daniel Holz, Leiter Vertrieb Manufacturing & Automotive und Mitglied der Geschäftsführung SAP Deutschland, hält solche Leuchtturmprojekte für zukunftsweisend. Er sagte auf einer Podiumsdiskussion der Messe IT & Business im September dieses Jahres in Stuttgart: "Im Kontext von Industrie 4.0 geht es darum, die Produkte der Fertigungsindustrie intelligent zu machen. Nicht intelligent als individuelle Maschine - das gibt es schon lange. Sondern vernetzt intelligent, mit anderen Maschinen, Systemen und Menschen. Als Teil der sogenannten Smart Factory."
Intelligente Kommunikation muss dabei nicht teuer sein. Die Daten gibt es meistens bereits. Allerdings ist die Umsetzung von Echtzeitprozessen in der Praxis nicht ganz so einfach. Intelligenz in Prozessen und Produkten verlangt nach dem Erfassen, Vernetzen und Auswerten von Massendaten aus unterschiedlichen Quellen in Echtzeit. Der Blick in die Unternehmenspraxis zeigt, dass es hier einigen Optimierungsbedarf gibt.
Ein Problem ist, dass zwar bei modernen Maschinen prozessrelevante Daten an der Maschine digital vorliegen, es aber noch an Standards fehlt, um die wachsende Zahl der mit Sensoren erfassten Zustände von Materialien, Anlagen und Umwelt systemübergreifend kommunizierbar und auswertbar zu machen.
Hinzu kommt, dass an vielen Abläufen auch ältere Maschinen und Anlagen beteiligt sind, die das benötigte Datenmaterial nicht oder nicht in der nötigen Geschwindigkeit bereitstellen. So gehört es beispielsweise in der Logistikbranche heute zu den Standardanforderungen, dem Kunden ein Tracking zu ermöglichen, ihm also auf Wunsch jederzeit anzugeben, wo sich seine Sendung gerade befindet.
Telematikanbieter stellen dafür Flotten-Management-Lösungen bereit, die dem Spediteur neben den GPS-Daten seiner eigenen Lkws auch Informationen über Staus auf der Strecke liefern und deren Auswirkungen auf die Ankunftszeit errechnen. Auf der "letzten Meile" jedoch, wo häufig Kleintransporter oder Pkw von Subunternehmern genutzt werden, fehlt diese Transparenz häufig, weil die Fahrzeuge nicht über eine entsprechende Ausrüstung verfügen.
- Big Data in Zahlen
Karl Valentin hat einmal das Bonmot geprägt, schwer sei leicht was. Das kann man für den Trend Big Data mit Sicherheit auch behaupten. Sinnvoll in der Theorie, schwer in der Realisierung. Wir liefern ein paar Fakten. - Welche Probleme sehen Sie beim Einsatz von Big Data?
Big-Data-Konzepte werden nicht vorangetrieben, weil es an den richtigen Skills fehlt.<br> Angaben in Prozent; n = 206; Mehrfachnennungen möglich; Quelle: BARC
Echtzeit ist relativ
Hier beginnt die zweite große Aufgabe auf dem Weg zu einer Echtzeitwirtschaft: die Vernetzung der Daten. Daran sind verschiedene Ebenen der IT- und Kommunikationsinfrastruktur beteiligt, wie Rüdiger Spies, Industry Analyst bei Pierre Audoin Consultants (PAC), erläutert: "Wenn Prozesse in Echtzeit laufen sollen, muss auch die Übertragung der Daten in Echtzeit erfolgen. Dabei spielt die Entfernung zwischen Komponenten, die am laufenden Prozess beteiligt sind, immer noch eine wesentliche Rolle."
Ein weiterer Einflussfaktor sei die Art der Übertragung. Je nachdem, ob per Funk oder Kabel, unterscheiden sich die Verbindungen nicht nur in der Bandbreite, sondern auch in ihrer Ausfallsicherheit. Darüber hinaus gilt es zu beachten: Echtzeit ist nicht gleich Echtzeit. So gelten die bei einer Suchmaschinenanfrage üblichen Antwortzeiten von einer halben Sekunde den meis-ten Benutzern als Echtzeit, während dieser Begriff bei Mikrobohrungen in der Fertigung von Einspritzdüsen für Verbrennungsmotoren eine Spanne von wenigen Nano-sekunden bezeichnet.
Vor diesem Hintergrund werden auch die Unterschiede in der Nutzung von Echtzeitanalysen durch Unternehmen verständlich, so Spies: "In der Fertigung fungiert die Echtzeitanalytik hauptsächlich als Werkzeug für die Überwachung der Prozesse. Anders in der Bank: Hier werden bereits heute Daten in Echtzeit auf Unregelmäßigkeiten hin analysiert, um potenziell missbräuchliche Nutzung von Kreditkarten zu unterbinden."
Was übrigens Daten "big" macht, ist nicht ihre Menge, sondern der Nutzen für den jeweiligen Prozess. So etwa im Straßenverkehr der Zukunft, wie Wolfgang Martin ihn sieht: "Da kommunizieren die Autos als intelligente Produkte untereinander und tauschen Informationen so aus, dass etwa beim Bremsen nachfolgende Autos automatisch mit abgebremst werden - ohne dass sich der Abstand verringert."
Ein weiteres Problem der Echtzeitwirtschaft besteht in der Menge unterschiedlicher Datentypen im Unternehmen. Insbesondere die Verknüpfung von strukturierten und unstrukturierten Daten spielt hier eine Rolle. Mit herkömmlicher Datenbanktechnik ist dies nicht zu bewerkstelligen - vielmehr ist dafür In-Memory-Technik erforderlich, die den Einsatz von 64-Bit-Prozessoren voraussetzt. In Anwendungsunternehmen gehört diese Technik noch nicht zum Standard.
Mit Industrie 4.0 vor dem Umbruch
In-Memory-Technik ist auch deshalb noch wenig verbreitet, weil viele Firmen vor der Anschaffung neuer Hardware alternativ über den Bezug von Infrastructure as a Service nachdenken. Aus Sicherheitsbedenken verzögern sie dann Investitionen, die sie auf dem Weg zum Realtime Enterprise voranbringen könnten.
Dieter Spath, seit 1. Oktober Vorstandsvorsitzender der Wittenstein AG, hatte als Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) die Chancen eines Realtime Enterprise so beschrieben: "Mit Industrie 4.0 stehen wir vor einem Umbruch: dem flächendeckenden Einzug von Informations- und Kommunikationstechnik sowie deren Vernetzung zu einem Internet der Dinge, Dienste und Daten.
Dies ermöglicht eine Echtzeitfähigkeit der Produktion." Autonome Objekte, mobile Kommunikation und Echtzeitsensorik würden neue Paradigmen der dezentralen Steuerung und Ad-hoc-Gestaltung von Prozessen erlauben. Spath: "Die Fähigkeit, schnell und flexibel auf Kundenanforderungen zu reagieren und hohe Variantenzahlen bei niedrigen Losgrößen wirtschaftlich zu produzieren, wird zunehmen und die Wettbewerbsfähigkeit weiter erhöhen." (mhr)