Eigentlich sollte die Digitalstrategie am 6. Juli, also noch vor der Sommerpause, vom Kabinett verabschiedet werden. Doch daraus wird wohl nichts. Wie der "Spiegel" berichtet, soll das Papier erst nach den Ferien auf einer Kabinettsklausur in Meseberg verabschiedet werden. Offenbar fehlt dem Digitalminister Volker Wissing noch die nötige Substanz in der Digitalstrategie. So sollen einige Ressorts in der Sommerpause nachsitzen und ihren Beitrag nachbessern. Dem Nachrichtenmagazin zufolge wird es Workshops mit den einzelnen Ministerien geben. Das Ziel: frische Ideen für mehr digitalen Schub.
Große Worte, aber wenig dahinter
Dabei war die Ampelregierung mit großen Ambitionen in Sachen Digitales gestartet. Nachdem die vorherigen Bundesregierungen allesamt kläglich am digitalen Aufbruch gescheitert waren, sollte jetzt endlich die Digitalisierungs- und Modernisierungsbremse gelöst werden. "Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovationen" - so lautet der Titel des ersten Kapitels im Koalitionsvertrag. Das reicht von einer besseren digitalen Infrastruktur mit Breitband-Internet und flächendeckender Mobilfunkversorgung über eine moderne Verwaltung mit weniger Bürokratie bis hin zu mehr Unterstützung für den Tech-Sektor und die Startups.
Jetzt wird indes deutlich, dass auch die neue Regierung Schwierigkeiten hat, ihre Versprechen einzulösen. Neben der Komplexität des Themas, einem bürokratischen Moloch, der sich nur schwer reformieren lässt, gibt es offensichtlich auch Probleme in der Frage der Organisation und der Zuständigkeiten. Die deutsche Digitalpolitik scheint einmal mehr im Gerangel zwischen verschiedenen Ressorts und Ministerien aufgerieben zu werden.
Eigentlich hatte sich FDP-Mann Wissing als Minister für Digitales und den Verkehr auf die Fahnen geschrieben, den Reformstau aufzulösen. Dass im Titel des Ressorts das Digitale dem Verkehr vorangestellt wurde, sollte ein Zeichen für den Aufbruch sein. Doch die jahrelange Vernachlässigung der Verkehrsinfrastruktur durch die Vorgängerregierung hat den Minister eingeholt. Aktuell muss sich Wissing um eine marode Bahn-Infrastruktur und chaotische Zustände auf den deutschen Flughäfen kümmern.
Dazu kommt, dass auch andere Ministerien in Sachen Digitalstrategie mitreden wollen. Die Fäden laufen ganz oben an der Regierungsspitze zusammen. Erst Mitte Juni verordnete das Bundeskanzleramt in einem Strategiepapier, dass Wissings Ministerium den Bereich Digitalpolitik inklusive Budget künftig mit mehreren anderen Ressorts teilen muss. Die Regierung setze "zur Abstimmung der digitalpolitischen Zusammenarbeit in wesentlichen Schwerpunktvorhaben" auf eine "Koordinierungsgruppe der federführenden Ressorts auf Staatssekretärsebene", hieß es in einem Bericht des "Handelsblatt", dem die Direktive aus dem Kanzleramt vorlag.
So digital sind Deutschlands Parteien
Viele sollen bei der Digitalisierung mitreden - zu viele?
Mitreden sollen neben dem Digital- und Verkehrsministerium und dem Kanzleramt auch die Ressorts für Wirtschaft, Inneres und Finanzen, hieß es. Zudem werde der Chef des Kanzleramts, SPD-Politiker Wolfgang Schmidt, über den IT-Rat "die übergreifende strategische Steuerung der Digitalisierung in der Bundesverwaltung" verantworten.
In der Branche sieht man die nunmehr beschlossene Gewaltenteilung kritisch. "Die Ampelkoalition ist in Sachen Digitalisierung mit ambitionierten Zielen stark gestartet und darf sich jetzt nicht im Klein-Klein sowie Kompetenzgerangel verlieren", sagt Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender des Internet-Verbands eco. Zwar sei die Digitalisierung ein Querschnittsthema, das im Kern alle Bundesministerien betreffe. "Doch die digitale Transformation gelingt nur, wenn sie nicht von geteilter Federführung, zu vielen Zuständigkeiten und bürokratischem Aufwand aufgeweicht wird."
Wenn die involvierten Bundesministerien jetzt nicht eng zusammenarbeiteten, bestünde die Gefahr, dass die Bundesregierung in ihrer digitalen Transformation eher wieder zwei Schritte zurück- als einen Schritt vorangehe, warnte Süme. "Hier hätte ein Digitalministerium, wie von uns gefordert, die entscheidenden strategischen Stränge zusammenziehen und den Überblick über den digitalen Fortschritt behalten können."
Olaf Scholz will digitalisieren und regulieren
Deutschland hat ein Umsetzungsproblem
Auch von Seiten des IT-Verbands Bitkom gibt es Kritik am bisherigen Vorgehen. Man begrüße zwar, dass nun der Entwurf einer Digitalstrategie mit mehrmonatiger Verspätung in die Ressortabstimmung gehe. Das sei aber auch überfällig, denn das derzeit vorliegende Ergebnis sei "in vielen Handlungsfeldern noch zu dünn".
Bitkom-Präsident Achim Berg kritisiert: "Einige entscheidende Bereiche wie zum Beispiel die Datenökonomie führen vornehmlich Bestandsprojekte auf, denen obendrein - wie zum Beispiel bei Gaia-X - an anderer Stelle gerade die Mittel gekürzt wurden.". Liegengebliebene Hausaufgaben müssten endlich erledigt werden, um vom Fleck zu kommen. Aus Sicht von Berg gibt es kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.