Hannover Messe 2022

Digitalisierung im Zeichen der Krise

30.05.2022
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Die Hannover Messe hat als industrielle Leitmesse wieder ihr Tor geöffnet. Schwerpunktthema der Messe ist die Digitalisierung der Industrie.
Nach zwei Jahren Corona findet die Hannover Messe wieder als Präsenzmesse statt.
Nach zwei Jahren Corona findet die Hannover Messe wieder als Präsenzmesse statt.
Foto: Deutsche Messe

Nach zwei Jahren Corona-Pause öffnet die Hannover Messe wieder ihre Tore als Präsenzmesse, nachdem sie 2021 nur digital stattfand. Allerdings läuft auch jetzt aufgrund der Pandemie nicht alles wie geplant. So sollte die Messe ursprünglich im April stattfinden und fünf Tage statt der jetzt vier Tage dauern. Zudem sind die Messehallen deutlich leerer - kamen vor der Pandemie bis zu 6.000 Aussteller, so sind es in diesem Jahr lediglich rund 2.500 Aussteller.

Offizielle Schwerpunktthemen der industriellen Leitmesse sind die Digitalisierung in Form von intelligenteren Fertigungsverfahren und die Nachhaltigkeit, um ein kohlenstoffärmeres Wirtschaften zu realisieren. Hierzu zeigen Konzerne wie Bosch oder Siemens sowie die großen Tech Player Microsoft, Amazon Web Services, SAP oder Google sowie zahlreiche Mittelständler und Startups ihre Ideen und Konzepte für die industrielle Industrie. Doch vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges beschäftigen die Unternehmen in Hannover noch zwei andere zentrale Themen: Wie erreichen sie eine stabile Energieversorgung und wie bauen sie angesichts zerrissener Lieferketten, neue resiliente Lieferantenbeziehungen auf.

Hannover Messe 2022: Praxisreife statt Innovations-Hype

Auch wenn der Ukraine-Krieg die Messe überschattet, appellierte Bundeskanzler Olaf Scholz zur Messeeröffnung: "Die Pandemie und der Krieg nehmen der industriellen Transformation nichts von ihrer Dringlichkeit." Bei der Transformation zur digitalen Fabrik der Zukunft begegnen dem Messebesucher viele alte, bekannte Themen wieder - etwa Industrie 4.0 oder IIoT. Und auch der Einsatz von KI ist zumindest für Besucher mit IT-Hintergrund nicht der Leuchtturm der Innovation. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so schlimm, zeigt doch die diesjährige Hannover Messe, dass die in den vergangenen Jahren propagierten Technologien jetzt auch praxisreif sind.

Angesichts von Pandemie und Krie appelliert Bundeskanzler Scholz (hier beim Messerundgang), dass die industrielle Transformation nichts von ihrer Dringlichkeit verloren habe.
Angesichts von Pandemie und Krie appelliert Bundeskanzler Scholz (hier beim Messerundgang), dass die industrielle Transformation nichts von ihrer Dringlichkeit verloren habe.
Foto: Deutsche Messe

Neu ist allerdings, dass Künstliche Intelligenz mit Blick auf die Digitale Fabrik von morgen mittlerweile zu den Schlüsseltechnologien der Zukunft zählt. "Künstliche Intelligenz ist ein elementarer Baustein der Digitalisierung - auch in den Fabriken", so Bitkom-Präsident Achim Berg. "Die Bedeutung von KI wird in den kommenden Jahren massiv zunehmen. Wer sie ignoriert, verspielt seine langfristige internationale Wettbewerbsfähigkeit."

HMI 2022: Eine Billion Euro für digitale Fabriken

Laut der aktuellen PwC-Studie "Digital Factory Transformation Survey 2022" investieren Industrieunternehmen weltweit jedes Jahr mehr als eine Billion Euro in den Aufbau digitaler Fabriken. Trotz der hohen Investitionen befindet sich mehr als die Hälfte (64 Prozent) der 700 weltweit befragten Unternehmen (darunter 100 mit Hauptsitz in Deutschland) noch in einem sehr frühen Stadium der Implementierung digitaler Systeme und Technologien. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass es für die Unternehmen häufig schwieriger als erwartet ist, die Digitalisierung konsequent voranzutreiben.

Die Technik ist da, doch viele Unternehmen befinden sich noch in einem sehr frühen Stadium der Implementierung digitaler Systeme.
Die Technik ist da, doch viele Unternehmen befinden sich noch in einem sehr frühen Stadium der Implementierung digitaler Systeme.
Foto: Deutsche Messe

In digitalen Technologien sieht Marianne Janik, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, den Schlüssel für eine nachhaltige Zukunft: "In dieser Frage herrscht Einigkeit in großen Teilen der Wirtschaft. Doch an der Umsetzung hapert es noch gewaltig." Wie diese Umsetzung aussehen könnte, zeigt Microsoft mit seiner neuen Cloud for Sustainability. Sie soll es Unternehmen ermöglichen, Emissionsdaten aus ihrer gesamten Wertschöpfungskette zu erfassen, Einsparpotenziale zu identifizieren und konkrete Maßnahmen zur Verringerung der Luftverschmutzung umzusetzen. Laut Microsoft wird die Cloud for Sustainability wie auch die Cloud für die Fertigungsindustrie ab dem 1. Juni generell verfügbar sein.

Darüber hinaus zeigt der Konzern gemeinsam mit Kawasaki und Rockwell Automation den Aufbau agiler Fabriken mit Hilfe des industriellen Metaverse. Durch den Einsatz von Azure Percept, Azure Digital Twins, Dynamics 365 Remote Assist und Guides und Microsoft Mesh werden dabei aus der Ferne die Leistungsdaten überwacht, Fehler behoben, die Zuverlässigkeit der Anlagen verbessert, die Produktivität gesteigert sowie Produktionsprozesse simuliert und angepasst. Janik ist davon überzeugt, dass das Metaverse auch in der Industrie künftig eine bedeutende Rolle spielen wird.

Hannover Messe: 5G Use Cases

Wie bei vielen anderen Ausstellern ist auch bei Microsoft der neue Mobilfunkstandard 5G ein Thema. In einem Showcase zeigt die Company, wie man private 5G-Netze vom Edge bis zur Cloud für die Fertigungsindustrie einrichtet. Mit der Hannover Messe 2022 ging auch das private 5G-Campusnetz der Deutschen Messe unter der Bezeichnung 5G Smart Venue live, das acht Hallen versorgt.

Per 5G gesteuerter, autonom fahrender Gabelstapler der Telekom.
Per 5G gesteuerter, autonom fahrender Gabelstapler der Telekom.
Foto: Deutsche Telekom

Giesecke & Devrient demonstriert etwa, wie Roboter mithilfe von 5G zwischen öffentlichen und privaten Netzwerken wechseln können. Die Telekom hat mit einem autonom fahrenden Gabelstapler in Hannover einen echten Eye-Catcher dabei, der via Tablet aus der Ferne gesteuert wird. Siemens wiederum zeigt wie mit Hilfe der VXLAN-Technologie (Virtual extensible LAN) der Automatisierungstechnik-Standard Profinet über ein 5G Netz transportiert werden kann. Auf seinem Messestand hat der Konzern zudem den Prototypen eines eigenen industriellen 5G-Netzes aufgebaut. Das Unternehmen entwickelt derzeit ein eigenes 5G-Ecosystem. Erste Geräte sollen 2023 erhältlich sein.

Hannover Messe 2022: KI im Maschinenbau

War KI bislang primär ein Thema für die IT-Player sowie die großen Hyperscaler, so ist auf der diesjährigen Hannover Messe zu beobachten, dass auch immer mehr Maschinenbauer in ihre Produkte Künstliche Intelligenz integrieren. Stellvertretend für diesen Trend sei hier nur die schwäbische Festo SE & Co. KG erwähnt. Das Unternehmen hat mit Festo Automation Experience (Festo AX) eine Lösung für die digitalisierte Automatisierungstechnik entwickelt.

Dank KI werden die Roboter immer intelligenter.
Dank KI werden die Roboter immer intelligenter.
Foto: Deutsche Messe

Sie soll Unternehmen dabei helfen, ihre Produktivität zu steigern, Energiekosten zu senken sowie Qualitätsverluste zu vermeiden. Dazu basiert Festo AX auf den drei Bausteinen Predictive Maintenance, Predictive Energy und Predictive Quality. Das System kann on premises, on edge oder in der Cloud installiert werden. Zudem, so betont man bei Festo, bleibe der Anwender selbst Eigentümer der gesammelten Daten und niemand anderes.

HMI 2022: Der Quanten-Hub

Während der Messebesucher in Sachen Digitalisierung der Industrie meist auf gute alte Bekannte trifft, gibt es in Halle 2 erstmals einen Hub zu Quantentechnologie. Gemeinsam wollen Deutsche Messe und das Quantum Valley Lower Saxony (QVLS) so den Transfer der Quantentechnologien zwischen Wissenschaft und Industrie verstärken.

Zudem hätten sich bereits mehr als 20 Quanten-Startups und -KMUs aus Deutschland, Kanada und den Niederlanden zum internationalen Matchmaking auf der Messe verabredet. Auf den nächsten Messen wollen die Partner die Quantenpräsenz noch ausbauen, da man überzeugt ist, dass Quantentechnologien in den kommenden Jahren tiefgreifende gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen anstoßen werden.