Capgemini Automotive-Studie 2021

Die Zukunft des Autos ist Software

09.09.2021
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
In der Autobranche werden sich die Anbieter durchsetzen, die es verstehen, das volle Potenzial von Software auszuschöpfen. Hier wird in der kommenden Dekade die eigentliche Wertschöpfung erzielt, wie eine aktuelle Studie zeigt.
Vor wenigen Jahren war der Motor noch das Herzstück der Autos - nun wird es die Software.
Vor wenigen Jahren war der Motor noch das Herzstück der Autos - nun wird es die Software.
Foto: Jimmy Yan - shutterstock.com

"Summ, statt brumm", schreibt der Nachrichtensender "ntv" anlässlich der Automesse IAA Mobility, die sich nicht nur in den Münchner Messehallen, sondern auch in Teilen der Altstadt abspielt. Gemeint ist der leise Sound der Elektromotoren, der das Dröhnen der PS-starken Benzin- und Diesel-Boliden abgelöst hat. Doch der Antrieb der Zukunft ist in der Bayern-Metropole nur eines der Themen. Ein anderes, vielleicht noch wichtigeres, ist die Software - im Fahrzeug und in den entsprechenden Ökosystemen.

Software wird zum USP

In der Studie "Softwaregetriebene Transformation wird für Automobilhersteller zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor" bringen die IT-Berater von Capgemini auf den Punkt, worum es in dieser Branche wirklich geht: Softwarebasierende Funktionen und Dienste werden zum differenzierenden Merkmal. Damit können die Hersteller in den kommenden fünf Jahren voraussichtlich Produktivitätssteigerungen um bis zu 40 Prozent, Kostensenkungen um 37 Prozent und eine Verbesserung der Kundenzufriedenheit um 23 Prozent erzielen, heißt es in der Analyse. Erstaunlich ist, dass trotz dieser offenkundigen Vorteile 45 Prozent der OEMs noch keine vernetzten Dienste anbieten. Nur 13 Prozent monetarisieren solche Services laut Studie aus eigener Kraft.

Zum Glück werden die Manager der Autobranche noch nicht von Selbstzweifeln geplagt: Immerhin die Hälfte erwartet, in den nächsten fünf bis zehn Jahren Softwarefunktionen erfolgreich bereitstellen zu können. Gearbeitet wird an fortgeschrittenen Fahrerassistenz-Systemen, am autonomen Fahren, an Konnektivität sowie an vielfältigen Services. Diese Aspekte sollen zu einem ähnlich wichtigen Wettbewerbsfaktor werden wie der Automobilbau selbst. Momentan ist der Reifegrad in Schlüsselbereichen allerdings immer noch gering. Die meisten OEMs - 71 Prozent der globalen sowie 53 Prozent der deutschen Autobauer - befinden sich noch in der Anfangsphase ihrer softwaregetriebenen Transformation. Sie haben bis dato gerade mal die Anwendungsbereiche identifiziert. Nur 28 Prozent haben ein Pilotprojekt oder einen Proof of Concept implementiert, um die Transformation in bestimmten Bereichen voranzutreiben. Immerhin liegen die deutschen Hersteller hier mit 41 Prozent ganz gut im Rennen, wenngleich die chinesischen Player mit einer Quote von 63 Prozent schon ein wenig enteilt sind.

Die Studie bezeichnet 15 Prozent der OEMs als Vorreiter bei der erfolgreichen Transformation. Sie könnten den notwendigen Reifegrad zur Implementierung einer softwaregetriebenen Transformation vorweisen. Diese Unternehmen hätten etwa klare Ziele vorgegeben, und sie beherrschten die technologischen Trends. Im Jahr 2031 hoffen die Manager dieser Elite, bereits bis zu 28 Prozent ihrer Einnahmen mit Software zu erzielen.

Legacy-verhaftete OEMs

Capgemini stellt fest, dass Autobauer, die sich mittels Software einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollen, ihre Legacy-Architekturen hinter sich lassen müssen. Derzeit nutzen beispielsweise noch 93 Prozent eine traditionelle Fahrzeugarchitektur, nur 13 Prozent planten, die integrierte Bereitstellung von Hardware und Software zu entkoppeln. Damit aber würden Verfahren für die Nutzung von Over-the-Air (OTA)-Softwareupdates ineffizient, wodurch sich das Innovationstempo der OEMs verlangsame. Laut Studie erwarten die Manager, dass sich der Anteil neuer Fahrzeuge, die vernetzte Dienste und OTA-Updates unterstützen, in den nächsten fünf Jahren von elf auf 36 Prozent mehr als verdreifachen wird. Derzeit bieten aber nur vier von 100 Autobauern OTA-Updates an. Laut Capgemini muss noch eine Menge passieren, damit diese Hersteller vom Wachstumstrend profitieren können.

Wichtig sei, dass die Autobauer strategische Partnerschaften mit Software- und Technologiedienstleistern eingingen, um einen Mehrwert entlang der Wertschöpfungskette von Automobilsoftware zu schaffen. Dazu benötigten sie eine klare Strategie für ihre jeweiligen Ökosysteme. Die Berater empfehlen, die Standardisierung der Architektur voranzutreiben, ebenso das Erfassen, Nutzen und Verarbeiten von Fahrzeug- und Verbraucherdaten.

Dabei bleiben das Dateneigentum und die Cybersicherheit die kritischsten Punkte: Rund die Hälfte der OEMs kämpft derzeit damit, Daten zu sammeln und daraus verwertbare Erkenntnisse abzuleiten. Weniger als zehn Prozent glauben, dass sie gut vorbereitet sind, um Cybersicherheits-Maßnahmen umzusetzen und 60 Prozent wissen nicht recht, wie sie sicherstellen können, dass die Produkte von Zulieferern ihren Sicherheits- und Cybersicherheits-Vorschriften genügen. Mit bestimmten Daten ließe sich der automobilen Wertschöpfungskette "Intelligenz" hinzufügen - doch nahezu die Hälfte der Anbieter (47 Prozent) sammelt oder analysiert immer noch keine Fahrzeugdaten.

Zur Software Company in 6 Schritten

Die Autohersteller müssen sich zumindest in Teilen zu Softwarehäusern transformieren, doch es fehlt an allen Ecken und Enden an Entwicklern und Experten mit dem entsprechenden Methodenwissen. Laut Capgemini müssen die OEMs zurzeit mit einer "Kompetenzlücke von 40 bis 60 Prozent in Bereichen wie Softwarearchitektur, Expertise im Cloud Management und Cybersicherheit" fertig werden.

Nahezu alle befragten Führungskräfte (97 Prozent) glauben, dass innerhalb der kommenden fünf Jahre bis zu 40 Prozent ihrer Talente über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen sollten, um eine softwaregetriebene Transformation durchzuführen. Um hier voranzukommen, werden sich die Autobauer fundamental verändern müssen. Dabei geht es nicht nur um technische Kompetenzen, sondern auch darum, die bestehende Kultur abzustreifen und die Prozesse rund um Software neu zu definieren. Die Studie empfiehlt dazu ein Vorgehen in sechs Schritten:

  1. Aufbau einer softwareorientierten Vision und Strategie;

  2. Nutzung von Software-Tools und agilen Methoden, um eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Organisationseinheiten zu fördern;

  3. Aufbau langfristiger, strategischer Partnerschaften mit Software-, Technologie- und Serviceanbietern für wichtige Softwaretrends;

  4. Streben nach Softwareexzellenz durch Aufbau und Bindung von Softwareexperten;

  5. Nutzung von Daten, um intelligente Fahrzeuge, intelligente Fertigung und intelligente Dienste zu ermöglichen;

  6. Definition eines klaren Fahrplans für eine standardisierte Fahrzeug-Softwarearchitektur der nächsten Generation.

Zur Studie:

Das Capgemini Research Institute beruft sich bei diesen Zahlen auf die Aussagen von weltweit 572 Führungskräften aus der Automobilindustrie (OEMs). Der größte Anteil der Befragten kommt aus den USA (18 Prozent), Großbritannien (16 Prozent), Deutschland (elf Prozent) und China (neun Prozent). Die Manager kommen aus insgesamt 148 Automobilunternehmen, von denen ebenfalls elf Prozent in Deutschland ansässig sind, 14 Prozent in den USA, 13 Prozent in China und elf Prozent in Großbritannien.