Ende Mai 2021 war klar, dass sich das New Normal in seinen Grundzügen kaum vom Old Normal unterscheidet. Die "FAZ" berichtete vom jährlichen MINT-Report des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mit der Schlagzeile: "Fachkräftemangel kehrt in verschärfter Form zurück." Demnach wurde in den Berufen für Hochschulabsolventen sowie IT-Fachleute der langfristige Durchschnittswert der Fachkräfte-Lücke schon fast wieder erreicht. Mit Blick auf die Zukunft warnte das arbeitgebernahe IW davor, dass sich die Entwicklung fortsetzt. Während von zwölf Millionen Mint-Facharbeitern und -Akademikern bis 2030 jedes Jahr mehr als 330.000 altersbedingt ausschieden, könne die jährliche Zahl der Berufseinsteiger nicht einmal den Ersatzbedarf decken. Zugleich deute viel darauf hin, dass Unternehmen in erheblichem Umfang zusätzliches Fachpersonal benötigen, um Umbrüche etwa in der Digitalisierung zu bewältigen.
Dass der BITKOM-Verband zwei Wochen zuvor ins gleiche Horn gestoßen hatte, überrascht nicht. Allerdings wird die grundsätzliche Entwicklung auf dem Markt für IT-Freelancer auch durch die aktuelle IT-Freiberuflerstudie 2021 der COMPUTERWOCHE in Kooperation mit Ferchau, Etengo, Hays, Modis Contracting Solutions und GULP unterstrichen: Erstens steige die Relevanz der freien IT-Experten für Unternehmen weiter, zweitens hätten sich auf der Nachfrageseite sowie in den Organisationen keine tiefgreifenden Folgen für das Arbeitsmodell ergeben. Und drittens werde vermehrt Flexibilität nachgefragt, was ebenfalls für externe Kräfte spreche. Ein Beispiel: Fast zwei Drittel der Unternehmen misst IT-Freelancern in den kommenden zwei Jahren eine große bis sehr große Bedeutung für die eigene Organisation bei.
Drei Viertel nutzen externe IT-Fachkräfte
In Zahlen ausgedrückt, zeigt sich die starke Position der Freelancer auch daran, dass zuletzt in knapp 78 Prozent der Unternehmen externe IT-Fachkräfte eingesetzt wurden. Verglichen mit der Umfrage aus dem Jahr 2019 beläuft sich der Zuwachs auf rund fünf Prozentpunkte. Befragt man lediglich IT-Manager nach externer Unterstützung, fällt die Zustimmung mit 85 Prozent sogar noch etwas höher aus. Der ideale Freiberufler stellt sein profundes Fachwissen flexibel zur Verfügung - in erster Linie, um Lastspitzen zu glätten.
Darüber hinaus sind Kompetenzen für IT-Zukunftsthemen ein wichtiger Treiber der externen Beschaffung - auch wenn Legacy-Kompetenzen ebenfalls recht gern gebucht werden. Beide Punkte zählen für etwa ein Drittel der Firmen. Verglichen mit der Umfrage 2019, als es hier noch einen Gleichstand gab, haben sich die "Zukunftsfähigkeiten" inzwischen leicht nach vorne geschoben.
Online-Portale können leicht zulegen
Bei den Beschaffungskanälen für Freiberufler und Selbstständige herrscht seit Jahren eine evolutionäre Veränderungsdynamik. An der Oberfläche schwimmt traditionell der direkte Auftrag an Externe, er bleibt die beliebteste Art der Beschaffung. Blickt man tiefer in die Antworten, zeigt sich, dass nur ein kleiner Teil der Unternehmen ganz darauf verzichtet. Dieser Faktor sowie ein relativ hoher Anteil von Organisationen, die fast ausschließlich auf den direkten Weg setzen, heben den Schnitt an.
Bei den Online-Portalen und den Personaldienstleistern findet sich ein ähnliches Antwortschema: Ein Drittel der Firmen nutzt die Kanäle nicht, viele Unternehmen setzen sie in begrenztem Umfang ein. Allerdings entwickelte sich Online in den Studien der vergangenen Jahre besser - auch wenn dies keinem Erdrutsch ähnelt. Kleinere Unternehmen setzen in den kommenden Jahren primär auf direkte Vermittlung und auf Online-Portale, die anderen Dienstleistungen sind für sie weniger interessant. Große Unternehmen haben die gleichen Top-Prioritäten, allerdings sind Personaldienstleister, IT-Berater und Managed Service Provider wesentlich wichtiger für sie.
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Auslastung ging 2020 zurück
Bei allen positiven Anzeichen des Markts hat sich aber auch gezeigt, dass das erste Pandemie-Jahr beileibe nicht nur ein Ausrutscher war: So ging die Auslastung der Freelancer nach fakturierbaren Tagen gegenüber 2019 im Schnitt deutlich zurück, und zwar von 190 auf 165 Tage - ein Rückgang um 25 Tage beziehungsweise fünf Arbeitswochen. Der Corona-Effekt trat besonders bei Externen auf, die zuvor mehr als 250 Tage in Rechnung gestellt hatten, sowie bei Freelancern mit einer Auslastung von weniger als 100 fakturierten Tagen.
Die direkte Frage nach den Corona-Auswirkungen bestätigt das eingetrübte Bild. Gerade einmal jeder sechste IT-Experte berichtet von einer besseren Auftragslage, rund 20 Prozent verweisen auf stabile Geschäfte. Der Großteil jedoch hat in der Pandemie negative Folgen gespürt, knapp sechs Prozent sogar sehr negative beziehungsweise existenzgefährdende Effekte. Diese betrafen tendenziell jüngere Experten, die noch nicht lange als Freiberufler arbeiten und weniger als 120.000 Euro pro Jahr in Rechnung stellen. Daran wird deutlich, wie wichtig eine breite Kundenbasis und ein stabiles Netzwerk sowie die Bildung von Rücklagen für Freie sind.
40 Prozent führen keinen War for Talents
Auch der vielfach beschworene Fachkräftemangel - der "War for Talents" - ist 2021 laut der COMPUTERWOCHE-Studie immer noch ein Thema, aber längst nicht für alle Firmen. Immerhin 60 Prozent der Unternehmen stellt die Suche nach IT-Fachkräften und deren Verpflichtung vor vereinzelte oder große Probleme. Der Rest der Unternehmen zeigt sich hiervon eher nicht beeinträchtigt.
Corona hat die Situation nur wenig beeinflusst - die Suche nach IT-Kompetenzen wird unter dem Strich nur als geringfügig leichter empfunden. Dies äußern vor allem kleinere Unternehmen, während die größeren Firmen etwas zurückhaltender mit einem positiven Urteil sind. Gleiches gilt auch für die Antworten von IT-Verantwortlichen: Sie sehen keine Erleichterungen bei der Ressourcenbeschaffung durch die Pandemie, im Gegensatz zu Managern aus Fachbereichen.
IT-Freelancer – eine feste Größe im Markt
Unter dem Strich zeigt sich in der Studie aber, dass IT-Freelancer in den Unternehmen gesetzt sind. Bereits 2019 war der Anteil externer IT-Experten in dieser Studienreihe auf über 50 Prozent gestiegen, inzwischen hat sich der Wert dort eingependelt. Geht man ins Detail, fällt auf: Nur noch jeweils rund fünf Prozent der Organisationen beschäftigen eigene IT-Mitarbeiter zu 80 bis 90 beziehungsweise 90 bis 100 Prozent. Über die Jahre präsentierte sich die Arbeitnehmerüberlassung relativ konstant. System- und Beratungshäuser, damals noch als Outsourcing-Dienstleister bezeichnet, konnten gegenüber 2019 um gut drei Prozentpunkte zulegen.
Im Gegenzug fiel der Anteil der selbstständigen IT-Fachkräfte allerdings um fast vier Prozentpunkte ab. In Summe wird der Anteil der Externen an der IT-Workforce in jedem Fall steigen: Immerhin 60 Prozent der Befragten teilen diese Ansicht. Treiber ist vor allem das Top-Management, während die IT-Verantwortlichen nahe am Durchschnittswert votiert haben. Von einem Rückgang der Freiberufler-Quote geht demgegenüber kaum jemand aus.
Zukunftsfähig bleiben
Diese heterogene Situationsaufnahme legt den Schluss nahe, dass der Anpassungsdruck auf Freelancer und ihre Auftraggeber auch in den kommenden Quartalen hoch bleiben wird. Somit muss jeder Marktteilnehmer seine individuelle Zukunftsfähigkeit überarbeiten - weitere gravierende Veränderungen sind schließlich nicht ausgeschlossen. Freelancer sollten berücksichtigen, dass nach mehreren fetten Jahren für Cloud-, Security-, KI- und Digitalisierungskompetenzen bald neue Trends auf der IT-Agenda erscheinen.
Es gilt, sich eine tiefe Nische zu graben oder offen für neue Kompetenzen zu sein. Die Richtung ist jedenfalls klar: Zwar zweifelte jeder fünfte Freelancer durch die Pandemie an seinem Arbeitsmodell. Vor die Wahl gestellt, würden jedoch fast 96 Prozent der Befragten erneut freiberuflich oder selbstständig tätig werden. Der Wert liegt sogar noch vier Prozentpunkte höher als bei der Umfrage aus dem Jahr 2019. Das "New Normal" ist noch nicht erreicht, aber es sieht verdächtig nach dem "Old Normal" aus.
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Studiensteckbrief
Herausgeber: COMPUTERWOCHE, CIO, TecChannel und ChannelPartner
Gold-Partner: Ferchau GmbH
Silber-Partner: Etengo AG; Hays AG; Modis Contracting Solutions GmbH
Bronze-Partner: GULP Information Services GmbH
Grundgesamtheit: Oberste (IT-)Verantwortliche von Unternehmen in der D-A-CH-Region: strategische (IT-)Entscheider im C-Level-Bereich und in den Fachbereichen (LoBs), IT-Entscheider und IT-Spezialisten aus dem IT-Bereich
Teilnehmergenerierung: Stichprobenziehung in der IT-Entscheider-Datenbank von IDG Business Media sowie zur Erfüllung von Quotenvorgaben über externe Online-Access-Panels; persönliche E-Mail-Einladungen zur Umfrage
Gesamtstichprobe: 437 abgeschlossene und qualifizierte Interviews
Stichprobe 1: Einsatzunternehmen: 316 qualifizierte Interviews
Stichprobe 2: Externe IT-Fachkräfte: 121 qualifizierte Interviews
Untersuchungszeitraum: 8. März bis 22. April 2021
Methode: Online-Umfrage (CAWI)
Fragebogenentwicklung: IDG Research Services in Abstimmung mit den Studienpartnern
Durchführung: IDG Research Services