Von Viag Interkom über O2 bis zu Telefónica

Die wechselvolle Geschichte von O2

09.11.2012
Von 
Christian Merten ist als freier Journalist in München tätig.
Telefónica Deutschland ist nicht einmal „volljährig“ und hat doch schon mehrere Eigentümerwechsel hinter sich. Ende Oktober folgte der nächste. Der spanische Mutterkonzern Telefónica SA hat knapp ein Viertel seiner deutschen Tochtergesellschaft an die Börse gebracht.

Vor gerade einmal 17 Jahren begann die Geschichte des Unternehmens, das heute als Telefónica Deutschland firmiert: 1995 gründen der deutsche Industriekonzern Viag und die British Telecommunications (BT) die Viag Interkom, zunächst als WAN-Dienstleister für Geschäftskunden. Nicht nur der Mutterkonzern Viag, sondern auch Bestandskunden der BT in Deutschland zählten zu den ersten Kunden. Bereits damals bestimmt ein Thema das Geschäft des Unternehmens, das bis heute nicht an Aktualität verloren hat: die Kosten für die Anmietung von Netzinfrastruktur bei der Deutschen Telekom.

1995 gründen Viag und die British Telecommunications (BT) die Viag Interkom.
1995 gründen Viag und die British Telecommunications (BT) die Viag Interkom.
Foto: Viag Interkom

Auf 50 bis 60 Prozent beziffert Geschäftsführer Hans Jochen Weiher damals deren Anteil an den Gesamtkosten. Seine Hoffnung, das Einkaufen von Bandbreite werde günstiger, erfüllt sich nur bedingt: Zwar sinken seither die Entgelte, doch der Anteil der Deutschen Telekom am Umsatz der Mobilfunkbetreiber liegt nach einer aktuellen Studie von Dialog Consult im Auftrag des Verbands der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) immer noch bei bis zu 65 Prozent.

1997: Einstieg ins Mobilgeschäft

Früh entscheidet das Management, ins Mobilfunkgeschäft einzusteigen. Die Lizenz dafür erhält Viag Interkom im Mai 1997. Im gleichen Jahr ändert sich die Eigentümerstruktur zum ersten Mal: Der norwegische Telekommunikationskonzern Telenor steigt ein und übernimmt von den beiden bisherigen Gesellschaften je fünf Prozent. Knapp eineinhalb Jahre lang baut das Unternehmen sein Netz auf, zunächst mit dem Schwerpunkt auf acht Ballungszentren.

Im Oktober 1998 brachte Viag Interkom Mobilfunkangebote auf den Markt.
Im Oktober 1998 brachte Viag Interkom Mobilfunkangebote auf den Markt.
Foto: Norman Pogson/Fotolia.com

Im Oktober 1998 tritt der Newcomer als vierter Anbieter nach Deutscher Telekom, Mannesmann (heute Vodafone) und E-Plus mit Mobilfunkangeboten für den Verbraucher auf den Markt. Wirklich komfortabel funktioniert das bundesweite Telefonieren damals noch nicht. Um auch zwischen den Ballungszentren die Verbindung zu ihren Gesprächspartnern zu ermöglichen, nutzt das Unternehmen einen Trick: Wenn Kunden hinter ihrer PIN eine "1" eingeben, identifizieren die Mobilfunknetze sie als vermeintliche Kunden der Swisscom. So können sie über die Roaming-Abkommen des Schweizer Anbieters auch über Nicht-Viag-Interkom-Netze telefonieren.

Doch dieses Konstrukt dauert nicht lang. Im August 1998 schließt Viag Interkom einen Vertrag mit der Deutschen Telekom, der über Roaming mit deren D1-Netz für bundesweite Erreichbarkeit sorgt. Bis Ende 2009 hält diese Verbindung. Dann hat der zuletzt gestartete Mobilfunkanbieter sein eigenes Netz deutschlandweit so weit ausgebaut, dass er nicht mehr auf einen anderen Provider angewiesen ist.

1999: Genion und "Home Zone"

1999 zeigt Viag Interkom die Innovationsmöglichkeiten, die im Mobilfunk liegen, und bringt sein Produkt "Genion" auf den Markt: In der sogenannten Homezone werden Kunden unter einer Festnetznummer auf ihrem Handy erreichbar und können dort verbilligt über ihr Mobiltelefon auch anrufen. Die Idee dahinter: Die Kunden können so auf einen Festnetzanschluss verzichten, ohne zu Hause die höheren Kosten für Mobilfunkgespräche zahlen zu müssen. Lange Zeit bleib dieser virtuelle Festnetzanschluss ein Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens. Erst Jahre später ziehen die Wettbewerber nach. Doch mittlerweile hat sich das Unternehmen von diesem Tarifmodell verabschiedet.

2000: Teure UMTS-Versteigerung

Auch Viag Interkom nahm 2000 an der Versteigerung der UMTS-Lizenzen teil.
Auch Viag Interkom nahm 2000 an der Versteigerung der UMTS-Lizenzen teil.
Foto: Fotolia, N.J. Schirado

Als einer von sechs Bietern beteiligt sich Viag Interkom an der Versteigerung der UMTS-Lizenzen im Jahr 2000. Wie die Wettbewerber legt das Unternehmen mehr als 8 Milliarden Euro auf den Tisch, um am aussichtsreichen Geschäft mit schnellen Datenverbindungen verdienen zu können. Doch das läuft erst spät so richtig an. Lange brauchen alle Unternehmen, bis sie ihr UMTS-Netz aufgebaut haben und in Betrieb nehmen können. Erst 2005 kommen mehr multimediataugliche Handys auf den Markt, die Nachfrage nach schnellen Mobilfunkdatenverbindungen steigt. Heute sind es gerade die mobilen Datenverbindungen, die für Dynamik bei den Telekommunikationsunternehmen sorgen. In diesem Jahr, so die Marktforscher von Dialog Consult, soll das mobile Datenvolumen um rund ein Drittel auf 130,7 Millionen Gigabyte steigen, knapp 200 Megabyte pro Monat und Nutzer.

Größere Veränderungen in der Eigentümerstruktur kündigen sich ebenfalls im Jahr 2000 an: Viag fusioniert mit dem Energiekonzern Veba, der Anteile an E-Plus hält, zur E.On. Der neu entstandene Energieriese will aus Viag Interkom aussteigen, British Telecommunications dessen Anteile und die von Telenor übernehmen. Für Telenor wird das zu einem äußerst gewinnreichen Deal: Von 1997 bis 2000 haben die Norweger 440 Millionen Euro in Viag Interkom investiert; für ihre 10 Prozent erhalten sie von den Briten rund 1,6 Milliarden Euro. Die E.On bekommt 7,25 Milliarden Euro für ihre 45 Prozent.

Ende des Jahres 2000 übersteigt in Deutschland die Zahl der Handyverträge in Höhe von 48 Millionen die Zahl der Festnetzanschlüsse von rund 40 Millionen.

2001: Viag Interkom wird zurechtgestutzt

Anfang 2001 werden die Übernahmen wirksam. British Telecommunications ist alleiniger Eigentümer von Viag Interkom und teilt seine neue Tochter neu auf: Viag Interkom wird auf das reine Mobilfunkgeschäft zurechtgeschnitten, das Festnetzgeschäft wird in den Unternehmensteil BT Ignite eingebracht. Mit der Trennung folgt der Mutterkonzern dem auch bei anderen Telekommunikationsunternehmen vorherrschenden Trend zur Aufspaltung. Nur wenige Jahre später wird es als Nachteil angesehen, wenn ein Mobilfunkprovider seinen Kunden nicht auch schnelle Festnetzanschlüsse anbieten kann. Längst ist das Nachfolgeunternehmen Telefónica Germany zum einen durch das Netz des Mutterkonzerns Telefónica, zum anderen durch den Kauf von Hansenet wieder im Festnetz aktiv.

2001: mm02 an der Börse

Ein riesiger Schuldenberg von mehr als 50 Milliarden Euro lastet auf British Telecommunications. Um sich finanziell wieder Luft zu verschaffen, trennt sich das ehemalige Staatsunternehmen Ende 2001 von seinem Mobilfunkgeschäft, in das er auch den Großteil von Viag Interkom eingebracht hat, durch einen Aktiensplit. Die Aktien des neuen Unternehmens mit Namen mmO2 werden fortan in London und New York an der Börse gehandelt.

Technisch bringt Viag Interkom das schnelle Internet voran. Das Unternehmen reklamiert für sich, Anfang 2001 als erster bundesweit mit General Packet Radio Service (GPRS) den Datenverkehr im Mobilfunk von einfacher Modemgeschwindigkeit auf etwa ISDN-Tempo zu beschleunigen. Die Deutsche Telekom hatte ihr GPRS-Angebot bereits 2000 gestartet, allerdings nicht gleich über ihr gesamtes Netz.