IT und Industrie 4.0

Die neue Datenlogistik

11.12.2014
Von 
Daniel Liebhart ist Dozent für Informatik an der ZHAW (Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) und Solution Manager der Trivadis AG. Er ist Autor verschiedener Fachbücher.

Smart Factory und Datenlogistik

Eine Smart Factory als für Industrie 4.0 geeignete Produktionsanlage besteht aus einer Vielzahl von Fertigungseinheiten und anderen an der Produktion beteiligten Maschinen und Lager. Auch der Materialfluss und damit der parallele Datenstrom spielt eine zentrale Rolle. Zudem sind Faktoren wie die Auslastung der Maschinen und Lager, die minimalen Wegzeiten oder sogar die Vorhersage möglicher Ausfälle, die dynamische Allokation von Ressourcen sowie der Einbezug von Umweltinformationen erfolgsentscheidend. Die bisher übliche Trennung von Produktionsplanung und Produktionssteuerung und damit auch die Trennung zwischen ERP und SPS entfallen.

Bei Industrie 4.0 wird künftig ein integrierter Ansatz gefragt sein. So sieht die VDI-Richtlinie 5600 "Manufacturing Execution Systems (MES) / Fertigungsmanagementsysteme" vor, dass Informationen zu prognostischen, aktuellen und historischen Aspekten des Produktionsprozesses kombiniert und ausgetauscht werden. Damit die kombinierten Informationen jederzeit auf eine laufende Fertigung einwirken können, muss deren nutzbringende Kombination in Echtzeit erfolgen. Und hier ist wiederum die Datenlogistik gefragt: Sie muss dafür sorgen, dass historische, aktuelle und prognostische Daten schnell und umfassend zur Verfügung stehen und ohne Zeitverlust weitergegeben werden.

Datenlogistik zwischen Unternehmen

Die moderne Fertigung im Sinne einer Industrie 4.0 endet künftig nicht mehr am Firmentor. Eine integrierte auftragsorientierte Produktion, die vom Rohstoff bis hin zum fertigen Industrieprodukt reicht, erfordert auch unternehmensübergreifende Wertschöpfungsketten. Aus Sicht der Datenlogistik stehen hier vor allem Standardisierung und Sicherheit im Vordergrund, der Informationsaustausch muss ebenfalls möglichst effizient erfolgen. Deshalb sind einheitliche Datenformate und normierte Informationsobjekte extrem wichtig.
So sieht beispielsweise die deutsche Normungs-Roadmap Industrie 4.0 der Deutsche Kommission Elektrotechnik (DKE) vor, dass Referenzmodelle für technische Systeme und Prozesse, leittechnische Funktionen, technisch-organisatorische und Lifecycle-Prozesse genormt werden. Erst auf Basis solcher Normen kann die Datenlogistik die entsprechenden Informationsobjekte und Formate und damit den Austausch von Daten zwischen Unternehmen nutzbringend vereinfachen.

Die zweite und wahrscheinlich weitaus kniffligere Aufgabe der Datenlogistik ist die Gewährleistung der Datensicherheit. Hier spielen insbesondere Aspekte der Vertraulichkeit und Integrität sowie die Verfügbarkeit von Daten eine sehr große Rolle. So muss einerseits der Zugriff eingeschränkt, gleichzeitig jedoch garantiert werden. Außerdem muss die IT sowohl Korrektheit als auch die Unversehrtheit aller Informationen sicherstellen. Der Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0 der Bundesregierung mit dem Titel "Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt 4.0" aus dem Jahr 2013 sieht eigens dafür acht gesonderte Handlungsempfehlungen vor. IT-Verantwortliche müssen sich also schon bald mit dem Aufbau und Betrieb sowie der Überwachung firmenübergreifender Sicherheitskonzepte, -architekturen und -standards beschäftigen.

Transport - und Datenlogistik

Für die industrielle Fertigung spielt die Transportlogistik eine zentrale Rolle. In diesem Bereich hat die Vernetzung an der Transportkette beteiligter Objekt, Fahrzeuge und Sendungen jedoch schon längst Einzug gehalten. Eine Vielzahl von Anwendungen ist bereits erfolgreich im Einsatz: Angefangen von der zeitnahen Planung über die flexible Änderung von Routen und Beladungen bis hin zu der automatischer Anpassung aufgrund von Verkehrslage, Wetter- und anderen Umgebungsinformationen. Intelligente Fahrzeuge und die Vision einer auf IoT-Technologie basierenden Verkehrsinfrastruktur werden weitere Dimensionen automatisierter und flexibler Logistikleistungen möglich machen. Die Datenlogistik dieser Ebene hat die Verarbeitung sehr großer Datenmengen im Fokus, da die Optimierung der Transportlogistik immer auf Basis vieler Einzelfaktoren erfolgt. Diese hängen von historischen und aktuellen Wetter-, Verkehrs-, Kapazitäts- und Fahrzeuginformationen ab und haben direkte Auswirkung auf die Produktion. Die hochflexible und automatisierte Fertigung ist von der Flexibilität der Transportlogistik geradezu abhängig. Nur wenn gewährleistet werden kann, dass Rohstoffe, Halbzeug oder fertige Einzelteile rechtzeitig am richtigen Ort sind, ist die Vision Industrie 4.0 überhaupt umsetzbar.

Fazit

Der IT von morgen werden im Zeitalter von Industrie 4.0 zwei grundlegend neue Aufgaben zuteil: Die Bereitstellung und der Betrieb einer firmenübergreifenden Datenlogistik. Die damit verbundenen Herausforderungen sind enorm. IT-Systeme müssen einerseits hohe Verarbeitungsgeschwindigkeiten bei der Kombination von Produktions- und Kontextinformationen für CPS-Produktionseinheiten sowie eine schnelle und umfassende Bereitstellung historischer, aktueller und prognostischer Produktionsdaten garantieren. Gleichzeitig muss die IT einen standardisierten und sicheren Datenaustausch in der firmenübergreifenden Wertschöpfungskette ermöglichen sowie eine Verarbeitung großer Datenmengen für die Transportlogistik sicherstellen - und das alles in einem dezentralen Umfeld. Aufgrund ihrer hohen organisatorisch-technischen Herausforderungen setzt die Datenlogistik ein vollkommen neues Denken voraus und wird sich schon bald zu einer eigenständigen Disziplin innerhalb der Unternehmens-IT entwickeln - Herausforderungen gibt es genug. (bw)