Nachhaltige Unternehmen

"Die junge Generation ist uns weit voraus"

25.05.2022
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Damit Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit setzen, finanziell nicht benachteiligt werden, braucht die Wirtschaft klar definierte und transparente Kriterien, fordern Wissenschaftler.
Wissenschaftler kritisieren: Firmen, die Wert auf Nachhaltigkeit legen, können nicht konkurrenzfähig bleiben. Das muss sich ändern!
Wissenschaftler kritisieren: Firmen, die Wert auf Nachhaltigkeit legen, können nicht konkurrenzfähig bleiben. Das muss sich ändern!
Foto: Kim Kuperkova - shutterstock.com

Die betriebliche Rechnungslegung gehöre dringend reformiert, zeigten sich Karin Gräslund und Reiner Bildmayer auf einer Online-Konferenz zum Thema Arbeit 4.0 überzeugt. Gräslund arbeitet als Wirtschaftsinformatikerin und Professorin an der Hochschule Rhein-Main und untersucht unter anderem, wie sich Finanzsysteme IT-technisch abbilden lassen. Bildmayer ist Wissenschaftler und Entwickler bei SAP in Walldorf und leitet zurzeit ein Projekt, das sich genau mit dieser Frage auseinandersetzt – nämlich, welche Kennzahlen für eine nachhaltige Unternehmensführung, die zum Beispiel auch ein soziales und ökologisches Engagement beinhaltet, wichtig sind, wie sich diese definieren lassen und in der Unternehmensbilanz dargestellt werden können.

Sustainability muss im Fokus stehen

Seit Jahrhunderten arbeite man mit ähnlichen Kennzahlen, wenn es um das Produzieren und Verkaufen von Waren geht, so Bildmayer. Heute nun seien Firmen im Nachteil, die Wert legten auf ethische und soziale Aspekte. Sie könnten nicht so konkurrenzfähig gegenüber denjenigen Arbeitgebern agieren, denen der Profit wichtiger sei als solche Nachhaltigkeitskriterien. Denn sehr wohl hätte zum Beispiel ein Betrieb andere Kosten, der Farbstoffe einsetzt, die biologisch abbaubar sind als einer, der nach wie vor auf konventionelle Methoden setze und damit eine höhere Marge erziele. Nachhaltigkeitsaspekte dürften nicht mehr am Ende einer Bilanz noch kurz erwähnt werden, sondern müssten im Vordergrund stehen.

Professorin Gräslund freut einerseits, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Finanzwelt angekommen ist. Sie beobachtet einen hohen Bedarf nach unabhängigen und qualifizierten Informationen; „Firmen wollen seriöse, neutrale Aussagen“. Umgekehrt merkten Berater, dass sich mit dem Thema gutes Geld verdienen ließe. Alle Beteiligten, ob Auditoren, Wirtschaftsprüfer oder, Finanzdienstleister, warteten nun auf Kriterien, auch und vor allem von Wissenschaftlern, wie sich das Thema in Kennzahlen darstellen lässt. Immer wieder fragen Firmen nach solchen Meßssgrößen, die dabei gerne auch den Kontakt zu den Hochschulen suchen, weil sie im Vergleich zu den Beratern nicht kommerziell interessiert sind. Andererseits sagt sie ganz realistisch, dass sie nicht sicher ist, ob man solche Nachhaltigkeits¬reportings nur den Finanzexperten überlassen sollte, die bekanntlich auch nach der dritten Stelle nach dem Komma noch alles berechnet haben möchten, was im Falle der Nachhaltigkeit pseudogenau wäre.

Karin Gräslund, Professorin an der Hochschule RheinMain.
Karin Gräslund, Professorin an der Hochschule RheinMain.
Foto: DSAG

Immer wieder erhalte sie Anrufe von Firmen, die nach solchen Messgrößen suchen, die aber auch unbedingt den Kontakt zu den Hochschulen wollen, weil sie den Beratern nicht so richtig über den Weg trauen. Andererseits sagt sie ganz realistisch, dass sie nicht sicher sei, ob man solche Nachhaltigkeitsreportings nur den Finanzexperten überlassen sollte, die bekanntlich auch nach der dritten Stelle nach dem Komma noch alles berechnet haben möchten.

Als besondere Herausforderung sieht die Wissenschaftlerin, dass sich Wissenschaft, Wirtschaft und Politik auf einheitliche Standards einigen müssten. Eine ernstzunehmende Hürde sei weiterhin, dass der Deutsche dazu neige, alles gründlich und sehr genau prüfen zu wollen. Sie wünsche sich, dass man mutiger Neues ausprobiere. Zuversicht gibt ihr indes der Nachwuchs, ihre fleißigen Studentinnen und Studenten. „Die junge Generation ist uns weit voraus: Die machen einfach mal, kommen dann immer wieder mit guten Vorschlägen zu mir, und bessern dann am Status-Quo nach“, freut sich die Professorin. Bei so ganzheitlichen Fragestellungen der schnellste Weg zu belastbaren Ergebnissen!

"Nachhaltigkeit kommt mit Macht"

Bildmayer warnt davor, mit Hunderten von Kennzahlen zu arbeiten, in der Hoffnung, alles kontrollieren zu können. Er plädiert eher dafür, anhand bewusst definierter Indikatoren aufzuzeigen, warum es sich für Unternehmen lohnen kann, auf nachhaltiges Wirtschaften zu setzen, und welchen wichtigen Beitrag sie damit für die Gesellschaft leisten. Dieser Aspekt sei bisher viel zu wenig berücksichtigt worden.

Reiner Bildmayer, Wissenschaftler und Entwickler bei SAP: "Wir müssen zeigen, dass es sich für Unternehmen lohnt, nachhaltig zu arbeiten."
Reiner Bildmayer, Wissenschaftler und Entwickler bei SAP: "Wir müssen zeigen, dass es sich für Unternehmen lohnt, nachhaltig zu arbeiten."
Foto: privat

Als Beispiel nennt er die Nachwuchsausbildung, die Beschäftigung und Förderung von Azubis. Die Ausbildungsvergütung und auch das Gehalt des Ausbilders könnten ins Verhältnis gesetzt werden zu den nötigen Headhunter-Kosten, externen Schulungsgeldern und den Aufwendungen für die Beschäftigung von Freiberuflern , wenn das Know-how im Unternehmen fehle. Und selbst wenn das Unternehmen nicht alle Azubis übernehme, habe es einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag geleistet, was bisher niemanden interessierte. Bildmayer ist sich der Sysiphus-Arbeit bewusst, monetäre Messgrößen für Faktoren (Intangibles) zu definieren. Hierzu bedarf es indes vieler Daten für die Vergleichbarkeit und Bewertung der zu erstellenden Kriterien.

Verständlicherweise plädiert die Wirtschaftsinformatikerin und Fachvorständin Finanzen & Sustainability bei der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) Gräslund dafür, dass man auf ein Verfahren zugreift, in dem sich die Kriterien in einem IT-System abbilden lassen, um ein möglichst transparentes Vorgehen zu erreichen. Bei dem komplexen Thema gehe es darum, dass ein Unternehmen trotzdem den Nutzen sichtbar darstellen kann, inklusive der Werte, die es für die Gesellschaft schafft, wenn es ausbildet und die Azubis nicht weiter beschäftigt. Man müsse den Finanzexperten glaubwürdige Zahlen liefern, um sich nicht dem Vorwurf der Subjektivität aussetzen zu müssen.

Gräslund und Bildmayer sagen zurecht: Hauptsache, man mache einen schwungvollen Anfang, und dafür eigne sich das Thema Bildung sehr gut. "Nachhaltigkeit kommt mit Macht", sind beide überzeugt. Und schließlich: "Wir müssen nicht oben auf der Welle surfen, es reicht schon, wenn wir mitsurfen." (mp)

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