D21-Digital-Index

Die Digitalisierung erzeugt auch Verlierer

24.02.2021
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
In der Coronakrise ist der Digitalisierungsgrad in Deutschland – wenig überraschend - gestiegen. Ebenso gestiegen ist die Gefahr, dass die Älteren und weniger Gebildeten abgehängt werden.

Die anhaltende Corona-Situation fordert uns als Gesellschaft nicht nur viel ab, sie wirkt auch wie ein Beschleuniger für die Digitalisierung in nahezu allen Bereichen unseres Lebens", brachte Hannes Schwaderer, Präsident der Initiative D21, die Ergebnisse des aktuellen Digitalindex auf den Punkt. Für viele Menschen hätten sich Teile des Alltags tief in die digitale Welt verschoben. Schwaderer betonte, wie stark Technologie die Menschen in der Krise zusammengeführt habe. "Für viele war das ein Lichtblick in schwierigen Zeiten."

Nicht jeder fühlt sich als Gewinner der Digitalisierung.
Nicht jeder fühlt sich als Gewinner der Digitalisierung.
Foto: Ollyy - shutterstock.com

Der D21-Digital-Index ist eine Studie der Initiative D21. Insgesamt wurden dafür 16.158 Interviews mit Bürgerinnen und Bürgern ab 14 Jahren in Deutschland geführt, davon über 2000 mit vertiefenden Fragen. Das Ziel: Die digitale Gesellschaft hierzulande besser zu verstehen und herauszufinden, wie die Deutschen die Digitalisierung im privaten wie im beruflichen Umfeld sehen und einschätzen. Dabei ging es um ihre Einstellung zu digitalen Themen, dem Zugang zum Internet und ihre Digitalkompetenzen. Ein Schwerpunkt der Umfrage im Corona-Jahr lag auf den Bereichen digitales Arbeiten, digitaler Unterricht und digitale Gesundheit. Heraus kam ein Lagebild zur digitalen Gesellschaft in Deutschland.

Hürde von 60 Punkten genommen

Der D21-Digital-Index misst jährlich, wie stark die deutsche Gesellschaft den digitalen Wandel adaptiert. Der dafür erhobene Digital-Index liegt für 2020 bei 60 von 100 Punkten, das sind zwei Punkte mehr als im Vorjahr. Damit steigt der Digitalisierungsgrad seit 2016 merklich an, nachdem der Index in den Jahren 2013 bis 2015 bei knapp über 50 Zählern stagnierte. 2018 waren es 55 Punkte, im Jahr zuvor 53 Zähler. Grund für den jüngsten Zuwachs sind vor allem Steigerungen bei den Unterkategorien Zugang (plus vier Punkte) und Nutzungsverhalten (plus fünf Punkte). Dagegen verbesserte sich die Einschätzung der digitalen Kompetenz nur leicht um einen Punkt. Die Offenheit gegenüber digitalen Themen ging sogar etwas zurück (minus einen Punkt).

Erstmals knackte der Digital Index von D21 die 60-Punkte-Marke
Erstmals knackte der Digital Index von D21 die 60-Punkte-Marke
Foto: Initiative D21

88 Prozent der deutschen Bevölkerung sind online, acht von zehn auch mobil. Damit steigt der Anteil der Onliner wie in den vorangegangenen Jahren an - plus zwei Prozentpunkte im Vergleich zu 2019. Auffällig an dieser Stelle: Der mobile Anteil wächst weiter deutlich schneller - plus sechs Prozentpunkte. Die Marktbeobachter gehen davon aus, dass sich die mobile Internet-Nutzung mittelfristig dem Niveau der allgemeinen Internet-Nutzung annähern wird. Erstmals habe der Abstand weniger als zehn Prozentpunkte betragen.

Die Rate der Offliner sinkt dementsprechend auf aktuell etwa zwölf Prozent. Damit verfügen nach wie vor 8,5 Millionen Menschen in Deutschland über keinen Zugang zum Internet. Bedenklich daran: Diese Verhältnisse könnten sich zementieren. Gab es in den vergangenen Jahren immer noch einen kleinen Anteil von Bürgern, die sich demnächst mit dem Internet beschäftigen wollen, sank dieser Wert in der aktuellen Umfrage auf null.

Digitale Spaltung bleibt

Trotz aller Fortschritte zeigt die Umfrage die Heterogenität der digitalen Gesellschaft. Nach wie vor gilt: Je jünger und je besser ausgebildet, desto höher der Digitalisierungsgrad. Der liegt in der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen bei 73 Indexpunkten, die über 70-Jährigen kommen auf gerade 36 Zähler. Nichtberufstätige, Menschen mit einem Nettoeinkommen unter 2000 Euro und weniger Gebildete liegen in den Vierziger-Punkterängen, also deutlich unter dem Durchschnitt von 60 Punkten.

Während der Zugang zu digitalen Techniken und das Nutzungsverhalten deutlich zulegten, ging die Offenheit gegenüber der Digitalisierung leicht zurück.
Während der Zugang zu digitalen Techniken und das Nutzungsverhalten deutlich zulegten, ging die Offenheit gegenüber der Digitalisierung leicht zurück.
Foto: Initiative D21

Gefragt, ob sie glauben, persönlich von der Digitalisierung zu profitieren, sagen 79 Prozent der 20-29-Jährigen, sie fühlen sich als Gewinner der Digitalisierung. Unter den über 70-Jährigen haben nur 22 Prozent diesen Eindruck. Drei Viertel der höher Gebildeten sehen sich als Digitalisierungsprofiteure (74 Prozent), von den Menschen mit geringer Bildung nur ein Drittel (32 Prozent).

"Einige Gruppen profitieren stark von der Digitalisierung, andere noch nicht", stellt D21-Präsident Schwaderer fest. "Dieser digitalen Spaltung müssen wir entgegenwirken." Der ehemalige Deutschland-Chef von Intel rechnet damit, dass die Digitalisierung weiter Fahrt aufnehmen wird - in der Arbeitswelt genauso wie im Alltag. "Deutschland braucht dringend eine Digitale-Kompetenz-Agenda, sowohl für den beruflichen als auch den privaten Bereich", mahnt Schwaderer. Er spricht von einem großen Unterstützungsbedarf bei den weniger Gebildeten, den Nichtberufstätigen und den Älteren.

Corona als Digitalisierungs-Katalysator

Ein besonderes Augenmerk legten die Studienautoren in diesem Jahr auf die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf den digitalen Wandel. Dabei gebe es Licht, aber auch viel Schatten. Im Corona-Jahr 2020 habe mobiles Arbeiten einen Durchbruch erlebt Mit einem Anstieg um 17 Prozentpunkte im Vergleich zu 2019 liege der Anteil der Beschäftigten, die von Home- und Remote-Office Gebrauch machen, bei knapp einem Drittel. "Hier hat die Krise möglich gemacht, was in den Jahren davor unmöglich schien oder nicht erwünscht war", heißt es in der Studie.

Ganz aufs Home Office verzichten und lieber ins Büro zurückkehren wollen die wenigsten.
Ganz aufs Home Office verzichten und lieber ins Büro zurückkehren wollen die wenigsten.
Foto: Initiative D21

Allerdings drohen in Sachen Home-Office Rückschläge. Über die Hälfte (53 Prozent) derjenigen, die mit der Corona-Pandemie erstmalig mobiles Arbeiten nutzten oder zu einem größeren Anteil als zuvor so arbeiteten, möchten das auch nach der Pandemie öfter tun. Unter den befragten Führungskräften möchten dagegen drei Viertel nicht, dass ihre Mitarbeiter nach der Coronakrise mehr Zeit außerhalb des Büros verbringen. Das zeigt die nach wie vor stark verbreitete Skepsis gerade im Management gegenüber neuen Formen der Zusammenarbeit.

Tipps für ein funktionierendes Home Office finden sie hier:

Während das Home-Office in aller Regel gut funktionierte, traten im Bereich Home Schooling Defizite offen zutage. Mehr als zwei Drittel der Beteiligten berichteten von Schwierigkeiten und Hürden beim digitalen Unterricht. Viel zu oft sei es an den Schulen nicht gelungen, einen qualitativ hochwertigen digitalen Unterricht zu organisieren und umzusetzen, lautet das Fazit der Studie. Als problematisch haben die Betroffenen in erster Linie die uneinheitliche Vorgehensweise empfunden, wie und wo Unterrichtsmaterial bereitgestellt wurde. Moniert wurde, dass vielfach nur der Austausch der Lehrmaterialien digital stattfand, die Materialien selbst und deren Bearbeitung dagegen analog blieben.

Das wird sich ändern müssen: Drei Viertel der Befragten fordern verpflichtende Fortbildungen für Lehrkräfte im Umgang mit digitalen Lernformaten und plädieren zudem für mehr Flexibilität und Fehlertoleranz im Lehrbetrieb. Schulen sollten neue Lernformate ausprobieren und künftig Unterrichtskonzepte stärker digital ausrichten, hieß es. Außerdem dürfe man die Gefahren nicht aus dem Blick verlieren. 60 Prozent glauben, dass der Distanzunterricht Ungerechtigkeiten in der Bildung verschärft. Nur 32 Prozent haben Zutrauen in die Schulen beim Vermitteln der benötigten Digitalfähigkeiten - das ist ein Rückgang um vier Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr.

Luft nach oben gibt es auch im Bereich digitale Gesundheit. Die Bereitschaft, sich per Videosprechstunde behandeln zu lassen, sei auf 34 Prozent gestiegen, ein plus von acht Prozentpunkten, berichten die Studienautoren. Allerdings klafft eine deutliche Lücke zur tatsächlichen Nutzung: Nur fünf Prozent derjenigen, die während der Corona-Zeit Kontakt zu medizinischem Personal hatten, der nicht vor Ort stattfand, nutzten dafür eine Videosprechstunde.

Insgesamt wünscht sich ein Drittel der Bevölkerung (32 Prozent) eine stärkere Digitalisierung des Gesundheitswesens. Dabei gibt es jedoch auch viele Bedenken. Nur etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) vertraut bei der Nutzung von Gesundheitsanwendungen darauf, dass Datenschutzbestimmungen eingehalten werden. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) befürchten zudem, durch mehr Verlagerung von Gesundheitsangelegenheiten ins Netz von Versorgungsleistungen abgeschnitten zu werden.

Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, betonte, wie wichtig digitale Technologien seien, um Wirtschaft und Behörden arbeitsfähig zu halten. Dennoch gibt es in vielen Bereichen gravierende Defizite.
Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, betonte, wie wichtig digitale Technologien seien, um Wirtschaft und Behörden arbeitsfähig zu halten. Dennoch gibt es in vielen Bereichen gravierende Defizite.
Foto: Alexandros Michailidis - shutterstock.com

Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, gibt trotz aller offenkundigen Defizite den Optimisten. Digitale Lösungen hätten erheblich dazu beigetragen, die Folgen der Corona-Pandemie abzumildern. "2020 hat die Digitalisierung einen enormen Schub bekommen." Digitale Technologien seien gerade in der aktuellen Krisensituation zwingend notwendig, um die Arbeitsfähigkeit von Wirtschaft und öffentlichen Einrichtungen bestmöglich aufrecht zu erhalten. "Es hat sich einmal mehr gezeigt, wie wichtig die Digitalisierung und der Erwerb digitaler Kompetenzen für unsere Wirtschaft und Gesellschaft sind." Doch dafür muss man auch etwas tun.