Experten diskutieren Cloud Transformation

Die Cloud ist oft nur Mittel zum Zweck

07.12.2023
Von 
Richard Ruf ist Autor und Texter in München. Im Fokus seiner Arbeit bei der Agentur "Medienstürmer" liegen vor allem die Themen Modern Work, Projektmanagement, Office-Kollaboration und Open Source.
Der Wechsel in die Cloud stellt Unternehmen immer noch vor große Herausforderungen. Doch viele nutzen die Chance, gleich ihr Business zu transformieren.
Für viele Unternehmen besitzt die Cloud keinen Selbstzweck, sondern ist lediglich ein Mittel zur Transformation des Geschäfts.
Für viele Unternehmen besitzt die Cloud keinen Selbstzweck, sondern ist lediglich ein Mittel zur Transformation des Geschäfts.
Foto: Wright Studio - shutterstock.com

Deutsche Unternehmen und die Cloud - nicht unbedingt eine Liebesbeziehung. Und auch, wenn das zunächst kühle Abtasten im Laufe der Zeit einem deutlich wärmeren Verhältnis gewichen ist, sind Cloud-Migrationsprojekte für viele nach wie vor Neuland, wie die aktuelle Studie "Cloud-Migration" von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE herausfand.

Und doch hat sich einiges geändert. Die Experten des COMPUTERWOCHE-Roundtables zum Thema "Cloud Transformation" stellen bereits zu Beginn der Diskussion fest, dass Unternehmen die Cloud nicht mehr als Anomalie wahrnehmen, sondern zunehmend als Chance begreifen.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Cloud Transformation 2024'

Cloud ist nicht länger erklärungsbedürftig

Der häufigste Antriebsfaktor der Cloud-Transformation ist demnach der Wunsch nach Modernisierung. Zwar funktionieren viele monolithische Applikationen in den Unternehmen noch - eine Skalierung oder gar Erschließung neuer Geschäftsfelder ist damit jedoch oft nicht mehr möglich. "Viele Unternehmen gehen die Cloud-Transformation an, um neue Geschäftsmodelle für sich nutzbar zu machen", erklärt Marcus Neumann, Vice President Cloud Innovation & Operation von Materna.

Reiner Lift & Shift ist also längst nicht mehr das Mittel der Wahl. "Unternehmen wünschen sich zunehmend eine echte Business-Transformation", das bedeutet eine grundlegende Veränderung der Geschäftsmodelle unter Zuhilfenahme von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz, beschreibt Ann-Kathrin Sauthoff-Bloch, Managing Director Germany und Geschäftsführerin von Infosys Consulting, die Situation. Daher gelte es, umfassend Prozesse zu modernisieren und Effizienzgewinne zu erzielen. "Die Cloud-Transformation ist in vielen Fällen dann eher Mittel zum Zweck, die bisherigen Geschäftsmodelle zu digitalisieren und weiterhin auf Wachstumskurs zu halten", sagt Sauthoff-Bloch.

Doch es scheint bei weitem nicht so zu sein, dass Unternehmen stets mit einer übergeordneten Transformationsstrategie das Unterfangen bestreiten. Oft ist ein Trigger im Kleinen der Auslöser, mit dem die Transformation angestoßen wird - entweder ein zu lösender Pain Point oder der Versuch, etwas Neues anzugehen. Erkennbar ist aber, dass die Cloud im Gegensatz zu früher als erwarteter Standard betrachtet wird, wie Martin Bauer, Associate Partner bei Cluster Reply, beschreibt: "Wer heute eine Lösung im Cloud-Stack möchte, muss sich nicht mehr verteidigen." On-Premises ist heute eher erklärungsbedürftig.

Klein anfangen statt mit Big Bang loslegen

Doch wenn Unternehmen ohne übergeordneten Plan starten und den Anfang im Kleinen machen, droht dann nicht ein ungemeines Flickwerk an IT-Lösungen? Tatsächlich scheint der Start mit kleinen Projekten oft der einzige Weg zu sein. Lukas Höfer, Cloud Solutions Architect von ConSol Software, kommentiert: "Durch die schnellen technologischen Entwicklung in der Cloud halte ich es für wichtig, zunächst klein zu starten." So könne man die Mitarbeiter bestmöglich abholen. "Dann tut es auch nicht weh, wenn man doch ein Mal falsch abbiegt ", erklärt Höfer. Das langfristige Ziel der Transformation sollte man jedoch nicht aus den Augen verlieren.

Denn tatsächlich scheint es nach wie vor so zu sein, dass viele Dinge langjährige Erfahrung benötigen - und eine unternehmensweite Transformation häufig noch Überzeugungsarbeit, die sich vor allem durch Erfolgsgeschichten kleinerer Projekte leisten lässt.

Sind die ersten Schritte gemacht und der Buy-In auch in anderen Abteilungen innerhalb der Organisation erfolgt, stellt sich die Frage, wie eine Transformation anderer Bereiche möglichst schnell und eigenverantwortlich gelingen kann. Thorsten Düvelmeyer, SAP Senior Expert Consultant Enterprise Integration & Cloud Architect von NTT DATA Business Solutions Germany, empfiehlt dabei, bestimmte Ressourcen so zur Verfügung zu stellen, dass alle Beteiligten davon profitieren können: "Nicht jedes Team kann und will auch alles selber machen. Deshalb empfehle ich, zentrale Dienste wie Governance und Security bereitzustellen - damit haben wir beispielsweise in der SAP-Transformation sehr gute Erfahrungen gemacht." Für den Anfang könne es auch bereits enorm hilfreich sein, standardisierte Richtlinien zu formulieren, an denen sich Teams orientieren können.

Studie "Cloud Transformation 2024": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Cloud Transformation führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (regina.hermann@foundryco.com, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (manuela.raedler@foundryco.com, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Cloud-native garantiert Flexibilität - zumindest in der Theorie

Ein in der Vergangenheit häufig gegen die Cloud angeführtes Argument war die Angst vor zu großer Abhängigkeit von den Hyperscalern. Hat sich das eigentlich geändert? Die Antwort ist ein entschiedenes "Jein".

Denn schnell wird deutlich, dass Theorie und Praxis in diesem Bereich zuweilen noch weit auseinander liegen können. Richtig laut Experten ist: Wer vollständig Cloud-native arbeitet, kann jederzeit den Wechsel zu anderen Anbietern vollziehen und ist somit zumindest technologisch unabhängig.

Das setzt aber auch voraus, dass sich die Kompetenzzentren in den Unternehmen schnell an andere Ökosysteme anpassen können. Für Reply-Mann Bauer sollten die Teams vor allem aus Mitarbeitern bestehen, die sich schnell in neuen Umgebungen zurechtfinden. "In Deutschland neigen wir dazu, nach Fähigkeiten zu rekrutieren, doch die sind in zwei, drei Jahren veraltet", erklärt Bauer. Die ständigen Veränderungen im Cloud-Kontext machen es unbedingt erforderlich, sich ständig weiterzuentwickeln. Wer sich primär darauf konzentriere, möglichst viel proprietäres Wissen anzuhäufen, sei oft nicht flexibel genug. "Mit einem Team, das Shiften gewohnt ist, kann ich auch problemlos zu einem anderen Anbieter wechseln", ergänzt Bauer.

Doch in der Praxis stellt sich das oftmals nicht so einfach dar. Nicht nur ist die vollständige Flexibilität eine große und zeitaufwändige Herausforderung - sondern, wie Erwin Breneis, Sales and Solution Specialist von Juniper Networks, hervorhebt, oft eine Frage der Auslastung: "Gerade die Mitarbeiter in der IT sind oftmals so mit ihrem Daily Business beschäftigt, dass ihnen die Möglichkeiten fehlen, sich substanziell mit neuen Entwicklungen auseinanderzusetzen." Mangelnde Flexibilität sehe er eher weniger - vielmehr müssten sich Unternehmen die Frage stellen, ob sie die notwendigen Ressourcen intern zur Verfügung haben oder auf externe Berater setzen sollen.

Unternehmen müssen vergabefähig bleiben

Doch dazu muss zunächst beantwortet werden, welches Know-how Unternehmen selbst mitbringen müssen - und welches sie sich bedenkenlos extern dazuholen können. Klar ist: Alles, was mit dem eigenen Kerngeschäft zu tun hat, müssen Unternehmen kennen und können. "Für alles, was neue Entwicklungen anbelangt und innovative Technologien beinhaltet, darf und sollte man sich bedenkenlos externe Hilfe holen, die den Markt scoutet", erklärt Materna-Manager Neumann. Sobald neue Technologien dann in den eigenen Geschäftszweck übergehen, müssten Unternehmen wieder die nötigen Kompetenzen vorhalten.

Wichtig ist für die Experten zudem, dass Unternehmen sich unbedingt die Vergabefähigkeit erhalten. Zwar könnten sie sich tiefgreifendes Wissen zu Ökosystemen oder Hyperscalern von Dritten einkaufen. Sie müssten jedoch selbst in der Lage sein einzuschätzen, welche Aspekte sie nach draußen geben und welche sie selbst einfordern. "Wenn Unternehmen nicht vergabefähig sind, erzeugt das eine Abhängigkeit nach außen von externen Dienstleistern, und das führt für keine der beiden Seiten zu einer zufriedenstellenden Lösung", wirft Dr. Jan Schaumburg, VP Head of OneCloud Central Europe von Eviden, in die Runde.

Doch noch ein weiterer Aspekt ist aus Expertensicht wichtig: Besonders im Bereich der Innovationsprojekte scheint häufig die Business-Seite der Treiber zu sein, welche sich nicht selten durch IT-Abteilungen ausgebremst fühlt, wenn diese auf ihre Standards pocht. Essenzielle Aufgabe externer Berater ist es demnach, die Business-Seite mit der IT zusammenzubringen und dafür zu sorgen, dass ein gangbarer Mittelweg aufgezeigt wird.

KI, Low Code & Co. - Die Notwendigkeit zum Wissensaufbau bleibt

Denn sogenannte Schatten-IT ist oftmals ein verlockender Weg, Business Cases schneller auf den Weg zu bringen - an der IT-Abteilung vorbei. "Ich glaube, dieser Konflikt ist durch Low-Code und No-Code noch akuter geworden", konstatiert Schaumburg. Durch die Möglichkeit, auch notfalls ohne die IT Lösungen auf den Weg zu bringen, hätten sich Innovationszyklen verändert, die es auch der IT schwerer machten, die so wachsende Landschaft an Lösungen zu überwachen und zu unterstützen.

Doch die Kehrseite davon ist, dass Fachbereiche mit neuen Hilfsmitteln wie Low-Code, No-Code oder gar KI-Lösungen viel einfacher und schneller in der Lage sind, auch der IT konkrete Business Cases aufzuzeigen. Daher blickt auch die Expertenrunde positiv auf neue technologische Entwicklungen, ohne dem Hype anheim zu fallen. "Wir dürfen gespannt sein, was in Zukunft alles schneller und besser funktionieren kann, sobald die Hyperscaler KI großflächig einsetzen", sagt Erik Dommrich, Teamlead Cloud Services bei dotSource. "Da bleibt jedoch auch abzuwarten, wie wir mit den Daten umgehen, vor allem im Hinblick auf Compliance."

Zumal die Verantwortung für den Kompetenzaufbau durch Tools wie KI nicht geringer werde, wie Bauer von Cluster Reply zum Abschluss der Runde feststellt: "Die Essenz ist: Experten werden schneller und besser, während Laien langsamer und schlechter werden." Gerade in der aktuellen Entwicklung müssten Unternehmen in die Ausbildung und Rekrutierung von Talenten investieren. "Wichtig ist und bleibt ein Mindset, dass kontinuierliches Lernen essentiell ist. Das wird durch KI nicht weniger gefordert, im Gegenteil", so sein Fazit.

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